Brexit:Ohne Kompass

Viele deutsche Firmen fühlen sich für einen harten Brexit schlecht gerüstet. Vor allem die anhaltende Unsicherheit mache die Planung schwierig, klagten Unternehmer in einer aktuellen Umfrage des DIHK. Einige überlegen nun den Rückzug von der Insel.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Gut sechs Wochen vor einem möglicherweise harten Brexit fühlt sich nur jedes vierte Unternehmen mit Großbritannien-Geschäft gut gerüstet. Das ergibt eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter 1500 deutschen Firmen. Demnach kann mehr als die Hälfte der Betriebe "die Folgen auch nach tieferer Prüfung des Themas noch nicht abschätzen", heißt es in der Sonderauswertung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Die wachsende Nervosität spiegelt sich auch in den Erwartungen der Unternehmen. Nur drei Prozent sehen besseren Zeiten auf der Insel entgegen - 71 Prozent dagegen beurteilen ihre Geschäftserwartungen mittlerweile negativ. Das sind fast doppelt so viele wie im vorigen Jahr. Die aktuelle Lage der Geschäfte in Großbritannien bezeichnet nur noch jedes fünfte Unternehmen als gut, 38 Prozent dagegen als schlecht. Das dürfte auch mit dem schwachen Pfund zusammenhängen, das zuletzt die deutschen Exporte ins Vereinigte Königreich verteuert hatte. War das EU-Land vor dem Brexit-Votum noch der drittgrößte Absatzmarkt deutscher Unternehmen, lag es 2018 nach vorläufigen Zahlen hinter den Niederlanden auf Platz fünf. Die Exporte gingen um vier Prozent zurück.

Kurz vor dem geplanten Austritt sorgt die Unternehmen vor allem die mögliche neue Zollbürokratie. "Im ungünstigsten Fall würden bei einem ungeordneten Austritt bis zu zehn Millionen neue Zollanmeldungen notwendig", sagt Volker Treier, Außenwirtschaftschef des DIHK. "Hinzu kommen in einem solchen Fall Zölle in Milliardenhöhe." Schließlich finde der Handel dann auf Basis der Welthandelsorganisation WTO statt, zu entsprechenden Zöllen. Schon jetzt sei der Brexit eine immense Belastung für die deutschen Unternehmen, sagt Treier. "Fast noch schlimmer ist, dass selbst einen Monat vor dem Austrittsdatum die Betriebe ohne Kompass navigieren müssen."

Die Unternehmen stecken dabei in einem Dilemma. Viele hätten sich durchaus auf einen harten Brexit vorbereiten können, heißt es in der Auswertung - etwa durch die Aufstockung von Lagerbeständen oder die Einstellung von zusätzlichem Personal. Doch die meisten scheuten die Kosten - zumal nach wie vor ungewiss ist, ob sich nicht doch noch eine Lösung findet, die den harten Bruch vermeidet. Zwei Drittel der deutschen Firmen verließen sich deshalb zunächst auf Gespräche mit Kunden und Lieferanten. Die Hälfte machte sich mit dem Zollrecht vertraut.

Andere hingegen ziehen sich schleichend zurück. Jedes achte der befragten Unternehmen will ursprünglich geplante Investitionen nun woanders tätigen, meist in der EU. Vor einem Jahr hatte das nur jede zwölfte Firma geplant. "Nicht nur der Brexit selbst, sondern auch die nach wie vor herrschende Unsicherheit über die zukünftigen Handelsbeziehungen gehen ganz konkret zu Lasten des Wirtschaftsstandortes Großbritannien", sagt Treier. Der Ball allerdings liege bei den Briten selbst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: