Brauereiboom im Weinland:Bier all'italiana

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In Italien tritt eine junge Generation von Brauern gegen die Kolonialisierung durch die deutsche Bierkultur an. Die Zahl kleiner, experimentierfreudiger Qualitätsbrauereien steigt rasant an. Sie setzen auf Handwerk, einheimische Zutaten und eine neue Dolce Vita.

Ulrike Sauer, Rom

Die Szene ist jung, experimentierfreudig, kreativ. Wie sich das gehört für eine Start-up-Generation. Technologisch sind die Gründer ihrer Zeit zwar nicht voraus - aber bitte, man ist in Italien. Noch dazu im Handwerk. Das macht dieses Phänomen umso erstaunlicher: den Bierboom im Winzerland. Schon mal von der Kernkompetenz der Toskaner beim Bierbrauen gehört? Vom Wettbewerbsvorteil piemontesischer Hopfenanbauer? Dann wird es höchste Zeit.

Italien ist bekannt für seine Landschaft, seine Pizza, seinen Wein. Und jetzt auch für sein Bier. (Foto: dpa)

In Italien schießen die Qualitätsbrauereien aus dem Boden. Eine Gründungswelle rollt durch das blockierte Land, wie man sie dort seit den Sechzigern, dem Turbo-Jahrzehnt des italienischen Kapitalismus, nicht mehr erlebt hat. Das war, als Federico Fellini mit "La dolce vita" der chaotischen Vitalität des Wirtschaftswunders im ehemaligen Agrarland ein Film-Denkmal setzte. Und einen Mythos schuf, der zu einem unvergänglichen, wenngleich inhaltsleeren Markenzeichen im Ausland wurde. Es war, als Italien noch Zukunft hatte.

Eine junge Generation Brauer tritt gegen die deutsche Bierkultur an

Nun tritt eine junge Generation Brauer mit Leidenschaft und Phantasie gegen die Kolonialisierung durch die deutsche Bierkultur an. Die Weinmacht Italien holt rasant auf. Mitten in den Rebbergen des antiken Oinotria, wie die Griechen das Weinland nannten, drängten schon 445 Hersteller auf den Markt. Ihr Bier ist handwerklich gebraut. Die Auswahl an nicht pasteurisierten, nicht gefilterten und charakterstarken Bieren wächst ungestüm. Klein, aber fein und sehr italienisch - so stellten sich die kleinen Brauunternehmen unter dem Claim "Mikro Malz" auf der Nahrungsmittelmesse Cibus in Parma zwischen Schinkenkeulen und Parmigiano-Laiben vor.

Die Branche expandiert, weil wir Geschmack und Tradition neu interpretieren", glaubt Giulia Pinardi vom Brauhaus Amarcord. Die Mikro-Hersteller machen ihr Bier all'italiana, indem sie lokale Zutaten verwenden wie Kastanien, Dinkel und mediterrane Kräuter. Bei Amarcord setzt man zum Beispiel saure Wildkirschen und -pflaumen zu. Gegründet wurde die Brauerei in den neunziger Jahren in Fellinis Heimat Rimini und benannt nach seiner Oscar-gekrönten Stadt-Hommage "Amarcord". Ein neuer Eigentümer kurbelte die Produktion 2006 wieder an. Sie steigt in diesem Jahr auf 30.000 Hektoliter. "Den Deutschen Bier zu verkaufen, ist noch schwer", sagt Amarcord-Chef Rino Mini. Er exportiert nach Brasilien, Nordeuropa, in die USA.

Handwerkliches Brauen beschert Italien sein Bierwunder

Teo Musso, 48, ist der Begründer der neuen Welle. Den Weg zum Bier fand er als Akt jugendlichen Aufbegehrens gegen den Vater, ein Weinbauer in den Langhe, wo so erlesene Tropfen wie Barolo und Barbera gekeltert werden. Teo rebellierte gegen die Trinksitten seiner Familie und trank Bier - auch wenn ihm der industrielle Gerstensaft nicht wirklich schmeckte. Starrköpfig machte er sich selbst ans Brauen.

"Die Nase ist mein Glück, sie brachte mich auf die richtige Spur", sagt er. 1996 entstand aus seiner Gasthausbrauerei in Piozzo die Marke Birra Baladin. Musso hat die Nachfrage nach Bieren gewittert, die sorgfältiger hergestellt werden und hochwertige Rohstoffe enthalten. "Wie Wein ist auch Bier eine Frucht der Erde", sagt der Star-Brauer, der seine Flaschen mit Korken verschließt und mit Lack versiegelt.

Bei Baladin gibt es Bier aus Barrique-Fässern, Flaschengärungen und das erste italienische Hopfenbier namens Nazionale. Der Piemontese baut selbst Gerste an, er erntet als Einziger in Italien sogar Hopfen. Die Emanzipation des Malzgetränks bescherte Italien sein Bierwunder.

Handwerkliche Brauereien sind weltweit im Kommen. Das Tempo und die Qualität wie in Italien erlangte das Phänomen aber nirgends. Wohl weil man dort den Mut zu Experimenten honoriert. 30- bis 40-jährige Italiener ziehen das Bier dem Wein vor. So mag das Schuldenland Italien die Zukunft hinter sich haben - seine Bierbrauer haben sie vor sich. In Rom sucht man nach einem halben Jahrhundert die Dolce Vita an Via Veneto oder Trevi-Brunnen vergebens. Sie zog ins "Baladin Open Roma", Mussos Bierlokal hinterm Campo de' Fiori.

© SZ vom 16.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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