Pestizide:Brasilien droht ein Gift-Boom

Pestizide: Ein Flugzeug bringt im brasilianischen Bundesstaat Bahia Pestizide aus.

Ein Flugzeug bringt im brasilianischen Bundesstaat Bahia Pestizide aus.

(Foto: NELSON ALMEIDA/AFP)

In dem Land steigt seit Jahren der Einsatz von Pestiziden - trotz schwerer Folgen für Mensch und Natur. Auch deutsche Firmen verdienen kräftig mit. Nun droht ein neues Gesetz die Lage sogar noch zu verschärfen.

Von Elisabeth Dostert und Christoph Gurk, Buenos Aires

Von oben betrachtet ist Brasilien vor allem eines: Sehr grün. Da wäre einmal der Amazonas-Regenwald im Norden. Auf Satellitenbildern sieht er aus wie ein Meer aus Bäumen. Gleichzeitig ist da aber auch noch jenes Mosaik, das sich über den Süden und Osten des Landes erstreckt: Tausende grün-beige Flecken, jeder von ihnen eine Weide, ein Acker oder ein Feld.

Brasilien ist heute einer der größten Agrarproduzenten der Welt. Es leben mehr Rinder im Land als Menschen, und zusammengefasst sind die brasilianischen Sojafelder größer als die gesamte Bundesrepublik Deutschland.

Die Branche boomt und während auf der einen Seite immer mehr Amazonas-Regenwald buchstäblich in Rauch aufgeht, um Platz zu machen für noch mehr Weiden und Felder, steigt auf der anderen Seite der Einsatz von Pestiziden immer weiter an.

Pestizide: Wie ist ein Stück Regenwald im Amazonasgebiet durch Brandrodung verschwunden, häufig um illegal Platz für Äcker und Vieh zu schaffen . 2021 war es nach Angaben des WWF besonders schlimm.

Wie ist ein Stück Regenwald im Amazonasgebiet durch Brandrodung verschwunden, häufig um illegal Platz für Äcker und Vieh zu schaffen . 2021 war es nach Angaben des WWF besonders schlimm.

(Foto: Andre Penner/dpa)

Mehr als eine halbe Million Tonnen werden mittlerweile jedes Jahr versprüht und verspritzt in Brasilien, ein toxischer Regen, hunderte Liter, jeden Tag. Dazu wurden in dem Land alleine letztes Jahr auch noch über 500 Agrargifte neu zugelassen - so viele, wie noch nie zuvor.

Bolsonaro hat eine Agrarlobbyistin zur Landwirtschaftsministerin gemacht

Möglich macht das ein Mann: Jair Bolsonaro. Brasiliens rechter Präsident hat vor allem auch mit der Hilfe der mächtigen Rinderzüchter und Großgrundbesitzer die Wahlen von 2018 gewonnen. Seitdem hat er eine Agrarlobbyistin zur Landwirtschaftsministerin gemacht und bei Umweltbehörden die Gelder gekürzt. Dazu hat sich in seiner Amtszeit eben auch die Zahl der erlaubten Pestizide fast verdoppelt und nun könnte bald auch noch ein Gesetzesentwurf verabschiedet werden, der die Zulassungen noch einmal in die Höhe treibt: Offiziell trägt er den Namen PL 6299/02, inoffiziell sprechen Presse und Umweltschützer aber nur vom "pacote do veneno", dem Giftpaket.

Der Gesetzesentwurf sieht vor, die Entscheidungsbefugnis über die Zulassung eines neuen Pestizids in die Hand des Agrarministeriums zu legen. Umwelt- und Gesundheitsbehörden hätten nur noch eine beratende Funktion. Die Prüfprozesse würden beschleunigt und damit vermutlich auch verwässert und es könnten sogar Stoffe zugelassen werden, die nachweislich der Gesundheit schaden, wenn sie nur wichtig genug sind für die Landwirtschaft.

Anfang Februar hat das Vorhaben schon die Abgeordnetenkammer passiert, nun liegt es zur Abstimmung im Senat. Umweltschützer schlagen Alarm, nicht nur in Brasilien, sondern weltweit: "Der Gesetzesentwurf könnte die ohnehin schon dramatische Situation mit Pestiziden in Brasilien noch weiter verschlimmern", sagt Gesche Jürgens von Greenpeace Deutschland.

Pestizide: Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro zu Pferde im Februar bei einem Besuch in der Provinz.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro zu Pferde im Februar bei einem Besuch in der Provinz.

(Foto: Jose Aldenir /Imago Images)

Tatsächlich sind die Folgen des hohen Pestizideinsatzes in Brasilien besorgniserregend. Tausende akute Vergiftungen gibt es jedes Jahr, und das sind nur die offiziellen Zahlen: Viele Menschen haben Angst, Vorfälle zu melden, weil Großbauern oft die einzigen Arbeitgeber in der Region sind.

