Die Frage, wie Sahra Wagenknecht die Welt sieht, ist nicht einfach zu beantworten – die ehemalige Linken-Politikerin ist seit jeher eine Meisterin des Ungefähren. Sie verwebt Selbstverständlichkeiten mit abenteuerlichen Verkürzungen, sie mischt Stammtisch-Logik mit Bildungsbürger-Tonalität, sie macht mit einem Wisch aus Fakten vage Vermutungen und umgekehrt. Die Frage, wie Sahra Wagenknecht die Welt sieht, ist spätestens seit den Ergebnissen der Landtagswahlen im Osten im September aber von Bedeutung für die gesamte Bundesrepublik: An Wagenknechts Überlegungen hängt das Zustandekommen von Landesregierungen, vor allem aber haben sie längst Einfluss auf die Debatte im Land.
Am frühen Dienstagabend gab Wagenknecht auf der Bühne des SZ-Wirtschaftsgipfels ein Interview – es war eine gute Gelegenheit, die Methode Wagenknecht aus nächster Nähe zu beobachten.
Gefragt, wem sie sich politisch am nächsten fühle – dem russischen Machthaber Putin, dem künftigen US-Präsidenten Trump oder dem potenziell künftigen deutschen Kanzler Friedrich Merz – wollte Wagenknecht Merz zwar nicht zu ihrem Favoriten erklären. Sie ließ aber wissen, dass einen „weder mit Putin noch mit Trump allzu viel verbinden sollte“. Ihre viel diskutierte Haltung zum Krieg in der Ukraine, die Ablehnung weiterer Waffenlieferungen, sei mit ihrer Sorge zu erklären, „dass wir zerrieben werden“. Zerrieben zwischen Interessen der USA auf der einen, und jenen der BRICS-Staaten rund um Russland und China auf der anderen Seite. Deshalb dürfe Deutschland nicht „unterwürfiger Partner der USA“ sein.
Stattdessen, so Wagenknecht, müsse man eine interessengeleitete Politik machen, eine die zum Beispiel stabile und niedrige Energiepreise zum Ziel habe. Das kann man nicht anders verstehen als ein Plädoyer für ein Ende der Unterstützung für die Ukraine. Wagenknecht schien das, nicht nur an diesem Abend, nicht problematisch zu finden: Schließlich hätten zweieinhalb Jahre Waffenlieferungen die Ukraine einem Sieg über Russland keineswegs nähergebracht. Nicht einmal die Verhandlungsposition des überfallenen Landes sei gestärkt worden, im Gegenteil, sie werde immer schwächer. „Es ist doch überhaupt nicht realistisch, dass die Ukraine diese Gebiete mit Waffengewalt zurückerobern könnte.“
Stabile und niedrige Energiepreise als Ziel im Ukrainekrieg
In Wagenknechts Darstellung bräuchte es also dringend Initiativen für Friedensgespräche – und dass es an Wladimir Putin liegen könnte, dass es diese Friedensgespräche nicht gibt, war für Wagenknecht keineswegs ausgemacht. Es gebe „positive Signale“, sagte die Politikerin, sie ortete auch eine „Bereitschaft“ für einen Waffenstillstand an der aktuellen Frontlinie. Gleichzeitig räumte sie ein, „auch nicht mit näheren Informationen gesegnet“ zu sein. Dennoch sei überhaupt nicht bewiesen, dass Putin keinen Frieden wolle. Vielmehr „werfe ich der Politik in Deutschland, aber auch der europäischen Politik vor, dass sie nicht viel mehr getan hat, dass man sich nicht viel mehr bemüht hat.“
Mit dieser Haltung zum Konflikt hat Wagenknecht auch die Koalitionsgespräche in den Ländern beeinflusst. In Sachsen ist die Idee eines Bündnisses aus CDU, SPD und BSW schon geplatzt, in Thüringen versucht die BSW-Landeschefin Katja Wolf in einem filmreifen Machtkampf eine Dreier-Koalition durchzusetzen, gegen den offensichtlichen Willen ihrer Bundesparteivorsitzenden Wagenknecht.
Das gibt einen Ausblick, wie es laufen könnte, wenn bei der Bundestagswahl im Februar das BSW seinen Erfolgslauf fortsetzen würde. Sie hoffe jedenfalls auf eine neue Bundesregierung, die ein Konzept habe, „wie wir aus dieser schweren Krise wieder rauskommen“, so Wagenknecht. Das Land brauche soziale Sicherheit, aber auch Investitionen in Infrastruktur, digitale Netze, in die Schiene. Deshalb müsse die Schuldenbremse reformiert werden, Zukunftsinvestitionen sollten von der Schuldenbremsenregelung ausgenommen sein. Das sei notwendig, denn: „Die Bundesrepublik ist nicht mehr das, was sie mal war.“