Kommentar:Thalia wird zu mächtig

Kommentar: Illustration: Bernd Schifferdecker

Illustration: Bernd Schifferdecker

Die Buchkette Thalia will die Branche mit Allianzen vor dem Internetkonzern Amazon schützen. Doch damit wird sie selbst immer mächtiger - und macht andere von sich abhängig.

Von Dieter Sürig

Wer gerade in Stuttgart seine Weihnachtseinkäufe erledigt und ein schönes Buch für seine Lieben sucht, der mag es immer noch schmerzlich bemerken: Dort firmiert die Traditionsbuchhandlung Wittwer seit 2018 mit dem Namenszusatz Thalia, der Buchkette aus Hagen. Ähnlich mag es einem beim Shoppen in der Kölner Innenstadt mit der Mayerschen Buchhandlung ergehen. Sie ist zwar selbst eine Kette in Nordrhein-Westfalen, aber eine eher familiäre. Wo Mayersche draufsteht, ist Thalia mit drin, seit sich beide 2019 zusammengeschlossen haben, um wettbewerbsfähiger zu werden. Auch der Buchhändler Ulrich Röhm aus Leonberg in der Nähe von Stuttgart reicht seinen Laden gerade weiter - an Thalia. Am Eingang seines Geschäfts wird künftig Wittwer-Thalia prangen.

Über eine solche Verwässerung regionaler Marken kann man streiten. Thalia verweist bei den Übernahmen mitunter gerne auf die regionalen Eigenheiten der Buchläden, etwa wenn sich die Kette eine 230 Jahre alte Buchhandlung in Kempten einverleibt. Andererseits scheut sich Thalia aber auch nicht, ziemlich austauschbare Standorte des Gemischtwarenladens Weltbild zu übernehmen, angeblich um "wichtige Orte für das Lesen" zu erhalten. Thalia steht da nicht allein. Der Münchner Buchhändler Hugendubel hat bereits vor rund 15 Jahren die hannoversche Buchhandlung Schmorl aus der Insolvenz gerettet. Und auch Hugendubel hat gerade acht Weltbild-Filialen übernommen, ist aber bei Weitem nicht so aggressiv.

Bundesweit gibt es noch 5000 Buchhandlungen, doch die Verdichtung scheint sich immer mehr zu beschleunigen. Man mag die Lesekampagnen von Thalia begrüßen. Bei den Übernahmen geht es aber wohl kaum darum, regionale Lesekultur zu fördern. Es geht hier vielmehr um knallharte Expansionspolitik, auch wenn dies nicht immer so offensichtlich ist wie in Stuttgart oder Nordrhein-Westfalen.

Thalia-Chef Michael Busch streckt seine Fühler in alle Richtungen aus. Allen voran ist da die neue Vertriebsplattform zu nennen, über die möglichst viele unabhängige Buchhändler an das Thalia-Reich andocken sollen. Wenn es um einen solchen Schulterschluss geht, bemüht Thalia gerne das Narrativ, ein deutsches Gegengewicht zu Amazon bilden zu wollen, dem mächtigen Internetkonzern aus Amerika. So wie es seit 2013 mit einer anderen Thalia-Idee auch gelungen ist: dem E-Book-Lesegerät der deutschen Buchhändler, dem Tolino.

Durch die Zusammenschlüsse wird auch der Druck auf die Verlage erhöht

Doch auch wenn das Kartellamt bisher nichts gegen diese Vertriebsplattform einzuwenden hat: Thalia macht Buchhändler damit sehr abhängig von sich. Aus dem Tolino-Programm können Händler schnell aussteigen. Aber den Vertrieb mit Einkauf, Internetshop und IT wieder komplett umzubauen, wenn jemand mit den gebührenpflichtigen Thalia-Konditionen nicht mehr einverstanden ist: Das ist nicht ganz so trivial. Thalia bietet den Konkurrenten - und nichts anderes sind die anderen Buchhändler für den Konzern - nicht mehr nur Vitamintabletten im Kampf gegen Amazon an. Das sind vielmehr Operationen am offenen Herzen.

Auch die südwestdeutsche Buchkette Osiander mit rund 70 Filialen nutzt die neue gemeinsame Vertriebsplattform, um "Prozesse effizienter gestalten und Kosten senken zu können", wie sie sagt. Etwa 30 Logistik-Mitarbeiter von Osiander bekamen die Vorteile auch gleich hautnah zu spüren - und mussten gehen. Als sich die Mayersche 2019 Thalia anschloss, hatte die Osiander-Familie Riethmüller noch stets beteuert, diesem Vorbild des ehemaligen Kooperationspartners sicher nicht folgen zu werden. Ein Jahr später haben die Riethmüllers gemeinsam mit Thalia die Osiander-Vertriebsgesellschaft gegründet - die sich übrigens in Mehrheitsbesitz von Thalia befindet. Osiander werde ein eigenständiges Unternehmen bleiben, hieß es gerade zum 425-jährigen Bestehen. Die Frage ist: Wie lange noch?

Bei solchen Zusammenschlüssen sollte das Kartellamt auch aus anderen Gründen genauer hinschauen. Die Konzentration des Buchhandels erhöht den Druck auf kleine Buchläden, konfrontiert aber auch Verlage mit drastischeren Rabattforderungen der Ketten. Und wenn das Kartellamt entgegnet, den Verlagen stünden ja auch Absatzalternativen zur Verfügung, dann klingt das ziemlich zynisch: Die Verlage sind sehr abhängig von ihren Absatzwegen. Deswegen können sie sich auch nicht einfach von Amazon lösen, selbst wenn sie es wollten. Ganz ähnlich wird es ihnen mit Thalia gehen.

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