Süddeutsche Zeitung

Briten geben Blockadehaltung auf:EU einigt sich auf schärfere Bankenregeln

London macht den Weg frei: Die EU-Finanzminister einigen sich auf straffere Eigenkapitalregeln. Für die Banken würde das bedeuten, dass sie ihre Geschäfte künftig weit besser als bisher absichern müssen. Doch ausgerechnet den bankenfreundlichen Briten gehen die neuen Regeln nicht weit genug.

Kathrin Haimerl, Brüssel

Am Ende zahlt immer der Steuerzahler. Die großen Banken wissen, dass der Staat sie kaum pleitegehen lassen würde. Die Finanzkrise hat gezeigt, wie gefährlich es für die Wirtschaft wird, wenn die Banken taumeln. Doch damit die Finanzindustrie den Staat nicht länger als Geisel nehmen kann, erhöht die Politik nun die Anforderungen an die Banken. Lange hatte dies Großbritannien auf EU-Ebene blockiert. Vor zwei Wochen hatte der britische Schatzkanzler George Osborne den Reformweg namens Basel III noch abgelehnt. London ist ein Zentrum der globalen Finanzwelt. Doch jetzt machte Osborne den Weg frei für schärfere Spielregeln.

Das Treffen Anfang Mai hatte bis zwei Uhr nachts gedauert - ohne Einigung. Im Gegenteil: "Ich bin nicht bereit dazu, dort rauszugehen und etwas zu sagen, was mich fünf Minuten später wie einen Idioten aussehen lässt", war es aus Osborne herausgeplatzt - ungewöhnlich deutliche Worte für die sonst so um Diplomatie bemühte Brüsseler Bühne.

Ganz anders der Tonfall an diesem Mittwoch: "Wir können der Grundsatzeinigung zustimmen", verkündete Osborne, noch bevor das Treffen der EU-Finanzminister zu Ende war.

Großbritannien macht damit den Weg frei für eine strengere Bankenregulierung: Von 2013 an sollen Banken schrittweise bis 2019 die Quote des harten Kernkapitals von derzeit zwei auf sieben Prozent erhöhen. Den Briten war das nicht weit genug gegangen, sie hatten höhere nationale Spielräume gefordert, um diese Quote in bestimmten Fällen auf bis zu zehn Prozent zu erhöhen.

Kreisen zufolge sind die EU-Finanzminister den Briten in dieser Forderung entgegengekommen, sofern die erhöhte Quote dann einheitlich für alle EU-Länder gelte.

Bereits im Vorfeld hatte die dänischen Ratspräsidentschaft durchblicken lassen, dass sie ein erneutes Scheitern der Gespräche nicht dulden würde. Zwar sei man um einen "größtmöglichen Kompromiss" bemüht, hieß es in schönster EU-Diplomatensprache. Doch auf Nachfrage schlossen die Dänen auch ein qualifiziertes Mehrheitsverfahren nicht aus, bei dem dann keine Einstimmigkeit mehr notwendig gewesen wäre - was als deutliches Signal in Richtung der Briten gewertet wurde.

Finanzminister Wolfgang Schäuble zeigte sich im Anschluss an das Treffen mit den Verhandlungen sehr zufrieden. Er sprach von einem "großen Schritt", den man vorangekommen sei. "Wir haben gut gearbeitet, ein sehr gutes Ergebnis erzielt und die Verhandlungen zu einem vernünftigen Ende geführt", sagte Schäuble.

Was beinhaltet der Entwurf der Kommission?

Bei der sogenannten Eigenkapitalrichtlinie IV handelt es sich um die europäische Umsetzung der Basel-III-Empfehlungen, es geht also um die wichtigste Neuregelung des Bankensektors seit der Finanzmarktkrise 2008/2009. Das war auch der Grund, warum die Dänen bei dem ersten Treffen so sehr um Konsens mit den Briten bemüht waren: Man wollte den wichtigen Finanzstandort London bei der Suche nach einem Kompromiss nicht außen vor lassen.

Kernpunkt der Verordnung ist unter anderem eine bessere Kapitalausstattung der Banken. Als wichtigste Kennzahl gilt dabei das harte Kernkapital, wozu vor allem Aktien und einbehaltene Gewinne zählen. Bis 2013 soll die Quote des harten Kernkapitals von derzeit zwei auf 3,5 Prozent steigen, in weiteren Schritten dann bis 2019 auf sieben Prozent. Ziel der Regelung ist es, dass bei neuerlichen Turbulenzen an den Finanzmärkten nicht erneut der Steuerzahler aufkommen muss. Sollten sich die Banken nicht an die neuen Regeln halten, müssen sie mit Bußgeldern in Höhe von bis zu zehn Prozent der Erträge rechnen.

