China-Importe:Brisanter Verdacht gegen Solarfirmen

Solar Cell Production Inside A Trina Solar Ltd. Photovoltaics Plant

Produktion von Solarzellen in China: unschlagbar günstig.

(Foto: Tomohiro Ohsumi/Bloomberg)
  • Mehrere Solarfirmen aus China und Deutschland sollen die sogenannten Anti-Dumping-Zölle umgangen haben. Damit schützt die EU eigentlich die europäische Solarbranche vor chinesischen Billig-Solaranlagen.
  • Insgesamt geht es um eine halbe Milliarde Euro, die nicht abgeführt wurde.
  • Die Dimension dieser Angelegenheit ist groß: Möglichweise droht ein neuer Handelskrieg mit China.

Von Markus Balser, Berlin

Die geheimnisvollen Absender kommen schnell zur Sache. "Wir machen das ziemlich oft", heißt es freimütig in einer Mail aus China. Man werde den wegen des Handelsstreits vorgeschriebenen Mindestpreis für Solarzellen einfach nur zum Schein berechnen - und einen Teil des Geldes zurückzahlen - über ein Offshore-Konto in Hongkong. "Wie finden Sie das?", will man in China von möglichen deutschen Kunden wissen.

Der Absender dürfte darauf bald eine Antwort bekommen - möglicherweise allerdings von deutschen Strafverfolgern. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ermitteln deutsche und europäische Behörden in einem politisch wie wirtschaftlich höchst brisanten Fall. Im großen Stil und mit krimineller Energie sollen Solarfirmen versucht haben, europäische Anti-Dumping-Regeln gegen China zu umgehen. Es geht um den Verdacht gefälschter Papiere, mögliche Kick-back-Zahlungen, illegale Handelsrouten - und einen geschätzten Schaden von vielen Hundert Millionen Euro für den EU-Haushalt. Vor allem aber geht es um die weltweite Vorherrschaft auf einem Zukunftsmarkt: dem Milliardengeschäft mit Solarenergie.

Schon die Reihe der Beteiligten lässt erahnen, was auf dem Spiel steht. Deutsche Zollbehörden und Staatsanwaltschaften sind in die Ermittlungen ebenso involviert wie das Bundesfinanzministerium und das europäische Amt für Betrugsbekämpfung in Brüssel, Olaf. "Gemeinsam mit dem Olaf haben die deutschen Behörden mögliche Einfuhren von Solarpaneelen ermittelt, bei denen der Verdacht besteht, dass Antidumpingzölle umgangen wurden", bestätigt das Berliner Finanzministerium. "Die entsprechenden Verfahren dauern noch an." Olaf äußert sich unter Verweis auf die grundsätzliche Vertraulichkeit von Ermittlungen nicht - auch um mögliche Untersuchungen nicht zu gefährden.

Die Bundesregierung ist angesichts des Ausmaßes der Vorwürfe alarmiert

Die Bundesregierung ist angesichts des Ausmaßes der Vorwürfe alarmiert. "Die europäischen Behörden haben sehr viele Unternehmen benannt, die verdächtigt werden, an der Umgehung von Abgaben beteiligt zu sein", teilt das Finanzministerium mit. Ein Brancheninsider spricht gar von mehr als 1000 möglichen Verletzungen des Abkommens mit China. "In Deutschland besteht der Verdacht, dass mindestens zwölf Unternehmen chinesische Solarpaneelen unter Umgehung von Antidumpingzöllen eingeführt haben", erklärt das Finanzministerium.

Wer die Bedeutung der Vorwürfe verstehen will, muss zwei Jahre zurückschauen auf den Beginn eines milliardenschweren Handelsstreits. Nach einer beispiellosen Pleitewelle in Europas Solarbranche und dem Verlust Tausender Jobs wirft die Europäische Kommission Herstellern der Volksrepublik vor, mit wettbewerbsverzerrenden Staatskrediten und künstlichen Niedrigpreisen - kurz: Dumping - die hiesige Konkurrenz aus dem Markt zu boxen. Die Folge: Europa führt Ende 2013 Mindestpreise und Strafzölle auf Solarzellen und -module aus China ein, um die verbliebenen Hersteller, etwa den Bonner Solarworld-Konzern, zu schützen.

