Buchvorstellung von Otmar Issing:Hardliner der Geldpoltik poltert gegen EZB

Als "mutiges Experiment" bezeichnete Otmar Issing die europäische Währungsunion - und das schon 1998. Damals wollte es niemand hören, jetzt fühlt sich der Ex-Chefvolkswirt der EZB bestätigt. In seinem "Wirtschafts-Manifest" wettert er nun gegen die Arbeit seiner Kollegen.

Markus Zydra, Frankfurt

Es ist eine respektable Anzahl von Fotografen, die Otmar Issing umringen. Manch anderer würde sich vom Blitzlichtgewitter bedrängt fühlen, der 76-jährige frühere Notenbanker aber scherzt: "Ich komme mir vor wie ein Olympiasieger." Eine Prise Selbstironie schwingt in den Worten mit, aber der frühere Chefvolkswirt der Bundesbank und später auch der Europäischen Zentralbank (EZB) scheint die Aufmerksamkeit in diesem kleinen Raum über dem Handelssaal der Frankfurter Börse auch zu genießen.

Frueherer EZB-Chefvolkswirt warnt vor Inflation

Die politische Union Europas als Lösung des Problems? "Meinen Sie denn, irgendjemand in Deutschland will mehr Integration in Europa, wenn das bedeutet, dass wir noch mehr bezahlen müssen an andere Staaten?"

(Foto: dapd)

Denn schließlich zieht er, der geldpolitische Hardliner, mit der jetzt amtierenden Führung der EZB hart ins Gericht. Sie mache sich zum Büttel der Politik, außerdem drohe Inflation durch die Rettungsmaßnahmen der Notenbank. So in etwa steht das in seinem in Jägergrün gehaltenen Büchlein, das Issing an diesem Tag vorstellt. "Wirtschafts-Manifest" steht über dem Titel: "Wie wir den Euro retten und Europa stärken."

Issing, der sich selbst als "ökonomischer Realist" bezeichnet, macht auf dem Barhocker, eingerahmt von einem Moderator und dem Verleger, eine gute Figur. Das ist bemerkenswert, denn die gefährlich hohen Sitze mit den niedrigen Rückenlehnen sind eigentlich nichts für Männer über 45 Jahre. Doch Issing hält durch, er wirkt sportlich, spielt regelmäßig Tennis, und er hat Rückgrat.

Im Jahr 1998 wechselte Issing von der Bundesbank ins Direktorium der EZB. Er ist skeptisch und bezeichnet die Bildung der Währungsunion als "mutiges Experiment". Für einen Notenbanker waren das sehr klare Worte. Seine öffentlich vorgetragenen Zweifel kamen damals nicht gut an, aber sie waren rückblickend berechtigt. Dafür gibt es keine Medaille. Umso mehr fühlt er sich durch die aktuelle Entwicklung bestätigt.

"Immer mehr Rettungsmaßnahmen, und alle sagen, die Dosis müsse weiter erhöht werden. Das ist falsch", poltert er. Die politische Union Europas als Lösung des Problems? "Meinen Sie denn, irgendjemand in Deutschland will mehr Integration in Europa, wenn das bedeutet, dass wir noch mehr bezahlen müssen an andere Staaten?"

Issing hält nichts von den jüngsten Plänen der EZB

Issing mag diese rhetorischen Fragen. Man müsse doch nur einmal mit den Leuten reden, dann wisse man um die Skepsis in der Bevölkerung. "Ich werde in meinem Tennisklub immer darauf angesprochen", erzählt er. Manchmal werde ihm das zu viel. "Ich ziehe meine Turnschuhe nach dem Spiel ganz schnell aus und gehe."

Issing hält nichts von den jüngsten Plänen der EZB, alles zu tun, um den Euro zu retten. So hatte es EZB-Präsident Mario Draghi angekündigt. "Draghis Nachsatz, dass diese Rettungsmaßnahmen nur im Rahmen des EZB-Mandats geschehen sollten, hat in der Politik niemand gehört", sagt er. Er befürchtet, dass sich die Notenbank nun zum "Gefangenen der Politik" gemacht hat und Staatshaushalte finanziert. Das ist der EZB verboten.

