Die Reformen spornten auf der anderen Seite jedoch die Unternehmen an, mehr Arbeitskräfte einzustellen - zu Lasten der Investitionen. Die Folgen werden jetzt allmählich sichtbar. Deutschland hat den größten Niedriglohnsektor in Europa.
"Im Jahr 2008 arbeiteten fast sieben Millionen Deutsche beziehungsweise fast 20 Prozent aller Angestellten für Niedriglöhne, also für weniger als 9 Euro die Stunde", sagt Sebastien Dullien, Politik-Experte am European Council on Foreign Relations. In den unteren Einkommensschichten seien die Reallöhne zwischen 2000 und 2006 gefallen.
Die Konsequenz ist jedoch, dass die deutsche Arbeitsproduktivität im vergangenen Jahrzehnt zu den schwächsten in der Eurozone zählte. Die Investitionen des privaten und des öffentlichen Sektor - also der Schlüssel für künftiges Wachstum - gehörten sogar zu den geringsten aller Industrieländer, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
"Im Jahr 1999 lag die Investitionsquote bei etwa 20 Prozent, heute beträgt sie weniger als 17 Prozent", schrieb Fratzscher in einer Studie. Seit 1999 habe Deutschland im Schnitt eine jährliche Investitionslücke von drei Prozent gehabt, was mehr als 40 Prozent des deutschen BIP entspreche.
Ein gefährlicher Trend
Die Lage spitzt sich zu: Die Bruttoanlageinvestitionen sinken seit fünf Quartalen kontinuierlich, sodass die Investitionsausgaben mittlerweile 5 Prozent niedriger liegen als Ende 2011, hat Huw Pill, Chefvolkswirt bei Goldman Sachs GS +2,07% ermittelt.
Für ein Land, dessen Wirtschaft in einem immensen Maße von forschungsintensiven Branchen abhängt, ist das ein gefährlicher Trend. Statt den gewaltigen Spar-Überschuss des Privatsektors in Deutschland zu nutzen, um Investitionen in der Heimat zu finanzieren, fließt das Geld aus dem deutschen Finanzsystem tendenziell eher ins Ausland - oft mit desaströsen Ergebnissen.
"Allein von 2006 bis 2012 summierten sich die Verluste [aus Auslands-Anlagen] auf 600 Milliarden Euro, das sind 22 Prozent des deutschen BIP", sagt Fratzscher. "Wäre dieses Geld im Inland investiert worden, hätte das jährliche Pro-Kopf-Wachstum in Deutschland um bis zu einen Prozentpunkt höher sein können."