Brasilien:Im Zweifel für die Wirtschaft

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Das Land braucht dringend Geld. Präsident Michel Temer will nun ein Schutzgebiet im Regenwald in der Größe der Niederlande auflösen, um Rohstoffe zu fördern. Prominente und Naturschützer protestieren.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Niemand wurde vorgewarnt, niemand wurde gefragt, nirgendwo wurde abgestimmt. Die Nachricht, dass das Schutzgebiet Renca aufgelöst werden soll, erreichte die Brasilianer als amtliche Bekanntmachung. Präsident Michel Temer hatte die Entscheidung per Dekret verfügt und es nicht für nötig gehalten, die Bevölkerung darüber zu informieren, weshalb er ein Stück Regenwald von der Größe der Niederlande zur Rohstoffförderung freigeben will. Nähere Informationen gab es wenig später aus dem Ministerium für Bergbau und Energie: "Ziel der Maßnahme ist es, neue Investoren anzulocken, um Bodenschätze zum Wohle des Landes zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen, immer im Einklang mit den Vorschriften der Nachhaltigkeit."

Wirtschaft schlägt Natur: Diese Linie verfolgt die Regierung in Brasilien. (Foto: Mario Tama/Getty Images)

Eine gewisse Komik besteht schon darin, das Wort "Nachhaltigkeit" in dieser Mitteilung unterzubringen. Aber lachen konnte nach diesem Dekret niemand mehr, der sich um den amazonischen Regenwald sorgt. Die brasilianische Abteilung der Naturschutzorganisation WWF sprach von einer "angekündigten Katastrophe", der Oppositionspolitiker Randolfe Rodrigues vom "größten Angriff auf den Amazonas in den vergangenen 50 Jahren".

In jedem Fall war es für den brasilianischen Regenwald die bislang schlechteste in einer Reihe von schlechten Nachrichten, seit Temer vor gut einem Jahr Präsident wurde. Wenn seine von Korruptionsskandalen getriebene Regierung nur eine klare Linie erkennen lässt, dann in dieser Hinsicht: Wirtschaft schlägt Natur. Systematisch fährt sie den Schutz des amazonischen Regenwaldes zurück, der als größter Süßwasserspeicher der Erde gilt und das Weltklima maßgeblich beeinflusst. Dabei ging es ursprünglich gar nicht um die Natur, als die "Reserva Nacional de Cobre e Associados", kurz Renca, geschaffen wurde. Es ging um Protektionismus. Unter Schutz gestellt wurde das Areal in den nördlichen Bundesstaaten Pará und Amapá 1984 zu Zeiten der Militärdiktatur. Die Gegend ist reich an Kupfer, Gold, Eisenerz und Mangan; diese Schätze wollten die Generäle vor dem Zugriff ausländischer Investoren bewahren. Dadurch entstand so etwas wie ein Kollateralnutzen für den Wald und seine angestammten Bewohner. Gut zwei Drittel des Gebietes wurden inzwischen in Naturparks und Reservate für die indigene Bevölkerung umgewandelt. Das alles will Temer nun auflösen - aufgrund eines akuten Engpasses in der Staatskasse.

Manche sehen die chinesischen Bergbaukonzerne schon in der Amazonasregion anrücken

Weil sie dringend Geld braucht, möchte die brasilianische Regierung gerade über 50 Staatsbetriebe privatisieren, darunter auch Eletrobras, den größten Energieversorger Lateinamerikas. Zum Ausverkauf stehen ferner: mehr als ein Dutzend Flughäfen, 15 Häfen sowie die nationale Druckerei für Geldscheine und Reisepässe. Temers Kritiker sagen, dass inzwischen auch der Regenwald in diese Liste gehört. Der frühere Präsident Luiz Inácio Lula da Silva spricht von einer "Denationalisierung der Amazonasregion." Dem Renca-Dekret zufolge könnten nun weltweit Konzessionen zum Abbau der Bodenschätze nördlich des Amazonas-Hauptstroms vergeben werden. Manche sehen deshalb schon die Holzfäller, Planierraupen und die chinesischen Bergbaukonzerne anrücken. Ganz so weit ist es noch nicht, denn offenbar hat der Präsident die Wucht des Widerstandes unterschätzt, der unter anderem von dem brasilianischen Topmodel Gisele Bündchen angeführt wird - mit solchen Nachrichten: "SCHANDE! Wir versteigern unseren Amazonas". Oder: "Das ist unser Wald, unser Wasser, unser Leben - unser Planet!" Dem folgten nicht nur in sozialen Netzwerken weit mehr Menschen, als es der ohnehin extrem unbeliebten Regierung recht sein konnte. Die versuchte den Grad der Entrüstung mit einer Mitteilung abzufedern, die alles noch schlimmer machte. Darin hieß es, das betreffende Gebiet am Amazonas sei "kein Paradies, wie viele behaupten". Tatsächlich ist nicht zu leugnen, dass dort bereits viele illegale Minen existieren. Aber, so fragen Temers Gegner, kann das als Rechtfertigung dienen, um die Schutzgebiete ganz aufzulösen? Der Bundesrichter Ronaldo Sanholo hat noch ein ganz anderes Problem mit dem Dekret. Die Renca aufzulösen sei ein so gravierender Eingriff in die nationalen Ressourcen, dass er nur mit Zustimmung des Kongresses verfassungskonform sei. Damit ist das Projekt vorübergehend gestoppt. Kaum jemand glaubt aber, dass das Schutzgebiet damit gerettet ist. Die Regierung kündigte an, den Gerichtsentscheid anzufechten.

Würde das Schutzgebiet Renca aufgelöst, wäre auch die indigene Bevölkerung betroffen. (Foto: Eraldo Peres/AP)

Der Regenwald wird derzeit nicht nur von der wirtschaftlichen, sondern auch von der politischen Krise in Brasilien bedroht. Um sich im Amt zu halten, ist Temer auf die Loyalität der parteiübergreifenden Agrar- und Bergbaulobby angewiesen, die darauf drängt, die Amazonasregion wirtschaftlich zu erschließen. Nur mit Hilfe dieser sogenannten Ruralistas bekam Temer im Kongress genügend Stimmen zusammen, um die jüngste Korruptionsanklage gegen ihn zu blockieren. Es wundert deshalb kaum, dass er politische Geschenke in diese Richtung verteilt. Zumal die Ruralistas ahnen, dass sie bald wieder gebraucht werden. Kommende Woche will der Generalstaatsanwalt die nächste Anklage gegen den Präsidenten vorlegen.

© SZ vom 01.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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