Süddeutsche Zeitung

Brexit:Sie werden leiden

Der Abschied der Briten von der EU stellt viele wichtige Branchen vor Schwierigkeiten. Es geht um Zölle und Subventionen, Standards und Zulassungen.

Von Björn Finke, London

Es wird die Woche der Wahrheit für den Finanzplatz London: An diesem Donnerstag informiert die Bank of England darüber, wie die Geldhäuser an der Themse auf den Brexit reagieren wollen. Die Finanzkonzerne mussten der Notenbank bis Mitte Juli ihre Pläne darlegen, nun wollen die Aufseher einen Überblick präsentieren. Viele Banken werden Abteilungen und Jobs in Euro-Staaten verlagern, damit sie auch nach dem EU-Austritt der Briten 2019 Kunden auf dem Festland bedienen können. Schließlich hat sich Premierministerin Theresa May festgelegt, dass das Königreich nicht am Binnenmarkt teilnehmen wird. Damit können Finanzfirmen nicht mehr länger mit ihrer britischen Zulassung in der EU tätig sein, sondern benötigen eine Lizenz und Niederlassung vor Ort.

Der Brexit trifft die wichtige Finanzbranche daher besonders hart. Doch viele andere Branchen stellt der EU-Austritt ebenfalls vor Probleme. Ein Überblick.

Pharmaindustrie

Großbritannien ist die Heimat großer Arzneimittelkonzerne wie Glaxo-Smith-Kline und Astra-Zeneca. In London sitzt zudem die EU-Arzneimittelagentur EMA, die für die Zulassung von Medikamenten zuständig ist. Die EMA wird das Königreich wegen des Brexit verlassen - wohin die Behörde mit ihren 890 Beschäftigten zieht, entscheiden die europäischen Regierungen im November. Folgenschwerer als der Umzug ist aber, dass Großbritannien nach dem Brexit nicht mehr Mitglied der EMA sein wird. Pharmakonzerne im Königreich müssen daher in Zukunft zwei Zulassungen einholen, um ihre Arzneien in Europa zu verkaufen: eine bei der britischen Aufsicht MHRA für den Heimatmarkt und eine zweite für die EU.

Der Branchenverband warnt zudem, dass Briten dann bis zu zwölf Monate länger auf neuartige Arzneien warten müssen: Internationale Konzerne würden ihre Medikamente erst bei der EMA zur Zulassung vorlegen, weil diese einen viel größeren Markt abdeckt. Erst danach würden sie bei der MHRA eine britische Lizenz beantragen, heißt es. Die Regierung in London möchte nach dem Brexit selbst über die Pharmaregulierung bestimmen, verspricht jedoch, weiter eng mit der EMA zusammenarbeiten zu wollen. Das soll die Nachteile durch den Austritt mindern.

Luftfahrtbranche

Nach europäischem Recht dürfen nur Fluggesellschaften, die zu mindestens 50,1 Prozent Investoren aus der EU gehören, zwischen EU-Städten Verbindungen anbieten - also etwa von München nach Madrid. Von April 2019 an zählen britische Aktionäre und Fonds aus London nicht mehr als EU-Aktionäre. Das ist ein Problem für die britische Fluggesellschaft Easyjet, für Ryanair aus Irland und für IAG, den Mutterkonzern von British Airways, Aer Lingus, Vueling und Iberia. Easyjet wird nach dem Brexit nur noch zu 49 Prozent EU-Investoren gehören und Ryanair zu 38 Prozent. IAG nennt keine Zahlen, aber Fachleute schätzen, dass der Wert bei gerade mal 20 Prozent liegt.

Erlässt die EU keine Ausnahmeregel für die Brexit-geschädigten Konzerne, müssen diese ihre britischen Aktionäre zum Verkauf zwingen. Ein weiteres Problem: Dass Fluggesellschaften Maschinen zwischen EU-Ländern hin- und herschicken dürfen, regelt ein sogenanntes Open-Skies-Abkommen. Nach dem Brexit gilt das nicht mehr für Großbritannien. Die Regierung muss mit Brüssel eine Nachfolgeregelung aushandeln. Easyjet will sich nicht auf einen Erfolg der Gespräche verlassen und gründet darum eine Tochtergesellschaft in Wien, die eine österreichische Betriebserlaubnis beantragen wird.

Exportindustrie

Der Verfall des Pfundkurses seit dem Referendum macht britische Produkte im Ausland billiger. Das nutzt der Exportindustrie, etwa den Auto- und Flugzeugherstellern. Trotzdem ist die Stimmung angespannt, denn der Brexit könnte die Geschäfte von 2019 an deutlich erschweren. Airbus beschäftigt 15 000 Menschen im Königreich, in Wales produziert der Konzern in einem Riesenwerk Flügel. Die werden aber in Hamburg oder Toulouse an die Rümpfe montiert. Einigen sich London und Brüssel nicht auf einen Freihandelsvertrag, werden in zwei Jahren Zölle fällig. Dann könnte es für Airbus lukrativer sein, diese Flügel in Deutschland zu fertigen.

Standards und Zulassungen sind ein zusätzliches Problem. Die europäische Luftsicherheitsbehörde EASA muss den Einsatz von Bauteilen in Fliegern genehmigen. Das gilt etwa für die Triebwerke, die der britische Konzern Rolls-Royce baut. Sollte Großbritannien nach dem Brexit dort nicht mehr Mitglied sein, könnte das Land die Standards und Regeln der EASA nicht mehr beeinflussen - misslich für einen Staat, der Heimat einer großer Flugzeug- und Rüstungsindustrie ist.

Für die Autohersteller im Königreich sind die anderen EU-Staaten der wichtigste Exportmarkt. Zugleich stammen von dort viele Zulieferteile. Nur 44 Prozent der Zulieferteile, die in einem durchschnittlichen Auto stecken, werden in Großbritannien gefertigt. Daher würden Zölle der Branche sehr schaden. Da Großbritannien die Zollunion der EU verlässt, werden in Zukunft auch wieder Grenzbeamte Lastwagen in den Häfen von Calais oder Dover untersuchen müssen. Das ist selbst dann nötig, wenn sich London und Brüssel auf einen Freihandelsvertrag einigen. Die Autofabriken halten nur Teile für wenige Produktionsstunden auf Lager und sind auf einen steten und zuverlässigen Nachschub angewiesen. Kontrollen in Häfen gefährden dieses Modell.

Bauern

Die Landwirte schauen ebenfalls mit Sorge auf den Brexit. Zum einen ist fraglich, wie ernst die Regierung ihr Versprechen nimmt, für die auslaufenden EU-Subventionen einzuspringen. Zum anderen sind viele Höfe auf Erntehelfer aus Osteuropa angewiesen. Premierministerin May verspricht aber, nach dem Austritt die Zahl der Einwanderer kräftig zu senken. Bedrohlich muss auch der Plan der Regierung wirken, schnell einen Freihandelsvertrag mit den USA abzuschließen. Die mächtige Farmerlobby in Amerika wird darauf dringen, dass Großbritannien in so einem Abkommen seinen Markt für US-Importe öffnet. Und die Großbetriebe in Amerika produzieren Fleisch und Milch viel billiger als ihre britischen Rivalen.

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Quelle:
SZ vom 31.07.2017
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