Süddeutsche Zeitung

Braunkohle:"Symbole haben eben ihren Preis"

Nach dem Beschluss der Kohlekommission prüft RWE den Erhalt des Hambacher Waldes und verhandelt erstmals mit der Bundesregierung über Abschaltungen. Der Konzern fordert dafür Milliarden Steuergeld.

Von Benedikt Müller, Essen

Am Mittwoch haben RWE und das Bundeswirtschaftsministerium erstmals verhandelt. Die beiden sehen sich jetzt häufiger. "Nach meinem Eindruck ist das ein Prozess, der sicherlich Monate dauern wird", sagt RWE-Chef Rolf Martin Schmitz: Es geht um die Zukunft großer Kohlekraftwerke, mithin um Klimaschutz und um viele Milliarden Euro Steuergeld.

Die Kohlekommission der Bundesregierung schlägt vor, dass Deutschland bis 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen soll. Der erste Schritt: Bis 2022 sollen Braunkohlemeiler mit einer Kapazität von drei Gigawatt vom Netz gehen. Denn wenn die heimische Braunkohle im Rheinland, in der Lausitz und in Mitteldeutschland verfeuert wird, setzt das besonders viel CO₂ frei. Viel zu viel, sagen Klimaschützer, zumal dem Tagebau auch Wälder und Dörfer zum Opfer fallen müssten.

Ihm sei klar, dass RWE "den Löwenanteil" der drei Gigawatt schultern soll, sagt Schmitz. Viele finden gar: Der Konzern, der die Tagebaue und Kraftwerke im Rheinischen Revier betreibt, sollte die Sofortmaßnahme ganz allein umsetzen, da die ostdeutschen Reviere mehr Zeit für den Strukturwandel bräuchten. "RWE kann und wird nicht alles alleine stemmen", hält Schmitz zwar dagegen. Doch ist dies alles letztlich eine Frage des Geldes.

Bislang gingen Konzerne davon aus, dass sie ihre Meiler bis in die 2040er-Jahre betreiben könnten

Bislang gingen Konzerne wie RWE davon aus, dass sie ihre Meiler bis in die 2040er-Jahre betreiben könnten. Wenn der Staat nun die Ratschläge der Kohlekommission in ein Gesetz gießt, wollen die Betreiber für ihr entgangenes Geschäft entschädigt werden. Schmitz fordert 1,2 bis 1,5 Milliarden Euro für jeden Gigawatt Kapazität, den RWE früher vom Netz nähme. Die Sofortmaßnahme würde Steuerzahler dann bis zu 4,5 Milliarden Euro kosten; freilich will der Bund noch verhandeln.

Welcher Meiler wann vom Netz geht: davon hängt auch ab, ob der Hambacher Forst bei Köln bleiben kann. Die Kohlekommission nennt es "wünschenswert", den Wald mit seinen alten Buchen, Eichen und seltenen Fledermäusen zu erhalten; unter ihm schlummern Hunderte Millionen Tonnen Braunkohle. RWE prüft nun, ob die großen Schaufelradbagger den Forst aussparen können. "Wirtschaftlich und betrieblich sinnvoll wäre das nicht", kritisiert Schmitz. Denn es sei wichtig, dass die Abhänge zum tiefen Loch des Tagebaus auch in Zukunft nicht zu steil sind, wenn aus Hambach eines Tages ein großes Acker- und Seegelände wird. "Symbole haben eben ihren Preis", sagt der Konzernchef.

Noch unnachgiebiger zeigt sich Schmitz bei Umsiedlungen: Fünf Dörfer sollen im benachbarten Tagebau Garzweiler noch der Braunkohle weichen. Während ein Teil der Einwohner um die Seele der alten Orte fürchtet, haben andere längst mit ihrem Umzug in ein neues Haus kalkuliert. "Viele Verträge sind schon unterschrieben", sagt der RWE-Chef. Es häuften sich gar Anrufe derer, die ihre Umsiedlung jetzt schnell abschließen möchten. Und die Kohle, die unter den Dörfern liegt, werde "schon in den frühen 2020er-Jahren benötigt".

Während Umweltschützer in dem Streit mit dem vielen CO₂ der Kraftwerke und dem Eingriff in die Landschaft argumentieren, verweist RWE auch auf Tausende Arbeitsplätze, die direkt und indirekt an der Kohle hängen. "Ich rechne mit einem signifikanten Abbau bereits bis 2023", schreibt Schmitz im Geschäftsbericht. Die sogenannte Sofortmaßnahme gefährde etwa 2700 Stellen in seinem Konzern.

Dessen Gewinn ist im vergangenen Jahr um 39 Prozent eingebrochen, auf noch 591 Millionen Euro. Niedrigere Großhandelspreise schmälerten den Profit, zudem sind Atomkraftwerksblöcke vom Netz gegangen. Für dieses Jahr prognostiziert RWE allenfalls einen gleichbleibenden Gewinn, verweist etwa auf den Rodungsstopp im Hambacher Forst. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte dem Konzern im Herbst verboten, Bäume zu fällen, bis die Gerichte über Klagen von Naturschützern gegen den Tagebau geurteilt haben.

Zugleich will RWE selbst zu einem Ökostromkonzern werden: Die Essener wollen ihre Tochterfirma Innogy mit dem Netz- und Vertriebsgeschäft noch in diesem Jahr an den Konkurrenten Eon abtreten, falls die Wettbewerbsbehörden zustimmen. Im Gegenzug soll RWE die Wind- und Solarparks von Eon und Innogy übernehmen. Der Konzern stiege damit zum drittgrößten Ökostromproduzenten Europas auf - wenngleich mit Anlagen, die zum Großteil nicht in Deutschland stehen. "Wir bei RWE stehen zur Energiewende", tönt Schmitz.

Diese könne freilich nur gelingen, wenn Deutschland genug Leitungen für den vielen Ökostrom baue. "Ohne den Netzausbau können wir die Energiewende und den Kohleausstieg vergessen", sagt Schmitz und warnt manch lokale Initiative: "Es funktioniert einfach nicht, wenn man gleichzeitig gegen Kohle, gegen Windräder, gegen neue Netze, eigentlich gegen alles ist."

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SZ vom 15.03.2019
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