Dammbruch in Brasilien:"Keine Mängel festgestellt"

Dammbruch in Brasilien - Der Staudamm vor und nach dem Unfall

Der Staudamm vor und nach der Katastrophe auf Satellitenaufnahmen

(Foto: DigitalGlobe via AP)
  • Bei dem gebrochenen Staudamm in Brasilien konnte der TÜV Süd noch im vergangenen Herbst keine Mängel feststellen.
  • Mindestens 65 Menschen kamen durch die Schlammlawine ums Leben.
  • Schon länger expandiert der TÜV in andere Länder und erweitert seinen Prüfbereich, teils auch mit schlechten Folgen für die Verbraucher.

Von Thomas Fromm, Boris Herrmann, Frederik Obermaier und Uwe Ritzer

"Mais Segurança. Mais Valor" - so lautet der Firmenslogan von TÜV Süd auf Portugiesisch: "Mehr Sicherheit. Mehr Wert." Deutsch, bodenständig, gewissenhaft. Das Versprechen, Industrieprodukte und Infrastrukturprojekte mit absoluter Gründlichkeit zu prüfen, kommt sehr gut an in Brasilien, einem Land, in dem der ewige Pfusch auch mal als Folklore gilt. Man muss dazu wissen, dass in Brasilien der weitverbreitete Glaube herrscht, dass in Deutschland alles funktioniert. Dass sich Busse und Züge niemals verspäten, genauso wenig wie die Deutschen selbst. Dass Großbaustellen pünktlich fertig werden und am Ende exakt das kosten, was zuvor vereinbart worden war. Und dass man sich darauf verlassen kann, wenn irgendwo auf dieser Welt ein Prüfsiegel aus Alemanha klebt.

So einfach ist es natürlich nicht, aber auf diesem Deutschlandbild basiert offenbar der Erfolg von TÜV Süd do Brasil, einer Tochter von TÜV Süd in München.

Wer alle zwei Jahre sein Auto zum TÜV bringt, weiß vielleicht nicht unbedingt, dass von 2,4 Milliarden Euro Jahresumsatz des Unternehmens 42 Prozent im Ausland eingefahren werden; und es 1000 Standorte in fast 50 Ländern gibt, von Afrika über China und die Vereinten Arabischen Emirate bis in die USA. Vielleicht wundert er sich aber auch, wie es sein kann, dass in Brasilien der Damm an einer Eisenerzmine bricht - und ein deutsches Unternehmen mit dem Namen TÜV Süd erst am 26. September 2018 die Anlage geprüft hat. Und, wie ein Sprecher sagt, "nach unserem momentanen Kenntnisstand keine Mängel festgestellt" wurden. Alles in Ordnung am Erzschlammbecken.

Nach außen geben sich die TÜV-Süd-Manager gerne als Macher. Auf ihrer Internetseite heißt es: "Die TÜV-Süd-Experten sind leidenschaftliche Techniker, die sich täglich von neuen Möglichkeiten inspirieren lassen." Zurzeit wirbt man mit einem Imagefilm um neue Mitarbeiter. Dort heißt es: "Obwohl wir nicht verstehen, wie etwas funktioniert, können wir sicher sein, dass es funktioniert." Was für ein Satz!

Von Schönheitsmitteln bis zu stillgelegten Industriegebieten - alles kann man hier prüfen lassen

In Brasilien hat es wohl lange funktioniert, nach eigenen Angaben ist der deutsche TÜV seit zwei Jahrzehnten dort aktiv, die Geschäfte scheinen gut zu laufen. Derzeit sind fast 500 Mitarbeiter in drei Büros und einem Labor von TÜV Süd do Brasil angestellt, allesamt mit Sitz in São Paulo. Die Firma bietet ihren Service auch in anderen südamerikanischen Ländern an. Es geht um die Qualitätskontrolle von Lebensmitteln, Getränken, Schönheits- und Gesundheitsprodukten, um die Überwachung und Zertifizierung von Infrastruktur, Umweltprojekten und sogar stillgelegten Industriegebieten. Und eben um die Kontrolle von Minen im Bergbau.

