Dammbruch in Brasilien:Gewerkschaft attackiert TÜV Süd

Dammbruch in Brasilien: Am 25. Januar 2019 begrub eine riesige, giftige Schlammlawine Menschen, Tiere und Häuser. Das Problem: TÜV Süd hatte den geborstenen Damm nur wenige Monate vorher noch als sicher zertifiziert.

Am 25. Januar 2019 begrub eine riesige, giftige Schlammlawine Menschen, Tiere und Häuser. Das Problem: TÜV Süd hatte den geborstenen Damm nur wenige Monate vorher noch als sicher zertifiziert.

(Foto: Bruno Correia/AP)

Die IG Bergbau, Chemie, Energie unterstützt eine weitere Klage wegen der Katastrophe in Brasilien. Die Kernfrage lautet: Haften deutsche Konzerne auch für ihre ausländischen Filialen?

Von Klaus Ott

Ärger hat der TÜV Süd schon genug nach der Staudamm-Katastrophe vor drei Jahren in Brasilien mit 270 Toten; beim Landgericht München I ist eine große Klage gegen den Prüfkonzern angängig. Jetzt hat der TÜV Süd auch noch die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) gegen sich. Die IG BCE unterstützt eine weitere Klage gegen den Prüfkonzern, der damit gewissermaßen in die Zange genommen wird.

Es geht um viel menschliches Leid in Brasilien und um viel Geld für den TÜV Süd, der den geborstenen Damm wenige Monate vorher noch als sicher zertifiziert hatte und den Betroffenen mehr als 400 Millionen Euro zahlen soll. Und um Grundsatzfragen, die weit über diesen Fall hinausreichen: Können die Gewerkschaften internationale Standards zum Schutze von Beschäftigten durchsetzen? Und müssen deutsche Konzerne dann auch für ihre ausländischen Filialen haften?

Die Deutschen wollen auf keinen Fall zahlen

Der TÜV Süd, der jede Mitverantwortung für den verheerenden Dammbruch weit von sich weist, will auf keinen Fall zahlen. Auf eine erste, damals noch kleine Klage hin hat der Prüfkonzern bereits im März 2020 beim Landgericht München I eindringlich vor einer weitreichenden Haftung gewarnt. Das wäre ein "erheblicher Anreiz", um in anderen Teilen der Welt eine Art Durchgriff zu versuchen. Und um letztlich einen Durchgriff zu ermöglichen, der auf die "vermeintlich tiefen Taschen" deutscher Unternehmen mit ausländischen Filialen abziele, so der TÜV Süd.

Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der IG BCE, hat kein Verständnis für die Haltung des TÜV Süd. Die brasilianische Filiale des deutschen Prüfkonzerns habe "wider besseres Wissen" eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für den nahe der Stadt Brumadinho gelegenen Staudamm ausgestellt. Deshalb sei es moralisch und juristisch geboten, dass auch die in München ansässige Zentrale des TÜV Süd dafür zur Verantwortung gezogen werde. Zumal die Konzernzentrale Bescheid gewusst und das falsche Zertifikat abgesegnet habe, sagt Vassiliadis. Der TÜV Süd bestreitet das.

1112 Menschen wollen Schadenersatz

Am 25. Januar 2019 war der Staudamm einer Eisenerzmine bei Brumadinho geborsten, eine riesige, giftige Schlammlawine begrub Menschen, Tiere und Häuser. Die Folgen beschäftigen heute das Landgericht München I. 1112 Menschen aus Brasilien verklagen den TÜV Süd auf 436 Millionen Euro Schadenersatz. Die Klägerinnen und Kläger sind vor allem Angehörige von Opfern, aber auch Überlebende des Unglücks. Zu diesem großen Verfahren kommt die weitere, von der IG Bergbau unterstützte Klage hinzu.

Rund 190 Minenarbeiter und Angehörige von Beschäftigten, die ums Leben gekommen sind, fordern knapp 13 Millionen Euro Schmerzensgeld. Die IG Bergbau arbeitet eng mit der brasilianischen Schwestergewerkschaft CNQ-CUT zusammen und unterstützt die Klage mit mehreren Hunderttausend Euro, die als Kostenvorschuss bei Gericht fällig sind. Vassiliadis pocht auf die "Verantwortung deutscher multinationaler Konzerne".

Seit verheerenden Unglücken in asiatischen Textilfabriken mit Dutzenden, Hunderten oder gar mehr als tausend Toten und Verletzten versuchen soziale Hilfswerke und Gewerkschaften, über die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) weitreichende Auflagen zum Schutze der Beschäftigten durchzusetzen. Damit Konzerne in Deutschland und anderswo, die ihre Ware in Billiglohnländern herstellen lassen, in die Pflicht genommen werden.

In der unterhalb des Damms gelegenen Kantine gab es besonders viele Tote

Um internationale Standards, die inzwischen auch in Brasilien gelten würden, geht es nach Gewerkschaftsangaben auch im Falle des geborstenen Damms. Hätte die Filiale des TÜV Süd den Damm nicht als sicher eingestuft, dann hätte der Bergbaukonzern Vale als Betreiber der Mine und des Staudamms reagieren müssen, glaubt die IG Bergbau. Die unterhalb des Damms gelegene Kantine, in der es besonders viele Tote gab, hätte an einen sicheren Ort verlegt werden müssen.

Der TÜV Süd widerspricht. "Wir sind überzeugt, dass TÜV SÜD keine rechtliche Verantwortung für den Dammbruch trägt." Darüber hinaus würden die Kläger vom Dammbetreiber Vale in Brasilien umfassend entschädigt werden. "Damit fehlt aus Sicht des TÜV SÜD eine Grundlage dafür, Betroffenen Zahlungen anzubieten." Der Prüfkonzern glaubt, beim Landgericht München I Gehör zu finden. Das Gericht München I habe die Betreiber der ersten, inzwischen auf mehr als 1 000 Personen erweiterten Klage, darauf hingewiesen, "dass sie wesentliche Anträge nicht schlüssig begründet haben", so der TÜV Süd.

Das Landgericht habe den Betreibern der ersten Klage deshalb Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme gegeben, erklärt der Prüfkonzern. "Die Auffassung des Landgerichts München I entspricht der Argumentation des TÜV SÜD."

Der weltweit agierende deutsche Prüfkonzern mit einem Jahresumsatz von 2,5 Milliarden Euro geht bei seiner Warnung vor eine "Durchgriffshaftung" noch einen Schritt weiter. In dem bei Gericht im März 2020 eingereichten Schriftsatz heißt es wörtlich: "Die internationale Geschäftstätigkeit deutscher Unternehmensgruppen würde durch unwägbare Haftungsrisiken erheblich erschwert." Hiesige Unternehmensgruppen würden einen "erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber Konzernen aus anderen Staaten erleiden", deren Gerichte das anders sähen.

Die IG Bergbau und die Kläger glauben nicht, dass die deutsche Wirtschaft schwer geschädigt werden würde, sollte der TÜV Süd nach brasilianischem Recht haften müssen. Gewerkschaftschef Vassiliadis wirft dem Prüfkonzern vor, dieser versuche sehr hohe Hürden aufzubauen, "um es den betroffenen Familien in Brasilien unmöglich zu machen in Deutschland zu klagen". Die IG Bergbau befürchtet, der TÜV Süd könnte den Betroffenen einzeln Geld anbieten. Unter der Bedingung, dass Klagen fallen gelassen werden. Doch nicht einmal das will der TÜV Süd tun. Es fehle eine Grundlage dafür, "Betroffenen Zahlungen anzubieten".

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