Breitband-Internet im ländlichen Raum:Anschluss zur Außenwelt

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Noch immer haben 600.000 Haushalte in Deutschland keinen schnellen Internetzugang. Südlich von Rostock haben sich die Menschen geholt, was die Telekom bisher verweigert.

Varinia Bernau

Ralf Pöhland ist den Schneebällen der Nachbarkinder ausgewichen, hat sich auf dem vereisten Steg über den Gartenteich getastet und die Schuppentür aufgeschoben. Dann steht er direkt davor: zwei eckige Antennen, darunter graue Kästen und ein kleines blinkendes Lämpchen. Unscheinbar ist dieses Ding.

Aber man muss bedenken, was es ermöglicht: Pöhlands Sohn kann mit seinen Freunden spielen, der Glasermeister Kunden gewinnen. Ein Briefkasten und eine Bushaltestelle waren in Niex lange Zeit der einzige Anschluss zur Außenwelt. Bis zum Frühjahr 2008, an dem Pöhland das Internet ins Dorf brachte. Mit eckigen Antennen und grauen Kästen.

Niex liegt südlich von Rostock, in einer Gegend, die das Versprechen der Bundesregierung nicht erreicht hat: Bis Ende vergangenen Jahres wollte sie flächendeckend für einen schnellen Internetzugang mit Übertragungsrate von mindestens einem Megabit pro Sekunde sorgen.

Warum das bei insgesamt 600.000 Haushalten hierzulande nicht gelungen ist, versteht, wer sich auf eine Reise nach Niex macht. Die Straße dahin wird zu beiden Seiten von weiten Äckern gesäumt. Hinter Niex kommt nix, sagen die Leute hier. Etwa 50 Häuser gibt es, die sich an einer Straße entlang reihen. Pöhland sagt: "Wenn ich die Telekom wäre, würde ich hier auch nicht investieren."

Seit die einstige Behörde eine börsennotierte Aktiengesellschaft ist, muss sie Gewinn machen. Kaum jemand kann den Konzern zwingen, Netze auszubauen, wenn sich dies nicht rechnet. Das schnelle Internet gelangt am besten durch haarfeine Fasern aus Quarzglas zu den Leuten ins Haus. Das ist teuer: Bagger müssen Straßen aufreißen und Kabel vergraben. Ein Kilometer kostet etwa 50.000 Euro.

Das lohnt sich nur dort, wo viele Kunden das Geld wieder reinbringen. Aber die Wettbewerber haben sich mit niedrigen Preisen gegenseitig unterboten. Zumindest in den Städten haben sich die Menschen ans schnelle Surfen zum Billigtarif gewöhnt. An ihrem Versprechen, bis zum Jahr 2014 drei von vier deutsche Haushalte an das Hochleistungsnetz mit Übertragungsraten von 50 Megabit pro Sekunde zu bringen, hält die Bundesregierung fest. Schätzungen zufolge würde das 40 Milliarden Euro kosten.

Deutschland sollte sich, sagt Roman Friedrich von der Beratungsgesellschaft Booz & Company, damit auseinandersetzen, wie es Unternehmen mehr Investitionsanreize geben kann. "Ich sehe noch großen Nachholbedarf auf staatlicher Seite, Breitband in Deutschland zu unterstützen. Andere Länder sind deutlich agiler."

Doch von der Idee, die Bürger mit einer Breitbandabgabe an der Finanzierung des Netzausbaus zu beteiligen, wie Unionspolitiker sie ins Spiel gebracht haben, bevor eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes im März durchs Kabinett muss, will man im FDP-geführten Bundeswirtschaftsministerium nichts wissen. Von Subventionen, mit denen Japan, Südkorea und die USA ihre Datenautobahnen hochziehen, schon gar nicht.

Helfen soll in den nächsten Monaten vor allem der neue Funkstandard LTE. Eine Auflage hat die Bundesregierung dann doch gemacht, als man im vergangenen Jahr für etwa drei Milliarden Euro Funkfrequenzen an die Telekom, Vodafone und O2 versteigert hat. Die Mobilfunkbetreiber müssen zunächst die ländlichen Lücken versorgen, ehe sie den schnellen Internetzugang per Funk in den Städten anbieten können.