Schnell wurde klar: Brüssel löste ein politisches Beben aus. Denn als die Kommission Peking mit Strafmaßnahmen drohte, folgte die Rache umgehend: Stahl, Chemie, Wein, Autos - nichts war sicher vor der Vergeltung Chinas. Denn binnen weniger Jahre hatte China die größte Solarindustrie der Welt aufgebaut - und deren größter Markt war Europa. Aus Angst vor einem eskalierenden Handelskrieg hatte sich vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen noch härtere Strafen starkgemacht. Denn umgekehrt ist die asiatische Großmacht der mit Abstand größte Markt für deutsche Exporteure in Asien. Am Ende stand ein Kompromiss: Chinesische Hersteller dürfen weiter nach Europa liefern - bestimmte Preisgrenzen aber nicht unterschreiten. Sonst greifen die Strafzölle. Doch nun legen neue Hinweise den Verdacht nahe, dass China den Angriff keineswegs abgeblasen hat. Fahnder hefteten sich in Hamburg, Baden-Württemberg und Bayern an die Fersen von Verdächtigen.

Der Zoll in Nürnberg bestätigt "Ermittlungen wegen des Verdachts der möglichen Umgehung von Antidumping- und Ausgleichszöllen für Solarzellen und -module". Tatsächlich liefen derzeit bundesweit und auch in Baden-Württemberg entsprechende Ermittlungen, erklären auch Stuttgarter Zollfahnder. Die Staatsanwaltschaft in Hamburg verweist auf das Steuergeheimnis und lehnt einen Kommentar ab. Vertrauliche Mail-Wechsel deuten an, wie aggressiv Chinas Solarbranche in Europa vorgeht. Unverblümt bieten Lieferanten an, hiesige Behörden mit gefälschten Etiketten zu täuschen, um den Preis zu senken. Es gebe dafür drei mögliche Transitrouten, heißt es in Dokumenten. So sollen Taiwan, Thailand und Malaysia zum Schein als Herstellerländer dienen. Dort würden dann aber nur Papiere und Container gewechselt. Auf solche Tricks deuten auch statistische Daten hin. So legten im vergangenen Jahr Exporte aus China nach Taiwan um ein Volumen von rund 400 Megawatt zu. Im gleichen Jahr stieg der Import aus Taiwan nach Europa der Branche zufolge um den exakt gleichen Umfang.

Auch Käufer müssen strafrechtliche Konsequenzen fürchten

Chinas Industrie hält es offenbar für ein Kinderspiel, das Abkommen mit Europa zu umgehen. "Wir können Ihnen garantieren, dass Sie die Anti-Dumping-Zölle nicht zahlen müssen", verspricht ein Lieferant. Für die Fahnder sind kriminelle Machenschaften tatsächlich schwer zu durchschauen. "Ein Erkennen von Missbräuchen ist extrem schwierig, da die bei der Einfuhr vorgelegten Dokumente häufig echt sind und erst später aufwendig festgestellt werden wird, dass diese beispielsweise aufgrund falscher Angaben von kriminellen Personen ausgestellt wurden", heißt es im Bundesfinanzministerium. Der europäische Solar-Branchenverband EU Prosun hatte sich erst kürzlich bei der EU-Kommission über unfaire Praktiken der chinesischen Konkurrenz beschwert. Chinas Solarfirmen umgingen beim Import nach Europa Zölle in Höhe von 500 Millionen Euro, sagt EU-Prosun-Präsident Milan Nitzschke. Bis zu 30 Prozent der chinesischen Solarimporte würden am Zoll vorbeigeführt, schätzt der Verband.

Neue Eskalation im Handelsstreit

Mit den Ermittlungen droht der Handelsstreit zwischen China und Europa nun erneut zu eskalieren. Der Druck auf die Kommission wächst, die Einfuhrbeschränkungen zu verlängern, wenn sie im Dezember auslaufen. Nach SZ-Informationen prüfen Teile der Solarbranche in Europa, dann sogar eine Ausweitung der Strafmaßnahmen zu beantragen. Politikern in Brüssel schwant, dass eine neue Eiszeit mit Peking drohen kann. In der europäischen Solarbranche ist die Eskalation indes umstritten. Während Hersteller von Modulen strengere Regeln befürworten, lehnen Zulieferer und Maschinenbauer dies ab. Sie beliefern auch chinesische Anbieter und müssten um ihr Geschäft fürchten.

Auf deutschen Dächern und Feldern könnte der Streit unterdessen skurrile Folgen haben. Denn nicht nur Importeuren drohen Steuerstrafverfahren und in der Konsequenz Bußgelder, in schweren Fällen Gefängnis. Auch Kunden, die sich aktiv auf dubiose Importe einlassen, müssten Zollnachzahlungen und strafrechtliche Konsequenzen fürchten, sagt Isabel Ludwig von der Kanzlei Rödl & Partner. Läuft es ganz schlecht, ist die Anlage weg - und der Staat um einen Solarpark reicher: In letzter Konsequenz kann der Zoll sogar ganze Kraftwerke pfänden.

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