Bei uns in Buenos Aires:Die Kunst des Nichtstuns

Bei uns in Buenos Aires: In den Cafés von Buenos Aires darf man auch sitzenbleiben, wenn man scheinbar nichts tut.

In den Cafés von Buenos Aires darf man auch sitzenbleiben, wenn man scheinbar nichts tut.

(Foto: Natacha Pisarenko/AP)

Nur weil jemand aussieht, als habe er gerade keine Beschäftigung, heißt das noch lange nicht, dass er untätig ist - erst recht nicht in einem Café in Buenos Aires.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Ach, Buenos Aires! Was wärst du nur ohne deine Cafés? Einst beherbergten sie große Dichter und Denkerinnen, Borges, Cortazar, Sabato, Ocampo. Mal saßen sie auf Terrassen an Marmortischen unter schattigen Platanen und sinnierten, mal beugten sie sich im schummrigen Licht der Kronleuchter über ein Notizbuch, dazu noch ein starker cortado und eine süß-klebrige medialuna. Genies brauchen nicht mehr, um Wunder zu vollbringen.

Und wer weiß schon, ob da nicht auch gerade wieder jemand an einem Meisterwerk arbeitet? Die Kellner in Argentiniens Hauptstadt jedenfalls stören bis heute niemanden, bleibt er oder sie auch noch so lange sitzen. Nie wird ein Gast herausgeschmissen, und ist der Kaffee auf dem Tisch vor ihm auch noch so lange kalt. Nie wird auch nur vorsichtig nachgefragt, ob es noch etwas sein darf. An wahrscheinlich kaum einem anderen Ort auf der Welt kann man über Stunden hinweg so ungestört arbeiten wie in einem Café in Buenos Aires.

Und so kommt es, dass nun, mitten in der Pandemie, die Geschäftsstraßen in der Innenstadt verwaist sind und die schillernden Bürohochhäuser am Fluss fast leer stehen - die Cafés von Buenos Aires allerdings, die sind brechend voll. Denn auch wenn "Homeoffice" am Anfang für viele Argentinier noch ganz gut klang, so hat sich dann doch recht schnell herausgestellt, dass man eben nicht wirklich konzentriert arbeiten kann, wenn die Waschmaschine nebenan rumpelt und alle 20 Minuten eine Dreijährige schreiend ins Zimmer stürmt, erbost, weil der große Bruder die Tür seines Zimmers verschlossen hat.

Excellisten werden befüllt, Codes geschrieben, Angebote erstellt

Dann doch lieber arbeiten im Café. Allein: Einen Platz muss man erstmal bekommen. Längst bildet sich auch vor dem netten kleinen Nachbarschaftscafé mit Blick auf den Park tagtäglich eine Schlange. Jeder Tisch ist besetzt mit einem oder mehreren arbeitsamen Menschen, Excellisten werden befüllt, Codes geschrieben, Angebote erstellt. Geschäftiges Treiben allüberall, nur an einem Tisch nicht, etwas abseits in der Ecke. An ihm sitzt ein Gast, vor sich eine Zeitung - gedruckt wohlgemerkt - dazu eine Tasse Kaffee, ein Teller mit Gebäck, mehr nicht.

Die Zeit vergeht, die Stunden verrinnen, der Mann macht: nichts. Doch dann klingelt auf einmal sein Handy. Ja? Hallo? Nein, er könne gerade nicht, sagt der Mann in den Hörer, er sei bei der Arbeit.

Kurz fragt man sich: Ist man da gerade Zeuge einer Lüge geworden? Schon möglich. Andererseits: Vielleicht sitzt hier auch einfach abermals ein argentinisches Genie und denkt nach über ein neues, bahnbrechendes Meisterwerk. Möglich wäre es - und auch nicht das erste Mal. Ach, Buenos Aires!

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