Brexit:Darum fürchten deutsche Unternehmen den Brexit

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Mehr als 2500 deutsche Unternehmen haben Niederlassungen in Großbritannien und beschäftigen dort rund 370 000 Mitarbeiter - das ist mehr als ein Prozent der britischen Arbeitnehmer.

(Foto: Bloomberg)
  • Die deutsche und britische Wirtschaft sind eng miteinander verwoben. Ein Brexit würde deshalb auch deutsche Unternehmen unmittelbar betreffen.
  • Mehr als 2500 deutsche Unternehmen haben Niederlassungen in Großbritannien und beschäftigen dort rund 370 000 Mitarbeiter - das ist mehr als ein Prozent der britischen Arbeitnehmer.
  • Darüber hinaus ist Großbritannien ein wichtiger Exportmarkt - Deutschland exportierte 2015 Waren im Wert von 90 Milliarden Euro auf die Insel.

Von Caspar Busse

Die Unruhe wird größer, die Nervosität steigt, auch bei den deutschen Unternehmen. Brexit - das ist in den Chefetagen ein brisantes Thema. Steigen die Briten tatsächlich aus der Europäischen Union aus? Nur noch gut fünf Wochen sind es bis zum Referendum in Großbritannien. Im schlimmsten Fall, so eine Studie der DZ Bank, würde ein Brexit die deutsche Wirtschaft 45 Milliarden Euro alleine bis 2017 kosten und das Land möglicherweise sogar in eine Rezession stürzen. Profitieren würde mit Sicherheit vor allem eine Berufsgruppe: Berater und Anwälte, die die Unternehmen dann auf die neue Lage vorbereiten müssten und dafür hohe Rechnungen schreiben könnten.

Aber so weit ist es noch nicht. Warnungen und düstere Szenarien gibt es jedoch genug. "Ich glaube, der Schaden eines Brexit wäre für beide Seiten groß", warnt Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Es drohe ein mehrjähriger Verhandlungsprozess über zigtausende unterschiedlichste Verträge. Es gehe dann um Fragen des Marktzugangs, um regulatorische Standards und vieles mehr. Alle würden versuchen, aus den dann folgenden Verhandlungen ihre Vorteile zu ziehen. "Es droht, ein ziemliches Hauen und Stechen zu werden," glaubt Kerber.

Mehr als ein Prozent der Briten ist bei deutschen Unternehmen beschäftigt

In der Tat steht viel auf dem Spiel. Denn die beiden Wirtschaften sind eng verflochten. In den vergangenen 25 Jahren hat sich laut BDI der bilaterale Handel mehr als verdoppelt. Mehr als 2500 deutsche Unternehmen verfügen nach Angaben des Auswärtigen Amtes über Niederlassungen in Großbritannien und beschäftigen dort rund 370 000 Mitarbeiter, das ist mehr als ein Prozent der britischen Beschäftigten.

Umgekehrt sind in Deutschland rund 3000 britische Unternehmen engagiert. Deutschland exportierte 2015 Waren im Wert von 90 Milliarden Euro auf die Insel, so viel wie nie zuvor, die Importe waren weniger als halb so hoch. Unter den deutschen Exportländern liegen nur noch die USA, China und Frankreich vor Großbritannien. Dazu kommen erhebliche Investitionen in Großbritannien. Zehn Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Großbritannien kommen aus Deutschland.

Mehr Aufwand, mehr Bürokratie und höhere Kosten absehbar

Das alles würde natürlich nach einem Votum für einen Brexit nicht von heute auf morgen eingestellt. Trotzdem: Es könnte doch zu erheblichen Verwerfungen kommen. Dabei ist nicht klar, welche Handelserleichterungen künftig wann wegfallen könnten und ob es neue Abkommen zur Freizügigkeit von Waren, Menschen und Kapital geben wird. Gerechnet wird jedenfalls mit mehr Aufwand, mehr Bürokratie, höheren Kosten, schlechterem Markzugang. Einige hoffen zumindest, dass ein Ausstieg schrittweise erfolgen könnte, ein Schock damit vermieden wird. Dann würde der Brexit aber wie "ein schleichendes Gift" wirken, wie es ein Dax-Chef formulierte.