Dann aber brach am Freitag um die Mittagszeit der Staudamm eines Rückhaltebeckens der Eisenerzmine Feijão unweit der Ortschaft Brumadinho im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, mindestens 65 Menschen wurden in der Schlammlawine getötet. In einem offiziellen Statement teilte die Betreiberfirma Vale mit: "Der Staudamm besaß einen Sicherheitsstandard im Einklang mit den weltweiten Good-Practice-Kriterien und oberhalb der üblichen brasilianischen Norm. Beide erwähnten Stabilitätserklärungen (gemeint sind die von TÜV Süd, d. Red.) attestierten die physische und hydraulische Sicherheit des Staudammes." Pikantes Detail: Der Feijão-Staudamm wurde nach Angaben von Vale im Jahr 1976 von Ferteco Mineração gebaut, einer Tochter des deutschen Stahlherstellers Thyssenkrupp.

In der Haftung

Die Folgen des Dammbruchs werden auch große Versicherer treffen. Nach SZ-Informationen führt die Allianz ein Rückversicherungskonsortium an, das den Bergwerkskonzern Vale gegen Haftpflichtrisiken absichert. Über die Höhe der Police gibt es keine verlässlichen Angaben, Zahlen von unter 500 Millionen bis zwei Milliarden Dollar werden genannt. Zudem hat Vale eine Versicherung gegen Schäden an eigenen Einrichtungen und Betriebsunterbrechungen. Allerdings haben die Versicherer nach einem ähnlichen Schaden von 2015 darauf bestanden, dass Vale hohen Selbstbehalten zustimmt. Die Zahlung der Gesellschaften sei auf 100 Millionen Euro beschränkt. Dies wird wahrscheinlich dazu führen, dass Geschädigte, aber möglichweise auch Vale selbst Entschädigungen vom TÜV Süd verlangen, der die Anlage kontrolliert und für sicher erklärt hat. Herbert Fromme

Und nun also die große Katastrophe mit vielen Toten und Verletzten - und die Frage, was hier schiefgelaufen ist. Einer der großen Irrtümer, was den TÜV angeht, ist die Annahme, bei jeder TÜV-Zertifizierung gehe es so genau zu wie bei der Prüfung des eigenen Autos. Da werden Bremsen kontrolliert, die Karosserie abgeklopft und Fernlichter getestet. Dass in anderen Bereichen nicht so genau hingeschaut wird, bekamen vor einigen Jahren Tausende Frauen aus ganz Europa zu spüren. Sie tragen oder trugen Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implants Prothèse (PIP) in ihrem Körper. PIP trug seit 1997 das sogenannte CE-Siegel - und zwar nach Prüfung durch den TÜV, genauer: den TÜV Rheinland. Kritiker bemängeln schon länger, es gehe beim TÜV Süd, aber auch den beiden anderen großen TÜVs, Rheinland und Nord, womöglich mehr um Expansion als um Sorgfalt im Kerngeschäft. Konsequent dehnte der TÜV in den vergangenen Jahren nicht nur die Prüffelder, sondern auch das Auslandsengagement aus. Und bei Beobachtern drängt sich der Verdacht auf: Es geht vor allem um Größe.

So wie vor einigen Jahren, als es um Investitionen in einen angeblichen Wundermotor ging, in dem Rapsöl mit Wasser verdünnt werden sollte. Ein Riesengeschäft für Anleger mit satten 30 Prozent Rendite wurde versprochen, der Wirkungsgrad des Motors: unglaubliche 75 Prozent. Und das, obwohl Fachleute doch allenfalls die Hälfte für realistisch hielten. Wer an alldem zweifelte und entsprechend zögerte, in das verlockende Geschäft mit Blockheizkraftwerken einzusteigen, dem legten die Vertreter der Nürnberger GFE Gesellschaft für Erneuerbare Energien eine Expertise über den Wundermotor vor. Autor: der TÜV Süd. Viele Anleger investierten nun und verloren viel Geld. Der TÜV Süd soll dabei vor allem die Angaben des Herstellers übernommen haben. Die GFE-Ganoven nutzten das TÜV-Plazet als Argument für die scheinbare Wirksamkeit des Motors. Ein peinlicher Vorgang. Dennoch war man sich beim TÜV Süd keiner Schuld bewusst. "Wir haben doch nur den Rapsölverbrauch gemessen", hieß es.

Jetzt also der Dammbruch in Brasilien. "Wir werden die Ermittlungen vollumfänglich unterstützen und den Ermittlungsbehörden alle benötigen Unterlagen zur Verfügung stellen", teilte TÜV Süd mit. Darauf darf man durchaus gespannt sein.

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