Darüber hinaus sieht die Verordnung einen Liquiditätspuffer vor. Dieser soll von 2015 an dafür sorgen, dass Banken auch in Krisenzeiten flüssig sind. Teil der Verordnung ist außerdem eine Verschuldungsgrenze (Leverage Ratio), die im kommenden Jahr entwickelt werden soll. Allerdings ließ die Kommission zunächst offen, ob die Banken das Schuldenlimit zwingend einhalten müssen. Danach darf die Bilanzsumme einer Bank maximal das 33fache des Kernkapitals ausmachen. Neben der Verordnung soll die neue Regulierung auch aus einer Richtlinie bestehen, die die Felder Unternehmensführung, Aufsicht und Geschäftspraxis umfasst. (Den Entwurf der EU-Kommission finden Sie hier)

Worum ging der Streit zwischen den EU-Finanzministern?

Besonders Deutschland und Frankreich pochten in den Verhandlungen auf möglichst einheitliche Kapitalquoten in allen EU-Ländern, um so die Banken der Europäischen Bankaufsichtsbehörde (EBA) unterstellen zu können. Sie fürchteten, dass sich eine einheitliche Aufsicht bei 27 unterschiedlichen Regelwerken als sehr schwierig herausstellen würde. Die Vorschriften würden etwa 8300 Geldhäuser und Finanzinstitutionen in der EU betreffen. Derzeit sind die Bankensektoren in den einzelnen Staaten noch sehr unterschiedlich geregelt.

Großbritannien führte das Lager jener Länder an, die mehr nationale Handlungsfreiheit forderten. Nun könnte man meinen, dass sich Großbritannien mit seinem starken Bankensektor gegen eine stärkere Regulierung des Eigenkapitals stellen würde. Das Gegenteil aber war der Fall: Die Briten beharrten auf ihrem Recht, im eigenen Land striktere Vorschriften anwenden zu können. Der Grund dafür ist einfach: In Großbritannien liegt die Bilanzsumme der Banken um ein mehrfaches höher als die Wirtschaftsleistung. Je mehr Kernkapital eine Bank hat, desto länger kann sie davon zehren, bevor der Staat einspringen muss. Besonders erzürnt waren die Briten auch über einen Vorschlag Frankreichs. Paris wollte den Banken ein Schlupfloch lassen: Jenen Banken, die auch Versicherungen besitzen, sollte eine doppelte Veranschlagung der Kapitalreservern erlaubt werden.

Die dänische Ratspräsidentschaft versuchte daraufhin, die Lager mit Hilfe eines Kompromissvorschlags zu besänftigen: Demnach dürften einzelne Länder den ursprünglich bis drei Prozent begrenzten Kapitalpuffer auch ohne Zustimmung der Kommission auf bis zu fünf Prozent für Risiken aus Inlandsforderungen anheben. Auch für andere Staaten kann der Risikopuffer gelten, allerdings muss die EU-Kommission informiert werden. Überdies ist ein Vermittlungsverfahren der EBA nötig, sofern das betroffene Land damit nicht einverstanden ist.

Der Kompromissvorschlag, den die Dänen spätnachts bei dem Treffen Anfang Mai vorlegten, ging den Briten allerdings nicht weit genug. An diesem Mittwoch aber präsentierte die Ratspräsidentschaft eine Änderung im Text, mit der sich London EU-Diplomaten zufolge zufrieden gab: In bestimmten Fällen darf Großbritannien die Quote des harten Kernkapitals auch ohne die Zustimmung der Kommission auf bis zu zehn Prozent erhöhen - unter der Voraussetzung, dass diese Quote einheitlich auf alle EU-Länder angewandt wird.

"Die heutige Einigung ist ein wichtiger Schritt hin zu einem sichereren und stärkerem europäischen Bankensystem, einem, das den Steuerzahler davor schützt, die Rechnung dafür zu zahlen, wenn die Dinge wie in den vergangenen Jahren schief gehen", teilte ein Sprecher der britischen Regierung auf SZ-Anfrage mit. (Hier die Haltung der Briten)

Wie ist die Haltung des Europaparlaments?

Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (Econ) des Europaparlaments einigte sich am Dienstagabend auf eine gemeinsame Verhandlungsposition. Die Parlamentarier setzen sich für noch strengere Regeln ein: Demnach sollen die Länder für "systemisch wichtige" Banken einen Kapitalpuffer von bis zu zehn Prozent verlangen dürfen. Nach dem Willen des Parlaments soll die Schuldengrenze verbindlich gelten und für "global systemrelevante Banken" drastisch erhöht werden. Darüber hinaus fordern die Abgeordneten strengere Vorgaben für Banker-Boni. Diese sollen sich in Zukunft auf maximal 100 Prozent des Fixgehalts beschränken. (Zur Haltung des Parlaments)

Mit dem Beschluss der EU-Finanzminister gehen die Verhandlungen um die neue Bankenregulierung in die entscheidende Phase: Bis zum Sommer müssen sich Parlament und Rat einigen. Denn vom 1. Januar 2013 an soll Basel III gelten.

Finanzminister Schäuble jedenfalls gab sich bei der Pressekonferenz nach dem Ecofin-Treffen zuversichtlich, den Zeitplan einhalten zu können: "Wir schaffen es, Basel III fristgerecht umsetzen zu können."

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