Die Abkoppelung könnte also in Etappen erfolgen, wie genau ist offen. Immerhin: Die langfristigen Folgen wären erheblich. Dazu kommt, dass das Pfund möglicherweise weiter an Wert verlieren könnte, Experten rechnen mit einem Verfall von mehr als zehn Prozent. Der Euro würde stärker werden. Das wäre ein Problem für die deutsche Exportwirtschaft, da ihre Güter auf der Insel damit teurer würden. Viele Zehntausende Jobs hängen am Ende davon ab, in Deutschland ebenso wie in Großbritannien.

"Deutschland wäre der größte Verlierer"

Dazu kommt: Viele deutsche Unternehmen, vor allem die Größeren, finanzieren sich teilweise am Finanzplatz London. Auch das könnte sich bei einem Brexit ändern. "Ein Teufelskreis aus Währungsabwertung, Kursverlusten an Renten- und Aktienmärkten und verschreckten ausländischen Investoren könnte zu einer Schockstarre im Finanzsektor führen und über eine 'Kreditklemme' rasch die Realwirtschaft erreichen", sagt DZ-Bank-Ökonomin Monika Boven. Außerdem könnte es innerhalb der EU auch zu einer politischen Krise kommen, die sich ebenfalls negativ auf die Wirtschaft auswirken würde.

"Ein Brexit wäre für alle Beteiligten ein schwerer Nachteil", sagt deshalb der neue Ifo-Präsident Clemens Fuest. "Deutschland wäre der größte Verlierer, weil Großbritannien ein sehr großer Markt für unsere Exportprodukte ist", betont der Wirtschaftsforscher. Abgesehen davon, dass Deutschland einen wichtigen Mitstreiter für das Prinzip des Freihandels in Europa verlieren würde, wäre ein Brexit auch für Großbritannien eine Selbstbeschädigung. Denn auch die EU sei ja wiederum der größte Markt für die Briten.

BMW, Siemens und Airbus etwa sind in Großbritannien hoch engagiert

Es gibt eine ganze Reihe deutscher Konzerne, die in Großbritannien engagiert sind. BMW etwa produziert dort mit großem Erfolg den Mini und die Rolls-Royce-Modelle. Siemens investiert in die Erstellung von Windparks auf hoher See ("offshore") und baut in Hull dafür eine Produktion auf.

Auch die deutschen Einzelhändler expandieren seit einigen Jahren mit großem Erfolg. Aldi und Lidl machen immer mehr neue Filialen auf und bringen damit die britischen Lebensmittelketten unter Druck, mit niedrigeren Preisen und teilweise besserer Qualität. Aldi kommt inzwischen auf einen Marktanteil von knapp sieben Prozent, Lidl auf 4,7 Prozent, Tendenz steigend. Der Umsatz legt zu. Ob ein Brexit den Expansionsdrang abbremsen würde, ist offen. Der Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus unterhält ebenfalls Werke auf der Insel, unter anderem werden die Flügel für viele Airbus-Maschinen zugeliefert. Ein Brexit würde sicher die Wettbewerbsfähigkeit des Konzern beeinträchtigen, warnte Unternehmenschef Tom Enders schon Ende Februar.

Nach einer jüngst veröffentlichten Umfrage der Bertelsmann-Stiftung sind vier von fünf Unternehmenschefs in Großbritannien und Deutschland klar gegen ein Ausscheiden der Briten aus der EU. Interessant: Der Anteil der strikten Brexit-Gegner ist in Deutschland (83 Prozent) noch leicht höher als in Großbritannien (76 Prozent). Fast jeder zweite Befragte erwartet negative oder sogar sehr negative Effekte für den jeweiligen nationalen Arbeitsmarkt. Dabei ist die Umfrage von einem eher positiven Szenario ausgegangen, wonach die Briten die EU nur als politische Einheit verlassen, aber weiterhin Mitglied des Binnenmarktes bleiben, ähnlich wie die Schweiz oder Norwegen. Eine stärkere wirtschaftliche Abnabelung wäre jedoch auch denkbar.

Die Unsicherheit sei das Schlimmste, sagen viele. Wie auch immer das Referendum am 23. Juni ausgehen wird. Danach herrscht jedenfalls erst einmal Klarheit.

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