Bürgerbefragung zu TTIP:97 Prozent dagegen

  • Die EU-Kommission hat die Bürger zum geplanten Freihandelsabkommen mit den USA befragt. Genau 149 399 Antworten gingen bis Mitte Juli ein - die meisten davon sind sehr kritisch.
  • Besonders auf Ablehnung stoßen die Klauseln zum Investorenschutz. Der soll Firmen davor schützen, im Ausland investiertes Kapital durch staatliche Willkür oder Enteignung zu verlieren.
  • Trotz der vielen kritischen Einwendungen bei der Konsultation will die EU-Kommission an dem Abkommen festhalten.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Cerstin Gammelin, Brüssel

Die Europäische Kommission wird im Frühling einen neuen Vorschlag zum Investorenschutz im Rahmen des geplanten transatlantischen Handelsabkommen TTIP vorlegen. Das kündigte Handelskommissarin Cecilia Malmström am Dienstagabend im Europaparlament in Straßburg an, wo sie den 140 Seiten umfassenden Bericht einer öffentlichen Befragung der Bevölkerung zu TTIP vorstellte.

Seit dem vergangenen März hatte die Behörde die Bürger befragt. Genau 149 399 Antworten gingen bis Mitte Juli ein. Mehr als 145 000 Absender lehnten das Handelsabkommen entweder komplett ab oder den Teil zum Investorenschutz, kurz ISDS. "Aus der Konsultation geht klar hervor, dass gegenüber dem Instrument der ISDS äußerste Skepsis herrscht", sagte Malmström. In den nächsten Wochen werde beraten, wie der Investorenschutz, auf den sowohl Unternehmen als auch die Mehrzahl der EU-Länder bestehen, aussehen könnte. Leicht wird das nicht: 97 Prozent der gerade Konsultierten lehnen solche Klauseln komplett ab. Vier Fünftel der Antworten kamen aus Großbritannien, Österreich oder Deutschland.

Die Gegenseite ist ebenfalls laut: der Lobbyverband der europäischen Industrie will die Klauseln unbedingt verabschieden. Seit Monaten ranken sich Befürchtungen um den Investorenschutz. Er soll Firmen davor schützen, im Ausland investiertes Kapital durch staatliche Willkür oder Enteignung zu verlieren. Rund 3000 Handelsverträge weltweit enthalten solche Klauseln, allein 1400 davon haben EU-Staaten geschlossen, auch Deutschland. Nie gab es derart viel Ärger darum wie jetzt vorab im geplanten Abkommen mit den USA.

Angst vor Rechtsanwälten aus den USA

Dahinter steht die Befürchtung, US-Großkonzerne könnten Heerscharen von Rechtsanwälten auf europäische Gesetze loslassen und indirekt nationales Recht aushebeln. Zudem ist vorgesehen, dass nicht hiesige Gerichte über Recht oder Unrecht entscheiden, sondern internationale Schiedsgerichte. In der Vergangenheit wirkten solche Gerichte gerne im Verborgenen, mit der Transparenz eines Holzblocks. Letztlich werde TTIP "Demokratie und Rechtsstaat aushöhlen", beklagen bisher fast 1,3 Millionen Europäer in einer "selbst organisierten Bürgerinitiative". Arbeits-, Sozial-, Umwelt-, Datenschutz- und Verbraucherschutzstandards dürften nicht gesenkt, öffentliche Dienstleistungen nicht dereguliert werden.

Handelskommissarin Malmström sieht das genauso. "Wir werden ein Abkommen vorlegen, durch das Europas weltweiter Einfluss gestärkt wird und das uns dabei hilft, unsere strengen Standards zu schützen", sagte sie. Alles andere werde Brüssel "niemals auch nur in Erwägung ziehen". Trotz der vielen Kritik bei der Konsultation will sie aber an dem Abkommen an sich festhalten, zumal die meisten kritischen Eingaben in Form vorformulierter Massenbriefe bei der Kommission eingingen. In den restlichen Antworten will die Kommission hingegen wertvolle Hinweise gefunden haben.

EU-Kommission gewinnt Zeit

Deswegen soll das Ergebnis der Konsultation wieder Gegenstand einer neuen Konsultation werden, diesmal innerhalb der EU-Gremien. Unter anderem solle noch einmal geprüft werden, wie sich im Handelsvertrag zusätzlich absichern lässt, dass Staaten hoheitlich Regeln setzen dürfen. Auch die Funktionsweise eines Schiedsgerichts wolle man sich noch mal anschauen .

Experten befürchten, mit TTIP drohe eine Art Sonderrecht für Multis vor internationalen Schiedsgerichten. Denkbar wäre auch, für Entscheidungen der Schiedsrichter eine Berufungsinstanz vorzusehen. "Es wäre falsch, die Schlussfolgerung zu ziehen, in den TTIP-Verhandlungen gar nicht über Investitionsschutz zu reden", sagt Ulrich Grillo, Chef der Industrielobby BDI. "Europa und die USA haben die Chance, ein modernes Investitionsschutzabkommen zu schaffen, das Vorbild für andere Abkommen wird." Zunächst gewinnt die Kommissarin Zeit, um die Wogen um TTIP zu glätten. Anfang Februar treten die Verhandler wieder zusammen. Streitpunkte gibt es auch ohne ISDS noch genug.

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