Die Versorgung per Funk ist billiger. Sie sei aber auch nicht so zuverlässig, sagen Kritiker. Auch nach Niex kommt das Internet per Funksignal. Gesucht hatte Hobby-Funker Pöhland nach einem DSL-Anbieter, gefunden hat er ein Studienprojekt an der Universität Rostock. Einige Informatiker hatten einen Verein namens Opennet gegründet, bei dem ein Mitglied seinen Anschluss mit den anderen Mitgliedern teilt. Übertragen wird das DSL-Signal per Funk. Bei guter Sicht kann man vom Schuppen mit den eckigen Antennen einen Plattenbau am Stadtrand von Rostock erkennen. Auf dem ist eine zweite Antenne montiert.

Dazwischen verläuft die unsichtbare Datenautobahn, die Niex mit dem World Wide Web verbindet. "Die Dörfer hier in der Gegend liegen oft in Senken, das macht es schwierig", sagt Pöhland. Als im vergangenen Sommer der Motorsportklub im nahen Prisannewitz ein internationales Turnier ausrichten und dafür ein Pressezentrum mit gut 30 schnellen Internetzugängen herrichten musste, haben auch die Funker ausgeholfen. Ihre Technik mussten sie auf zwei hohe Getreidesilos bringen. Auch auf Kirchendächer klettern sie regelmäßig. So wächst das Opennet ins Land hinein, acht weitere Dörfer sind inzwischen angeschlossen.

Schnelle Internetverbindungen sind in Zukunft das, was bisher der Anschluss zur Autobahn, ein Bahnhof oder Flughafen in der Nähe war. Wer in deutschen Gewerbegebieten unterwegs ist, der hört Geschichten von Mittelständlern, die Dateien lieber auf einem USB-Stick ins Büro nebenan tragen, weil das schneller geht, als sie per E-Mail zu senden. Mitten in Deutschland und doch abgeschnitten von der Welt. Niex ist zwar kein Industriestandort, aber auch kein Bauerndorf. Nach der Wende sind viele gut verdienende Städter hierher gezogen.

Neubauten haben sich zwischen die alten Backsteinhäuser gefügt. Pöhland arbeitet als Biologe in einem Forschungsinstitut. Seine Nachbarn sind Steuerberater, Lehrer, Rechtsanwälte. Eine Frau im Nachbardorf wurde von ihrer Firma ins Homeoffice versetzt. Doch die Leitungen reichten nicht für Videokonferenzen, nicht einmal für das Verschicken einer Power-Point-Präsentation. Irgendwann ist sie wieder nach Rostock gezogen.

In diesem Jahr will nun auch die Telekom einen schnellen Internetzugang über Glasfaserkabel in die Gegend bringen. Den Vertrag hat die Gemeinde Dummerstorf, zu der Niex und einige andere Dörfer im Opennet gehören, bereits unterschrieben. Die Verbindungen zum World Wide Web werden dann stabiler sein und noch etwas schneller. Und doch sagen die Leute nun zu Ralf Pöhland: Wir bleiben trotzdem bei euch! Pöhland könnte seinen Triumph genießen, aber irgendwie ist er ihm etwas unheimlich: Von den 150 Mitgliedern, die der Verein inzwischen hat, sind nur etwa 20 Leute aktiv.

"Die meisten sind keine Funker, kennen sich nicht aus und trauen sich nicht selbst an die Technik, wenn mal was ausfällt." Im Opennet zahlen die Mitglieder für ihren Internetanschluss nur einen Vereinsbeitrag von knapp sechs Euro im Monat - statt einer Gebühr von 40 Euro bei der Telekom. Pöhland und die anderen aus dem Verein rücken bei Pannen aus, die Telekom wartet Technik aus der Ferne. Pöhland und die anderen aus dem Verein hören sich um, wo eine insolvente Firma günstige Geräte abzugeben hat. Die Telekom setzt auf Neues und Robustes.

Letztlich funktioniert das Opennet, weil Ehrenamtliche mit Leidenschaft bei der Sache sind. "Manche sagen: Ist doch super, wenn die Leute unser Hobby finanzieren", erzählt Pöhland. Das gilt wohl auch für ihn, der schon während seines Studiums in Leipzig an einem Computer gebastelt hat, einem KC87, hergestellt im Volkseigenen Betrieb Robotron. Andererseits spürt der Mittvierziger, dass sein Netz an seine Grenzen stößt: "Wir können keine Garantien geben. Ein Unternehmer, der einen schnellen Internetzugang braucht, könnte uns nie in Regress nehmen, wenn etwas ausfällt."

© SZ vom 09.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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