Mädchen, denen schon mit sechs Monaten Brüste wachsen

Zu all dem kommen Langzeitfolgen: Biologen registrieren Missbildungen bei Tapiren, es gibt Massensterben bei Bienenvölkern. In Dörfern, die nahe bei großen Monokulturen liegen, haben Forscher unlängst einen Anstieg der Säuglingssterblichkeit festgestellt. In einem anderen Fall stießen sie auf Mädchen, denen schon mit sechs Monaten Brüste gewachsen waren.

Nicht nur die reine Menge der Pestizide spielt bei all dem eine Rolle, sondern auch die Frage, welche Agrargifte eingesetzt werden dürfen. Denn einige Mittel, die tagtäglich über brasilianischen Feldern versprüht werden, sind in Deutschland und Europa überhaupt nicht zugelassen.

Umweltschützer sprechen von einem "Doppelstandard": Während Deutschland und die EU zuhause die Natur und Menschen schützen, können europäische Firmen gleichzeitig gute Geschäfte machen mit dem Verkauf von Pestiziden nach Brasilien.

Auch deutsche Firmen verdienen hier mit: Bei Bayer sagt man zum Beispiel, Brasilien sei wegen seiner ausgeprägten Landwirtschaft ein wichtiger Markt. Insgesamt listet die Firma mehr als 90 Produkte auf, die man in Brasilien anbiete, fast zwei Dutzend davon werden laut Greenpeace aber als hochgefährlich eingestuft, 17 hätten keine Zulassung in der EU.

Bei Bayer sagt man, dies dürfe man nicht falsch verstehen: "Allein die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus", erklärt ein Unternehmenssprecher. Für viele Produkte sei die Zulassung überhaupt nicht beantragt worden, weil man sie in der EU wegen andere Witterung oder anderem Plagebefall nicht benötige. Dazu gäbe es auch in Brasilien funktionierende Kontrollbehörden. "Ihre Bewertungen spiegeln die spezifischen agronomischen Bedingungen der jeweiligen Länder wider und stellen mitnichten einen von einigen NGOs vorgeworfenen Doppelstandard dar", heißt es bei Bayer. Es gäbe klare Regelwerke, die man strikt erfülle und sogar übertreffe.

Mit Pestiziden belastete Früchte aus Brasilien landen auch in deutschen Supermärkten

Ganz ähnlich argumentiert BASF. Auch hier verdient man gut mit dem Verkauf von Agrargiften in Brasilien. Man nehme seine soziale Verantwortung sehr ernst: "Wir haben deshalb proaktiv den Verkauf von Produkten der WHO-Klassen 1A und 1B (hohe akute Toxizität) eingestellt".

Pestizide: Brasilien gilt als eines der weltweit wichtigsten Anbaugebiete für Sojabohnen. Das Gros wird exportiert.

Brasilien gilt als eines der weltweit wichtigsten Anbaugebiete für Sojabohnen. Das Gros wird exportiert.

(Foto: Weimer Carvalho/dpa)

Marina Lacorte von Greenpeace Brasilien rollt nur mit den Augen, wenn sie diese Argumente hört. "Das sind die immer gleichen Rechtfertigungen", sagt sie. Nur weil ein Mittel von der WHO als weniger gefährlich eingestuft wurde, heiße es nicht, dass es ungefährlich sei. "Es kommt auch immer darauf an, wie man vor Ort Pestizide ausbringen darf, ob sie zum Beispiel mit dem Flugzeug versprüht werden können und welche Grenzwerte es vor Ort gibt", sagt Lacorte. Und natürlich gäbe es unterschiedliche Klimazonen auf der Welt. "Aber auch in Europa gibt es Länder, in denen es im Winter nicht wirklich kalt wird und wo Zitrusfrüchte wachsen. Wieso sind hier Agrargifte verboten, die bei uns in Brasilien eingesetzt werden dürfen?"

Lacorte hofft, dass das brasilianische Gesetzesvorhaben für die erleichterte Zulassung von Pestiziden im Senat scheitert. Gleichzeitig haben einige europäische Länder ihrerseits schon begonnen, zu handeln: In Frankreich dürfen Pestizide, die in der EU nicht zugelassen sind, nicht mehr produziert und exportiert werden. Ähnliche Regeln gibt es heute auch in der Schweiz.

Untersuchungen von Greenpeace belegen aber, dass Papayas, Mangos und viele andere Früchte, die aus Brasilien in deutsche Supermärkte kommen, mit Pestiziden belastet sind - darunter auch solche, die als hochgefährlich gelten und in der EU keine Zulassung haben.

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