Brexit-Verhandlungen:Nicht mit mir

U.K. PM Johnson Unveils Coronavirus Emergency Plans

Boris Johnson will bis Jahresende einen Deal mit der EU. Doch die Corona-Krise könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen.

(Foto: Simon Dawson/Bloomberg)

Großbritannien will vor der nächsten Brexit-Verhandlungsrunde einen Entwurf des Handelsvertrages vorlegen. Premier Johnson will die Fehler seiner Amtsvorgängerin nicht wiederholen - und setzt Brüssel unter Druck.

Von Alexander Mühlauer, London

Nicht jeder hat so einen ehrwürdigen Titel wie Michael Gove. Er ist Chancellor of the Duchy of Lancaster und als solcher für die Verwaltung des Herzogtums zuständig. Weil ihn das aber offenbar nicht auslastet, hat ihm Premierminister Boris Johnson den Auftrag erteilt, die britische Wirtschaft auf die Folgen des Brexit vorzubereiten. In seiner Funktion als Kabinettsminister spricht Gove nun mit Unternehmern und erklärt ihnen eindringlich, sich gefälligst darauf einzustellen, dass der Handel mit der EU bald nicht mehr so reibungslos laufen werde wie jetzt. Er spricht von Kontrollen an der Grenze und von allerlei Papierkram, den es dann zu erledigen gelte. Doch das ändert nichts daran, dass noch immer völlig offen ist, ob es am Jahresende einen Handelsvertrag mit Brüssel gibt - oder eben nicht.

Immerhin dürften die Firmen in der kommenden Woche erstmals Schwarz auf Weiß sehen, welcher Deal der britischen Regierung vorschwebt. In einer schriftlichen Stellungnahme hat Gove den britischen Parlamentsabgeordneten nun angekündigt, vor Beginn der zweiten Brexit-Verhandlungsrunde am 18. März einen Entwurf des Handelsvertrages auf den Tisch zu legen. Dem Vernehmen nach soll es kein maßgeschneiderter Deal sein, sondern eine Art Best-of bestehender Verträge, die die EU bereits mit anderen souveränen Drittstaaten geschlossen hat.

Die Regierung in London möchte sich nichts mehr von Brüssel diktieren lassen

London will damit deutlich machen, dass es von Brüssel keine Extrabehandlung möchte, sondern lediglich das, was die EU auch Staaten wie Kanada oder Japan zugestanden hat. Das Problem ist nur: Die Europäische Union hat ihrerseits bereits klar gemacht, dass ein Abkommen à la Kanada allein schon deshalb nicht in Frage komme, weil Großbritannien geografisch sehr viel näher liege.

In London will man davon nichts hören. Im Umfeld der britischen Unterhändler wird darauf verwiesen, dass EU-Chefverhandler Michel Barnier doch immer wieder ein Schaubild mit einer Treppe hergezeigt habe, das Großbritannien die Möglichkeiten eines Vertragsabschlusses vor Augen führen sollte. Und in der Tat: Auf einer Stufe fand sich auch die kanadische Flagge. In London ist man nun darüber verärgert, dass Barnier davon offenbar nichts mehr wissen will. Der Franzose sprach nach der ersten Verhandlungsrunde in der vergangenen Woche nicht ohne Grund von "sehr schwierigen Meinungsverschiedenheiten", die zwischen ihm und dem britischen Chefverhandler David Frost herrschten. Das deckt sich mit Goves Stellungnahme, in der er von "signifikanten Differenzen" schreibt.

Vor dem nächsten Treffen der Unterhändler schaltet die britische Regierung nun auf Angriff. Mit der Vorlage eines Vertragsentwurfes will Premier Johnson die EU unter Druck setzen. In der Spieltheorie spricht man von "First Mover Advantage". Johnson verspricht sich damit einen Startvorteil, den er für sich nutzen möchte. Die Fehler, die seine Amtsvorgängerin Theresa May bei den Verhandlungen über den Austrittsvertrag machte, will er auf keinen Fall wiederholen. Damals legten die Briten nur scheibchenweise Papiere mit ihren Forderungen auf den Tisch. Die EU hatte in der Zwischenzeit schon längst den Verhandlungsablauf und die zu besprechenden Themen diktiert. Dies war auch ein entscheidendes Mittel, um die Einheit der EU-Staaten zu wahren.

Doch diesmal will sich Johnson nichts von Brüssel vorschreiben lassen. Der Premier möchte erreichen, dass seine Regierung mit einer starken Stimme spricht. Im Gegenzug wird er versuchen, die unterschiedlichen Interessen der EU-Staaten offenzulegen und die Gemeinschaft damit zu spalten. Ein Beispiel dafür ist das Thema Fisch. So hat etwa die französische Europaministerin bereits damit gedroht hat, einen möglichen Vertrag daran scheitern zu lassen, wenn Großbritannien den EU-Staaten den Zugang zu britischen Fischgründen massiv erschweren sollte. Das würde alle Nordsee-Anrainerstaaten betreffen; für die Südeuropäer spielt dieses Thema hingegen keine Rolle.

Zwingt die Corona-Krise den Premierminister zu einer Verlängerung der Übergangsfrist?

Während sich die EU angesichts des Zeitdrucks, bis Jahresende einen Vertrag zu schließen, weiter offen für eine Verlängerung der Übergangszeit zeigt, lehnt London das strikt ab. Johnson will die Phase, in der sich für Bürger und Unternehmen de facto nichts ändert, auf keinen Fall über den 31. Dezember 2020 hinauszögern. Sollte sich bis Juni kein Handelsvertrag abzeichnen, hat er sogar damit gedroht, die Gespräche abzubrechen. Spekulationen, wonach Johnson wegen der Corona-Krise erwägen könnte, doch um mehr Zeit zu bitten, werden in Downing Street entschieden zurückgewiesen. Sowohl in London als auch in Brüssel hieß es am Dienstag, dass man davon ausgehe, dass die Verhandlungen in der kommenden Woche in der britischen Hauptstadt stattfinden.

Das Corona-Virus könnte aber nicht nur ein zeitliches Problem für die Handelsgespräche mit sich bringen. Für Johnson stellt sich auch die Frage, inwieweit die britische Wirtschaft einen drohenden Konjunktureinbruch verkraften könnte, wenn sie neben der Corona-Krise auch noch einen No-Deal-Brexit zu bewältigen hätte. Gespannt wird deshalb die Reaktion der Finanzmärkte erwartet, wenn der britische Schatzkanzler Rishi Sunak an diesem Mittwoch den Haushalt vorstellt.

Dabei wird es vor allem darum gehen, inwieweit sich die Regierung offen zeigt, ein entsprechendes Konjunkturpaket aufzulegen, sollte es die Lage erfordern. Offiziellen Zahlen zufolge gab es im Vereinigten Königreich am Dienstag bislang 319 Menschen, die sich mit dem Virus infiziert haben, fünf Menschen sind daran gestorben. Sollten sich die Zahlen weiter erhöhen, dürfte die Corona-Krise die Regierung bald mehr beschäftigen als der Brexit.

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