Brexit:Großbritannien hofft auf längere Übergangsphase

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Der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn ist für eine Zollunion mit der Europäischen Union. (Foto: Simon Dawson/Reuters)
  • Brüssel und die britische Regierung verhandeln derzeit die Übergangsphase nach dem Brexit. Geht es nach der EU endet die Ende 2020.
  • Einem neuen Papier zufolge hat Großbritannien aber einen anderen Plan. Sie wollen die Übergangsphase erst beenden, wenn auch der Handelsvertrag abgeschlossen ist.

Von Björn Finke

Diese Enthüllung kommt für Theresa May zur Unzeit. An diesem Donnerstag machen die Premierministerin und zehn ihrer Minister - das Brexit-Kabinett - einen Ausflug nach Chequers, dem Landsitz der Regierungschefin. Dort wollen die Politiker darüber diskutieren, welche Handelsbeziehungen das Königreich mit der EU anstreben soll. Das Kabinett ist zerstritten, die Gespräche sollen zur Not bis tief in die Nacht gehen, doch eine Einigung wird trotzdem nicht erwartet. Zumal am Mittwoch britische Medien heikle Auszüge aus einem Positionspapier der Regierung veröffentlichten. Diese Passagen werden May unangenehme Fragen bescheren. Denn dem Dokument zufolge strebt London mehr Flexibilität beim Enddatum für den Übergangszeitraum an.

Brüssel und die britische Regierung verhandeln gerade über diese Übergangsphase, die nach dem Brexit im März 2019 beginnen und etwa zwei Jahre andauern soll. Der EU schwebt Ende 2020 als Schlusspunkt vor, Großbritannien Frühjahr 2021. In diesen zwei Jahren soll sich für Bürger und Unternehmen nichts ändern. Die Regierung und die EU werden währenddessen über ein Handelsabkommen für die Zeit danach sprechen.

In dem Papier heißt es aber nun, dass die Übergangsphase erst enden solle, wenn der Handelsvertrag abgeschlossen ist und alle nötigen Systeme - etwa beim Zoll - eingeführt sind. Wirtschaftsvertreter, die einen ungeordneten Austritt und Chaos an den Häfen fürchten, schätzen solchen Pragmatismus. Doch für Brexit-Enthusiasten klingt das schauderhaft. Schließlich halten es Fachleute für durchaus möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass die Gespräche und Umstellungen nicht bis Anfang 2021 abgeschlossen sein werden. Dann würde Großbritannien noch länger in der bei Brexit-Fans verhassten Übergangsphase feststecken, in der sich das Land an EU-Regeln halten muss, ohne mitbestimmen zu können. Regierungsvertreter stellten nach der anfänglichen Aufregung klar, dass London weiterhin ein fixes Enddatum für die Übergangsphase aushandeln möchte. Und dieser Schlusspunkt solle ungefähr zwei Jahre nach dem Brexit kommen. Aber das Positionspapier legt eben nahe, dass sich May Flexibilität wünscht, wenn sich die Gespräche mit Brüssel und die Vorbereitungen an den Grenzen länger hinziehen sollten als erhofft.

Ein Albtraum für kompromisslose Brexit-Vorkämpfer

Solche Flexibilität ist ein Albtraum für kompromisslose Brexit-Vorkämpfer in der konservativen Fraktion. Erst am Freitag schickten 62 konservative Abgeordnete einen Brief an May, in dem sie fordern, dass es bereits in der Übergangsphase erlaubt sein muss, von EU-Regeln abzuweichen. Darauf allerdings wird sich Brüssel nicht einlassen, und Mays Regierung hat bereits klargemacht, dass sie dies akzeptiert. Der Hauptstreitpunkt innerhalb des Kabinetts ist daher nicht mehr die Übergangsphase, sondern die Frage, ob Großbritannien danach dauerhaft in einer Zollunion mit der EU bleiben soll. Hier soll die Landpartie nach Chequers zu einer Annäherung führen.

Geht das Königreich keine Zollunion ein, könnten in Zukunft Zöllner in Calais und Dover oder an der inneririschen Grenze Laster - zumindest stichprobenartig - kontrollieren müssen. Das würde der Exportindustrie schaden. May schließt allerdings bisher eine Zollunion aus, weil Mitglieder so einer Union keine eigenen Handelsverträge mit Staaten wie den USA abschließen können. Für Zölle und Handelspolitik bliebe Brüssel zuständig. Ein Kompromiss könnte eine Zollunion sein, die nur bestimmte Branchen und Produkte umfasst. Aber in der Praxis würde so ein Modell vermutlich wenig Vorteile bringen. May redet daher lieber von einer innovativen Zollpartnerschaft, die sie mit der EU eingehen will und die viele Vorteile einer Zollunion ohne deren Nachteile biete.

Brüssel hält davon freilich nichts. Die größte Oppositionspartei Labour spricht sich inzwischen klar für den Verbleib in einer Zollunion mit der EU aus. Der altlinke Parteichef Jeremy Corbyn sagte bei einem Industriekongress, eine Zollunion sei "der Schlüssel" dafür, dass sich beim Handel mit dem Festland keine Hürden auftäten und die Grenze zwischen Nordirland und Irland unsichtbar bleibe. Abgeordnete hatten Corbyn Medienberichten zufolge zu einem deutlichen Bekenntnis gedrängt. Vorher war die Position von Labour ein wenig schwammig gewesen. Viele Stammwähler im industriellen Norden Englands haben für den Brexit gestimmt. In London und in Universitätsstädten wiederum waren zahlreiche Labour-Wähler gegen den Austritt. Bei den Wahlen im Sommer 2017 ist Labour mit vagen bis widersprüchlichen Aussagen zum Brexit gut gefahren. Doch langsam wird es Zeit, sich festzulegen - für die Opposition und die Regierung.

© SZ vom 22.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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