Süddeutsche Zeitung

Arbeitswelt:Das Büro als Campus

Fitnessraum im Keller, Kita um die Ecke: Viele moderne Firmensitze kommen mittlerweile eher wie Hotelanlagen daher. Über einen Trend, der auch mit der Pandemie zu tun hat.

Von Christine Mattauch

Fast könnte man meinen, es gehe nicht um Arbeit, sondern um Urlaub. "Wohin der Blick auch fällt, überall zeigt sich wohltuendes Grün vom Bambus bis zum Birnbaum", rühmt die Website. "Moderne Sitzbereiche" werden gepriesen und "helle, lichtdurchflutete Räume". Doch nicht ein Hotel wird so beworben, sondern der Berliner Bürocampus Square 1. In Konkurrenz mit dem Home-Office wollen Arbeitgeber den Aufenthalt im Unternehmen so angenehm wie möglich gestalten.

Büroimmobilien gelten als Verlierer der Pandemie, denn die Corona-Krise hat gezeigt, dass sich viele Aufgaben bequem daheim erledigen lassen. Campus-Konzepte jedoch haben Hochkonjunktur. Sie stehen für Austausch, Kommunikation und Vernetzung und liefern damit genau den Mehrwert, den viele Unternehmen jetzt vom Firmensitz erwarten. "Im Kern verschiebt sich der Schwerpunkt von Büros als Orten zum Arbeiten hin zu Büros als Orten zum Zusammenarbeiten", sagt Matthias Pink, Research-Leiter des Immobiliendienstleisters Savills. Campus-Konzepte fördern das, idealerweise sogar über Firmengrenzen hinaus.

Geboren wurde der Begriff in angelsächsischen Hochschulen, erstmals soll er für die Princeton University in New Jersey verwendet worden sein. Der Campus als Gelände, auf dem sich Forscher, Studenten und Gäste auch informell begegnen und voneinander lernen - in der Mensa, im Park, beim Sport. Zu den Ersten, die das Konzept in die Arbeitswelt übersetzten, gehörten Tech-Arbeitgeber wie IBM und Google. Heute meint der Begriff meist ein Ensemble, das neben Büro auch Nutzungen wie Einzelhandel, Restaurants, Schulen oder gewerbliches Wohnen vorsieht. Architektur und Ausstattung entsprechen dem Zeitgeist: schickes Design, weitläufige Flächen, hoher Freizeitwert. Mit einem Wort: New Work.

Manche nutzen das Label auch nur als leere Marketing-Hülle

"Nur auf Campus-Arealen kann man moderne Bürowelten so abbilden, wie es angebracht ist", findet Bernd Schade, bis Ende Oktober Vorstand von Bauwert und nun Chief Development Officer beim Wohnungskonzern Adler. Die Berliner Firma Bauwert entwickelt den Campus Square 1, ein 6,8 Hektar großes Grundstück nahe dem Technologiepark Adlershof. Mit Eller + Eller, Tchoban Voss und Grüntuch Ernst sind drei renommierte Architekturbüros für die Konzeption des Square 1 verantwortlich. Entstehen sollen neun Gebäude, rund 140 000 Quadratmeter Bürofläche - aber eben auch Restaurants, ein Hotel, ein kleiner Supermarkt, ein Fitnessstudio und eine Kita. Im Parkhaus wird das Erdgeschoss für Fahrräder reserviert, inklusive Duschen. Um Kommunikation, Kreativität und Teamgeist zu fördern, gibt es Open-Air-Arbeitsbereiche wie Innenhöfe mit Springbrunnen und begrünte Dachlandschaften.

Austausch, Vernetzung, Begegnung - "der Grundgedanke des Campus ist schön, und es gibt tolle Beispiele dafür", sagt Stephan Kippes, Professor für Immobilienmarketing an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Aber: Wie stets, wenn ein Produkt im Trend liegt, wird der Begriff inflationär verwendet. Wenn etwas Campus heißt, sei nicht immer drin, was draufsteht, bemängelt der Experte: "Es reicht nicht aus, zwei oder drei Gebäude zusammenzustellen." Ein Campus brauche neben einer gewissen Größe auch "Bausubstanz mit Flair".