Draghis Plan sieht vor, dass Spanien oder Italien einen Hilfsantrag beim Euro-Rettungsschirm ESM stellen, der Anleihen der betroffenen Staaten kauft, um so die Kreditzinsen dieser Länder zu senken. Erst dann, sagte Draghi, könnte die EZB weitere Anleihen kaufen. Issing hält den Konjunktiv für reine Fassade. "Glauben Sie im Ernst, die EZB sagt Nein, wenn die Politik die Bedingungen erfüllt hat?" Und überhaupt: "Wenn man der Politik Bedingungen stellt, dann ist die Notenbank Teil einer politischen Verabredung. Das ist keine Geldpolitik mehr."

"Italien hat bisher nichts getan, um den Arbeitsmarkt zu reformieren"

Otmar Issing, der Gastwirtsohn aus Würzburg, studierte nach dem Abitur zunächst Altphilologie, dann Volkswirtschaftslehre. Geld- und Währungstheorie faszinieren ihn. Er ist Autor von Grundlagenbüchern zu diesem Thema. Im Mai 1988 wird er zu einem der "Fünf Wirtschaftsweisen" berufen. Im Jahr 1990 wechselte der parteilose Issing in das Direktorium der Bundesbank.

Er ist bis heute Verfechter eines strikten Stabilitätskurses. Bezogen auf die Euro-Krise bedeutet das: "Spanien und Italien sollen ihre Probleme selbst lösen, schließlich sind sie auch dort verursacht worden." Italien habe in den Jahren der Währungsunion nur wenig Wachstum produziert - Ausdruck einer schlechten Politik, die Finanzkrise habe die Probleme nur akzentuiert.

"Italien hat bisher nichts getan, um den Arbeitsmarkt zu reformieren." Warum also sollte man helfen, zumal die aktuell hohen Zinsen doch gar kein Problem darstellten? "Die Portugiesen sparen und reformieren ihr Land, sie halten sich an Vereinbarungen", sagt Issing. "Was sollen die Portugiesen denken, wenn man anderen Staaten ständig Ausnahmeregelungen einräumt?"

Der Euro werde überleben, meint Issing, aber nicht mit allen Mitgliedern. "Euro-Phoriker tun dem Projekt keinen Gefallen. Wenn man sagt, alle Staaten bleiben drin, dann macht man sich erpressbar."

Auch die Bundesbank kaufte Staatsanleihen

Es klingt schlüssig, was er zu sagen hat, der Mozart-Fan bleibt seinem Ruf als geldpolitischer Falke treu. Und doch holt ihn dieser Tage etwas ein, was lange zurückliegt. In den Jahren 1967 und 1975, so steht es auch in Issings altem Standardwerk zur Geldpolitik, kaufte die Bundesbank deutsche Staatsanleihen in Milliardenhöhe. Sie tat also das, was sie nun an der EZB kritisiert. Auch das Ziel war damals identisch, denn diese Bond-Käufe sollten den Kreditzins drücken.

Früher dafür, jetzt dagegen? Issing schüttelt den Kopf: "Bei der EZB ist das etwas ganz anderes. Es gibt ja keinen europäischen Staat, und die EZB kauft Anleihen einzelner Euro-Staaten - vom einen, nicht aber vom anderen", kontert er und fügt hinzu: "Die amerikanische Notenbank kauft ja auch keine Anleihen des Bundesstaats Texas oder Kalifornien."

Doch damals wie heute wollten Notenbanker eine Notlage beheben, und ein wenig peinlich war es der Bundesbank dann schon. Viele Jahre lagen die Bonds in der Bilanz, erst ab 1990 sind sie portionsweise verkauft worden. Kaum jemand nahm davon Notiz.

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