Bürgerversicherung:Kann die Abschaffung der "Zwei-Klassen-Medizin" gelingen?

Arzt SPD

Eine Kasse für alle? Viele Ärzte sind skeptisch.

(Foto: dpa-tmn)
  • Die SPD möchte in einer möglichen großen Koalition die Abschaffung der "Zwei-Klassen-Medizin" durchsetzen.
  • Während die Partei an mehr Gerechtigkeit glaubt, zweifeln Ärzte an der Reform.
  • Ob das Angebot überhaupt genutzt würde, ist fraglich. Denn der Wechsel in die Einheitskasse wäre freiwillig.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Ein Traum verbindet die SPD, die Grünen und Die Linke, in jedem Wahlkampf aufs Neue. Seit Jahren fordern sie alle eine Bürgerversicherung, ein einziges Krankenkassenmodell, und damit die Abschaffung einer "Zwei-Klassen-Medizin" in Deutschland. Die Grünen hatten die Bürgerversicherung in den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition mit Union und Liberalen bald fallen lassen. Zum Schluss fand sich nicht einmal mehr das Wort in den Kompromisspapieren.

Die Sozialdemokraten aber, die sich nun für Sondierungsgespräche über eine große Koalition in Stellung bringen, wittern jetzt Morgenluft für die Einheitskasse. Denn das doppelte System aus privat und gesetzlich Versicherten führt auf beiden Seiten zu Ungerechtigkeiten. Während die einen oft länger auf Arzttermine warten müssen, werden die anderen nicht selten überversorgt: mit teuren Behandlungen, die sie zwar nicht brauchen, die aber ihre Privatversicherung bezahlt.

Die Union will dennoch an der Zweiteilung der Versicherungen festhalten. Ihr Argument ist der Wettbewerb zwischen den beiden Versicherungsbranchen, von dem am Ende alle Bürger profitierten. Die Ärzte bemühten sich schließlich um immer neue Gerätschaften und Behandlungsmethoden, die sie ihren Privatpatienten anbieten können und erhöhten damit auch den Standard für alle Versicherten. Sie seien auf diese doppelte Finanzierung angewiesen. Eine Bürgerversicherung dagegen wäre eine "Axt", angelegt "an eines der erfolgreichsten und leistungsstärksten Gesundheitssysteme dieser Welt", sagte der CDU-Abgeordnete Thomas Stritzl im Bundestagswahlkampf.

Tatsächlich wäre eine Bürgerversicherung, so wie sie der SPD vorschwebt, ein bedeutender Eingriff mit einigen Unwägbarkeiten. Damit die Ärzte den Anreiz verlieren, Privatversicherte schneller und intensiver zu behandeln als Kassenpatienten, müssten zunächst die Preise, die sie für ihre Arbeit nehmen können, verändert werden. Bislang werden medizinische Leistungen nach zwei unterschiedlichen Tabellen vergütet. Die Gebühren für Kassenpatienten stehen im sogenannten Einheitlichen Bewertungsmaßstab, die Privat-Preise in der Gebührenordnung für Ärzte.

Neue Patienten könnten teuer werden

Eine einheitliche Preisliste für alle Patienten würde bereits mehr Gerechtigkeit schaffen, glaubt SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Eine solche Reform könnte zudem die "sprechende Medizin", also ausführliche Beratungsgespräche, besserstellen und damit auch Landärzten unter die Arme greifen. Doch so eine Veränderung stößt nicht nur in der Ärzteschaft auf massiven Widerstand. Sie wäre ein kompliziertes und wahrscheinlich langwieriges Projekt.

Und selbst wenn eine neue Gebührentabelle vereinbart wäre, ist die Bürgerversicherung noch kein Selbstläufer. Die SPD will anders als Die Linke private Krankenversicherungen nicht abschaffen, sondern den Bürgern nur die Möglichkeit geben, in die gesetzliche Kasse zu wechseln. Der Bedarf sei da, meinen die Genossen. Gerade ältere und chronisch Kranke würden gerne raus aus den teuren Privaten, und auch viele Jüngere seien nicht mehr interessiert. Doch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen fürchtet schon, dass den Privatversicherungen "auf Kosten der gesetzlichen" geholfen wird. Denn die neuen Patienten, die in die Kassen kommen, könnten teuer werden. Sie können schließlich ihre Rücklagen, die sie als Privatversicherte eingezahlt haben, nicht einfach mit in die neue Versicherung nehmen. Dafür fehlt eine juristische Grundlage, die erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht schaffen müsste.

Wer wirklich am Ende freiwillig in eine Bürgerversicherung wechseln würde, weiß niemand. Falls neben den kranken und alten Patienten auch kerngesunde Spitzenverdiener kommen, werden sie das System jedoch wahrscheinlich nicht mit ihrem Geld fluten.

Die SPD will anders als die Grünen nur das Einkommen der Menschen zur Berechnung der Beiträge heranziehen - und zwar mit einer klaren Obergrenze: Ein Millionär muss nicht automatisch Millionen in die Krankenkasse einzahlen. Die Grünen hatten in ihrem Bürgerversicherungsmodell dagegen vorgeschlagen, auch auf Aktiengewinne und Kapitaleinkünfte Beiträge zu erheben. Die Krankenkasse dürfe "kein zweites Finanzamt" werden, entgegnet SPD Politiker Lauterbach.

Bei den Beiträgen für Selbständige könnten sich Union und SPD einigen

Seine Partei wird mit der Bürgerversicherung auch die mächtige Lobby der Beamten überzeugen müssen. Knapp die Hälfte der Privatpatienten sind nämlich Staatsbedienstete, Pensionäre und deren Familien. Sie pochen auf eine besondere Behandlung, die ihnen für ihr "Dienst- und Treueverhältnis" zusteht, meinen sie. So steht es im Grundgesetz. Bislang bezahlen die Behörden der Länder, Gemeinden und des Bundes, bei denen sie arbeiten, einen Großteil ihrer Arztrechnungen. Sollte die Einheitskasse, gegen die sich der Beamtenbund heute nach Kräften wehrt, kommen, wird er eine andere Form der Privilegierung für seine Mitglieder fordern.

Obwohl die Einführung einer Bürgerversicherung viele Fallstricke beinhaltet, würde eine Gruppe von einem solchen Schritt besonders profitieren: Kleine Selbständige werden heute häufig mit so hohen Beiträgen belastet, dass sie sich die Krankenversicherung kaum leisten können - weder die private, noch die gesetzliche. Einige von ihnen verzichten deswegen ganz auf den Versicherungsschutz, mit gravierenden Folgen für ihre Gesundheit. Dass diese Menschen Unterstützung brauchen, sieht auch die Union. Hier werden die beiden Parteien bei einer möglichen Koalitionsverhandlung wohl schnell einen Kompromiss finden. Ähnlich einig könnten sie darin werden, die Versicherungsbeiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wieder anzunähern. Die Frage ist nur: Reicht es den Sozialdemokraten, wenn nur dies von ihrem Traum übrig bleibt?

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