Das kann ein markanter Altbestand sein, wie auf der Neuen Balan in München, wo ein Teil der Mieter eine sanierte Produktionshalle bezogen hat. Oder ein identitätsstiftendes Markenzeichen: Entwickler Euref besorgte für seinen Düsseldorfer Innovationscampus eine Kuppel, in der einst Günther Jauch Talksendungen moderierte. Mindestens ebenso wichtig ist der Mietermix. Ein lebendiger Campus braucht Vielfalt: große und kleine, etablierte und junge Firmen, am besten aus verschiedenen Branchen, aber mit Anknüpfungspunkten. In der Praxis ist das nicht leicht zu erreichen, wie Kippes weiß: "Ein Projektentwickler kann nicht ewig auf Traummieter warten."

Die einladende Architektur hat auch ihre Tücken

Andere Herausforderungen kommen hinzu. Wer zugunsten einer attraktiven Mischung Flächen für Kitas oder ungewöhnliche Läden schafft, verzichtet auf höhere Mieten, wie sie für Büros möglich wären. Nicht einfach ist zudem die Balance zwischen Offenheit und Sicherheitsbedürfnis. Soll wirklich jeder den Innenhof betreten oder im Coworking-Space arbeiten dürfen? Was, wenn ein Laptop mit Firmeninterna abhandenkommt?

Eine gute Nachricht ist, dass sich mit Campus-Eigenschaften auch Bestandsobjekte umrüsten lassen, die aus der Zeit gefallen sind. In Hamburg etwa übernahm Entwickler Becken vor drei Jahren ein Büroensemble, Baujahr 1993, und peppte es mit Dachterrassen, Café-Lounge, hippen Foyers und E-Roller-Angeboten auf. Konventionelle Büros wurden zurückgebaut und durch flexible Raumkonzepte ersetzt, kostenloses Wlan ermöglicht Arbeiten überall. Einen neuen Namen gibt es auch: Area 5.0.

Die Vermietung stieg inzwischen von 63 auf 100 Prozent. Die Immobilie schaffe "durch ihre neu gestalteten Außenflächen sowie die moderne Lounge für unsere Mitarbeitenden eine schöne Atmosphäre zum Verweilen, Essen und Austauschen", lobt Nicole Engenhardt-Gillé, Leiterin Konzernpersonal beim Telekommunikationsriesen Freenet, der in dem Ensemble rund 12 000 Quadratmeter gemietet hat.

Wie sieht der Campus der Zukunft aus?

Auch Investoren erwärmen sich für den Campus-Stil. "Einige suchen genau diese Konzepte", sagt Bauwert-Vorstand Schade. Die Mischnutzung, früher eher unbeliebt, wird zunehmend als Stärke gesehen, weil sie das Risiko von Mietausfällen streut. Die Investitionsvolumina, meist im dreistelligen Millionenbereich, sind keine Hürde - an Kapital mangelt es am Immobilienmarkt derzeit nicht. Selbst mitten im Lockdown gelang es Becken, Area 5.0 an einen österreichischen Fonds zu verkaufen.

Derweil entsteht schon die nächste Campus-Generation - die diesmal nicht in die Breite, sondern in die Höhe wächst: Hochhäuser wie das sogenannte Präsidium, das die Düsseldorfer Gerchgroup vom nächsten Jahr an in Frankfurt baut. Der 175 Meter hohe Turm soll neben Büros auch ein Hotel und Eigentumswohnungen sowie ein Restaurant mit Skybar und Eventräume beherbergen. Ob das Konzept eines vertikalen Campus in der Praxis wirklich funktioniert? Wer Austausch sucht, muss dann immerhin erst mal den Aufzug nehmen.

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