Bürokratie im Alltag:Zwei Wochen im Jahr für Formulare

Kleine Firmen leiden am stärksten unter der Flut an Vorgaben. Die Kosten dafür verzögern Investitionen und gefährden Arbeitsplätze.

Björn Finke

Manchmal können acht Millimeter ganz schön viel sein. Sie können zum Beispiel den Unterschied bedeuten zwischen ungestörtem Arbeiten und wochenlangem Ärger mit den Behörden. Diese Erfahrung musste Albert Heckl machen, der in Gersthofen bei Augsburg mit zehn Angestellten eine Kunst- und Bauschlosserei betreibt.

Bürokratie im Alltag: Die Bemühungen zum Bürokratieabbau greifen nur langsam. Grade für kleinere Betriebe ist die Bürokratiebelastung nach wie vor sehr hoch.

Die Bemühungen zum Bürokratieabbau greifen nur langsam. Grade für kleinere Betriebe ist die Bürokratiebelastung nach wie vor sehr hoch.

(Foto: Foto: dpa)

Zehn Jahre lang hatte seine Blechbiegemaschine ihren Dienst getan, ohne dass es je zu einem Unfall gekommen wäre. Doch dann schaute ein Beamter des Gewerbeaufsichtsamts einmal ganz genau hin und monierte, die Lücke zwischen zwei Bauteilen der Maschine sei um jene Winzigkeit zu groß. Da könnten Arbeiter mit dem Finger hineingeraten.

Schlossermeister Heckl fiel aus allen Wolken: Die tückische Lücke war zuvor bei Kontrollen nie beanstandet worden. Dem Hersteller der Maschine war diese Klage gleichfalls neu.

Über Wochen stritt sich der Unternehmer mit der Behörde herum: ohne Erfolg. Am Ende musste er die Maschine für 700 Euro umbauen lassen. Und das war bloß der finanzielle Schaden. Heckl hatte außerdem wertvolle Arbeitszeit - und Nerven - in die fruchtlose Auseinandersetzung investiert.

"Diese Schikane war wirklich Wahnsinn", sagt er. Aber auch jenseits von Debatten um acht Millimeter kosten den Mittelständler die Vorgaben und der Informationshunger der Ämter eine Menge Zeit. "Die Bürokratie ist eine gewaltige Belastung", klagt er.

Kleine Betriebe besonders hart betroffen

Wie ihm geht es vielen. Bei Umfragen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) küren die Firmen den Bürokratieabbau regelmäßig zu einer der wichtigsten Aufgaben der Politik. Mehr als jedes zehnte Unternehmen, das Standorte im Ausland eröffnet, erklärt demnach, einer der Gründe dafür seien die niedrigeren bürokratischen Hürden dort.

Am härtesten trifft die amtliche Regelwut kleine Betriebe. Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn schätzt, dass sich in Firmen mit weniger als zehn Mitarbeitern jeder Angestellte im Schnitt 64 Stunden pro Jahr Formularen und Verordnungen widmet: Das sind fast zwei Arbeitswochen.

An- und Abmeldungen bei den Sozialversicherungen, Genehmigungsanträge, die Ermittlung von Steuern und Abgaben - es ist immer genug zu tun. Die Kosten beziffert das IfM auf jährlich 4361 Euro pro Beschäftigten. Bei Betrieben mit mindestens 500 Angestellten sind es 354 Euro, weil sich die Last auf mehr Schultern verteilt.

"Die Bürokratie lähmt den Unternehmergeist", befürchtet Professor Frank Wallau vom IfM. "Bei kleinen Betrieben sitzt der Chef am Wochenende im Büro und füllt Formulare aus, statt sich zu erholen oder sich Gedanken über Marktlücken zu machen." Die Belastung verzögere Investitionen und die Schaffung neuer Jobs.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Wirtschaftsverbände mit dem Bürokratieabbau der Bundesregierung nicht zufrieden sind.

Zwei Wochen im Jahr für Formulare

Für Schlossermeister Heckl ist eine der größten Bürden die Pflicht, Rechnungen zehn Jahre aufzubewahren. "Das ist eine derartige Papierflut, da weiß man kaum noch, wohin damit", sagt er.

Dass diese Einschätzung nicht lediglich auf Bauchgefühl beruht, sondern dass dies ein Faktum ist, zeigt eine Aufstellung der Bundesregierung. Die Ministerien haben sämtliche Informations- und Aufbewahrungspflichten zusammengetragen, und das Statistische Bundesamt hat dann ermittelt, wie groß der Aufwand jeweils ist. Das Ergebnis: Die Anordnung im Umsatzsteuergesetz, dass Betriebe Rechnungen zehn Jahre lang aufbewahren müssen, ist mit Abstand die schwerste Last.

Das Messprojekt gehört zu dem ambitionierten Plan der Regierung, die Bürokratie bis 2011 um ein Viertel abzubauen. Dieses hohe Ziel hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gesteckt, die der Bekämpfung der Bürokratie zumindest nach außen hin mehr Bedeutung einräumt als jeder ihrer Vorgänger.

Teil des Programms ist auch, dass ein neues Gremium, der Normenkontrollrat, seit 2006 bei Gesetzen prüft, ob man deren Ziele nicht mit weniger Aufwand für die Firmen erreichen kann (Interview). Zudem wurden drei Rechtsakte mit dem sehr bürokratischen Namen Mittelstands-Entlastungsgesetze verabschiedet, die die Kosten der Betriebe um insgesamt 850 Millionen Euro senken sollen.

Verbände enttäuscht

Mittelständler Heckl fühlt sich jedoch nicht wirklich entlastet: "Das war bisher nicht der große Wurf. Kleinunternehmer spüren das kaum." Die Wirtschaftsverbände geben sich gleichfalls enttäuscht. "Die Abschaffung einzelner eher unbedeutender Vorschriften reicht nicht aus, um das Problem der bürokratischen Überregulierung zu beseitigen", heißt es in einer Stellungnahme zum dritten dieser Gesetze vom BDI und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hält die Chancen, dass die Regierung ihr Abbauziel bis 2011 erreicht, inzwischen für sehr gering, sofern jetzt nicht noch durchgestartet wird. Heckl hätte da schon so eine Idee, wie der Staat Tempo machen könnte. "Ich habe ja nichts gegen Gesetze", sagt er: "Aber für jedes neue sollte die Regierung vier oder fünf alte abschaffen, die nicht mehr unbedingt nötig sind."

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