Bric-Staaten:Die gestolperten Stars

China, Brasilien und Co. sorgten 15 Jahre für globale Konjunktur. Jetzt könnte ihr Boom erst einmal für eine ganze Weile abflauen. Dazu droht eine Flucht der Investoren.

Von Alexander Hagelüken

Seit der Jahrtausendwende war es die globale Erfolgsgeschichte: Der Aufstieg der Schwellenländer zog die Weltwirtschaft und verhalf Deutschland zu Exportrekorden. Günstige Arbeitskräfte, gefragte Rohstoffe und ein beispielloser industrieller Aufholprozess entfachten einen Boom, nachdem die Schwellenländer in den 80er- und 90er-Jahren kaum rascher gewachsen waren als der reiche Westen. Als die US-Bank Goldman Sachs dann so unterschiedlichen Nationen wie Brasilien, Russland, Indien und China das Etikett Bric-Staaten aufklebte, war das Ganze für Anleger mundgerecht.

Nun verschlägt es manchem den Appetit: Chinas Wirtschaft dürfte 2015 unter sieben Prozent wachsen, nach durchschnittlich fast zehn Prozent seit 1999. Russland und Brasilien zwingt unter anderem der Preiscrash bei Rohstoffen (und im Fall Russlands die politische Isolation) in eine tiefe Rezession. Die Rohstoffpreise können wieder steigen. Doch angesichts der Rutschpartie der Schwellenländer stellt sich die Grundsatzfrage: Verlieren die Argumente für den Boom ihre Gültigkeit? Geht die Erfolgsgeschichte der Schwellenländer nach eineinhalb Dekaden zu Ende? Für den Westen mit seinem teils anämischen Wachstum und deutlich gestiegenen Schulden wäre es jedenfalls bedrohlich, wenn der Vitaminschub ausbleibt.

Falls die US-Notenbank die Zinsen anhebt, könnte Kapital zu lohnenderen Anlagen abwandern

Professor Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle warnt vor zu viel Pessimismus. Er sieht bei den Schwellenländern eine Normalisierung, kein Drama. "Diese Staaten haben alle hohes Potenzial. Langfristig würde ich mir da keine großen Sorgen machen - das gilt für alle Länder, wenn sie ihre Probleme in den Griff bekommen." Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erwartet dagegen, dass sich der Wachstumsvorsprung der Emerging Markets gegenüber dem Westen weiter reduziert. Wer sich umhört, entdeckt vor allem zwei belastende Trends.

Construction workers take a nap in front of a wall of a construction site during their lunch break in Beijing

Angst vor dem Jobverlust: Bauarbeiter in Peking.

(Foto: Kim Kyung-Hoon/Reuters)

Der erste Faktor ist finanziell. Viele Schwellenländer fluteten ihre Volkswirtschaften nach US-Vorbild seit der Jahrtausendwende im Prinzip durchgehend mit billigem Geld. "Deshalb fiel der Boom unnatürlich stark aus", glaubt Krämer. Nun scheint diese expansive Phase zu enden: Die Leitzinsen sind im Schnitt erstmals wieder auf das Niveau gestiegen, das nach der Taylor-Regel des gleichnamigen US-Ökonomen zu Produktion und Inflation passt - die Zentralbanken pumpen die Volkswirtschaften also nicht mehr auf. Warum? Sie müssen zum Beispiel die Zinsen erhöhen, damit ihre Währungen gegen den starken US-Dollar nicht zu sehr abwerten und so Instabilität wie Hochinflation importieren. Die Schwellenländer sind anfälliger geworden: Die Schulden von Staat und Privaten explodierten in den Bric-vier plus Südafrika seit 2000 von 120 auf 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Chinas Modell etwa setzte lange darauf, mit hohen Investitionen die Wirtschaftsleistung auszuweiten - und die Investitionen durch billiges Geld und höhere Schulden anzufachen. Indem die Regierung die Kredite drosselt, um die negativen Folgen der bisherigen Politik zu begrenzen, verzichtet sie auf Wachstum.

So weit der Status quo. Und der Ausblick ist unangenehm: Falls die US-Notenbank wie immer noch erwartet dieses Jahr erstmals seit Langem wieder die Zinsen anhebt und der Dollar damit weiter steigt, droht neues Ungemach. Aus den Schwellenländern könnte Kapital hin zu lohnenderen US-Anlagen abwandern. Und für alle Staaten und vor allem Firmen, die sich einst billig in Dollar verschuldeten, wird die Rückzahlung mit Einnahmen aus ihren sinkenden Währungen teuer - diese Schulden der Schwellenstaaten stehen inzwischen bei satten 4,5 Billionen Dollar, ein Drittel höher als vor der Finanzkrise. Natürlich können die Staaten diese negativen Effekte durch höhere Zinsen eindämmen. Aber dann handeln sie sich ein anderes Problem ein: Sie bremsen ihre Wirtschaft ab. Wie sehr die Zinspolitik der Weltwährung Dollar Schwellenländer durchschüttelt, war schon 2013 zu sehen, als die USA ihre Wende weg vom billigen Geld einleitete.

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Zu den monetären Faktoren kommen zum zweiten realwirtschaftliche Gründe, die das Wachstum der Schwellenländer begrenzen. Die Länder sind auch Opfer ihres eigenen Erfolgs. Als Millionen Chinesen von Bauern zu Fabrikarbeitern wurden, wuchs ihre Wirtschaftsleistung pro Kopf rasant. Dieser Anstieg fällt schwächer aus, wenn sie jetzt von Fabrikarbeitern zu besser qualifizierten Fabrikarbeitern werden - je mehr sich die technologische Lücke zum Westen schließt, desto mehr drückt das auf die Wachstumsraten. Dämpfend wirkt auch die Alterung der Bevölkerung, die zwar nicht in allen Schwellenländern stattfindet, aber etwa in China, Russland oder Brasilien. Die Zunahme der Arbeitskräfte, die vorher die Wirtschaftsleistung hochtrieb, ist jetzt gebremst.

Nimmt man alle diese belastenden Faktoren zusammen, spricht einiges dafür, dass das Wachstum der Schwellenstaaten in den nächsten Jahren schwächer ausfällt. Der Internationale Währungsfonds IWF sagte für die Zeit bis 2020 einst sieben Prozent pro Jahr voraus. Inzwischen sind es nur noch fünf Prozent. Das wäre im Vergleich zum Westen immer noch viel - aber doch deutlich weniger als zu Boomzeiten, als China, Indien oder Brasilien mit Raten von acht bis 14 Prozent wuchsen. Der Westen wird das spüren.

Wie es wirklich kommt, ist nicht gottgegeben. Die Regierungen haben es in der Hand, die Aussichten ihrer Länder zu verbessern - so durch mehr Bildung, Forschung und eine bessere Infrastruktur. Die Perspektiven der unter das Etikett Bric gezwängten Staaten etwa sind denn auch sehr unterschiedlich (siehe Artikel unten).

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