Buchhandel:"Amazon ist kein Schicksal"

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Viele Lesefans haben ihre Bücher während der Pandemie im Internet bestellt.

(Foto: Surkov Vladimir /imago images)

Die Buchkette Thalia profitiert vom Ausbau ihres Internethandels. Sie will weitere Händler an sich binden - und so Amazon Konkurrenz machen.

Von Dieter Sürig

Als die Tübinger Buchkette Osiander ihre Läden wegen des Lockdowns nicht öffnen durfte, da war deren Besitzer Christian Riethmüller mitunter selbst stundenlang auf dem Fahrrad unterwegs, um Bestellungen seiner Kunden persönlich an die Haustür zu bringen. Osiander hat diesen Service schon vor Corona angeboten und ihn in der Krise weiter ausgebaut. "Unser Fahrradkurierangebot hat sich in der Pandemie bewährt", sagt Riethmüller. Und da Osiander eine gemeinsame Vertriebsgesellschaft mit der Buchhandelskette Thalia gegründet hat, werden auch dort künftig Fahrradkuriere unterwegs sein. "Das spielt eine wichtige Rolle bei lokalen Märkten", so Thalia-Chef Michael Busch, der nun womöglich mal selbst die Gelegenheit hat, beruflich in die Pedale zu treten. Zumal der Service auch noch gut fürs Klima sei, wie Busch während der Jahrespressekonferenz sagte.

Trotz der teils monatelangen Schließungen der Buchhandlungen von Dezember bis Mai konnte die Kette ihren Umsatz im Vergleich zum Geschäftsjahr 2019/20 um rund sieben Prozent auf mehr als 1,1 Milliarden Euro steigern - inklusive der etwa 80 Filialen in Österreich und der Schweiz, in Deutschland betreibt Thalia etwa 330 Filialen. Die Hagener Kette wächst damit stärker als die Branche, die dem Verband Börsenverein zufolge 2020 ein Umsatzplus von lediglich 0,1 Prozent und bis September 2021 von 3,9 Prozent erzielte. Trotzdem: "Insgesamt war Corona für uns eine harte Prüfung", sagt Busch. Zumal das wichtige Weihnachtsgeschäft komplett ausgefallen und der Umsatz in den Läden um etwa 16 Prozent zurückgegangen sei.

Andererseits hat das Unternehmen von dem Ausbau seines Internethandels profitiert. Innerhalb eines Jahres sei der Anteil der Internetplattform am Thalia-Umsatz um zwölf Prozentpunkte auf 40 Prozent gestiegen. "Die Krise hat uns in eine Position gebracht, die wir erst in zwei bis drei Jahren für möglich gehalten haben", sagt Busch. So sei das E-Commerce-Geschäft infolge der Ladenschließungen um 65 Prozent gewachsen, Thalia könne Umsatzschwankungen bei den Buchläden zumindest teilweise im Internetgeschäft ausgleichen. Allerdings sei der Anteil Thalias am Gesamtmarkt leicht auf 18 Prozent gesunken.

Eine wichtige Rolle spielt das E-Book, Thalia hat hier einen Marktanteil von 25 Prozent. Das Unternehmen gehört zu den Initiatoren der Tolino-Allianz, in der deutsche Buchhändler seit 2013 ein eigenes Lesegerät anbieten - als heimische Alternative zum US-Händler Amazon. Der Tolino habe 44 Prozent Marktanteil, Amazons Kindle etwa 50 Prozent, dies sei "weltweit einmalig", so Busch. In den USA bestreite Amazons Lesegerät 90 Prozent des Marktes, in Großbritannien sogar 95 Prozent.

"Wir bauen jetzt mit anderen Buchhändlern die bessere Plattform"

Offen ist allerdings, inwieweit die Konkurrenz durch andere Endgeräte künftig wachsen könnte. Dies sei letztlich auch eine Generations- und Budgetfrage, sagt Analyst Werner Ballhaus von der Beratungsfirma PwC. Er erwartet im aktuellen Media-Outlook bis 2025 bei E-Books ein jährliches Wachstum von durchschnittlich 1,4 Prozent. "Tendenziell erwarten wir jedoch, dass die Bedeutung der Lesegeräte langfristig abnehmen wird", sagt er - zugunsten anderer Endgeräte wie Tablets oder Smartphones. Zumal E-Books auch 2025 nur einen Anteil von 6,2 Prozent am Gesamtumsatz des Publikumsmarktes ausmachten "und damit auf einem niedrigen Niveau bleiben". 2020 waren es laut Branchenverband Börsenverein 5,9 Prozent.

Nach dem Vorbild der Tolino-Allianz will Busch dem US-Konzern jedoch auch in anderer Hinsicht Marktanteile abtrotzen. "Amazon ist kein Schicksal, wir bauen jetzt mit anderen Buchhändlern die bessere Plattform", sagt Busch. Hintergrund ist eine Einkaufs-, Vertriebs- und IT-Plattform, die Thalia allen Buchhändlern öffnet - gegen eine Lizenzgebühr. Prominentestes Mitglied ist die süddeutsche Kette Osiander mit 69 Filialen, die innerhalb dieses Partnerschaftsmodells zwar selbständig bleibt, aber mittlerweile komplett in die Plattform integriert ist. Rein optisch sieht die Webseite aus wie die Thalia-Welt, doch "wir werden nicht mit Thalia fusionieren", versichert Riethmüller, der früher eng mit der Mayerschen kooperiert hat, die seit 2019 zu Thalia gehört. Busch will weitere Buchhändler für seine Plattform gewinnen, kartellrechtliche Probleme sieht er nicht. Darüber hinaus versorgt Thalia zunehmend branchenfremde Kunden wie den Lebensmitteleinzelhandel und bestückt dafür rund 3600 Sortiments- und Aktionsflächen.

Kritik äußert Busch an der Corona-Entschädigungspolitik der Bundesregierung. So habe Thalia wegen der Schließungen bisher Gewinneinbußen von etwa 65 Millionen Euro gehabt, der Staat werde etwa 18 Millionen Euro erstatten. Dies sei "zu wenig". Fair wäre ein Anteil des Bundes von 50 Prozent gewesen.

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