BP-Unfall erschüttert die Branche:Apokalypse in Öl

Auf die Felder tief unter dem Meer hoffte die ganze Ölindustrie. Die Katastrophe vor der US-Küste könnte aber zu strengen Förderauflagen führen - und sogar die Weltwirtschaft gefährden.

Silvia Liebrich

Die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko entwickelt sich zu einem Desaster für die gesamte Ölindustrie. Während der britische BP-Konzern und seine Helfer verzweifelt versuchen, das Ölleck in der Tiefe zu stopfen, geraten auch andere Produzenten zunehmend unter Druck.

An exhausted oil-covered brown pelican tries to climb over an oil containment boom along Queen Bess Island Pelican Rookery

Ein mit Öl verklebter Pelikan versucht, an der Küste von Louisiana über eine Schutzbarriere gegen den Ölteppich zu klettern.

(Foto: rtr)

Denn der schwerste Ölunfall der Geschichte stellt nicht nur das Geschäftsmodell von BP in Frage, sondern das der gesamten Branche. Energiekonzerne wie Exxon, Shell, Chevron oder Total setzen mehr denn je auf die Förderstätte Tiefsee. Ihnen bleibt kaum etwas anderes übrig, denn dort sind die letzten großen Ölvorkommen zu finden, zu denen sie Zugang haben.

Doch die Risiken, die sie dafür in Kauf nehmen, sind unkalkulierbar. Die Ölmultis müssen deshalb künftig mit rauem Gegenwind aus Politik und Öffentlichkeit rechnen, vor allem in den USA. Zugleich stehen sie vor dem Dilemma, dass sie ihre Produktionszahlen nur halten können, wenn sie ständig neue Ölfelder erschließen, in immer noch größeren Meerestiefen. Die Kosten, die dabei entstehen, liegen etwa 30 Mal so hoch wie die Ölförderung an Land.

Ein Drittel der Ölreserven liegt unter Wasser

Fest steht schon jetzt, lange vor Abschluss der mühsamen Aufräumarbeiten an der amerikanischen Küste, dass die Ölpest weitreichende Folgen haben wird - nicht nur für Produzenten, sondern auch für die weltweite Energieversorgung.

Strengere Auflagen für Bohrungen in der Tiefsee oder gar Verbote, wie sie nun diskutiert werden, führen unweigerlich zu einem knapperen Angebot - immerhin etwa ein Drittel der schrumpfenden Ölreserven der Welt liegt unter Wasser. Eine Entwicklung, die das Wachstum der Weltwirtschaft bremsen würde und auch die Verbraucher zu spüren bekämen, die schon jetzt über hohe Benzin- und Dieselpreise klagen.

Das Unglück vor der amerikanischen Küste rückt auch die Energiepolitik der Vereinigten Staaten in ein kritisches Licht, die seit Jahrzehnten durch eine Kumpanei zwischen Ölindustrie und Regierung geprägt ist. Kein anderes Land der Erde verbraucht mehr Öl pro Kopf.

Strenge Auflagen machen viele Bohrungen unrentabel

Doch auf Präsident Barack Obama lastet nun ein ungeheurer Druck, diese verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Die Vergabe neuer Bohrlizenzen im Golf von Mexiko, an der Ostküste und in Alaska ließ er für sechs Monate aussetzen. Mit der Folge, dass die gesamte Ölproduktion im Golf von Mexiko im nächsten Jahr vermutlich um ein Fünftel sinken wird, so die Prognose von Analysten.

Verschärft Obama die Auflagen für Bohrfirmen dauerhaft, könnten zudem einige der geplanten Projekte gänzlich unrentabel werden. Davon wären mindestens sieben von 13 Ölfeldern im tiefen Wasser betroffen, schätzt die Energieberatungsfirma Wood Mackenzie.

Zu jenen, die bereits einen sprunghaften Anstieg der Ölpreise befürchten, falls die umstrittenen Tiefseebohrungen gestoppt oder eingeschränkt werden sollten, gehört die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris. Die sogenannte Offshore-Förderung sei ein sehr wichtiger Teil der Ölproduktion, bekräftigte Chefökonom Fatih Birol diese Woche. Er warnte außerdem vor den politischen Auswirkungen solcher Eingriffe, weil dadurch die Abhängigkeit der Welt von einigen wenigen ölreichen Nationen steigen werde.

Gemeint sind damit Länder wie Saudi-Arabien, Iran, Venezuela oder Russland, die politisch als unzuverlässig gelten. Schon heute steuern nationale Ölunternehmen drei Viertel zur weltweiten Ölproduktion bei. Ein Anteil, der zu Lasten von BP und anderer börsennotierten Konzernen seit Jahrzehnten wächst.

Unfall belastet ganze Industrie

Trotz dieser Warnungen herrscht an den Rohstoffmärkten noch erstaunliche Ruhe. Das Unglück im Golf von Mexiko, das am 20. April mit der Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon begann, führte bislang nicht zu höheren Ölpreisen. Im Gegenteil, die Notierungen gaben zuletzt sogar wieder leicht nach, bis auf 74 Dollar.

Doch das wird nicht so bleiben. "Die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Ölsektor sind derzeit noch schwer zu beziffern, dürften aber gravierend sein", sagt Rohstoffexperte Carsten Fritsch von der Commerzbank. Dass die außer Kontrolle geratene Ölflut im Golf von Mexiko die gesamten Industrie belastet, lässt sich deutlich an den Aktienkursen ablesen.

Den heftigsten Einbruch verzeichneten die Papiere von BP, die seit Beginn der Krise 40 Prozent ihres Wertes einbüßten. Im Schatten des britischen Konzerns verloren auch die Aktien von Exxon, Shell, Chevron, Total und anderer Ölfirmen teilweise mehr als zehn Prozent ihres Wertes.

Auch sie sind betroffen von Obamas Moratorium. So steckte Shell mehr als zwei Milliarden Dollar in die Ölsuche in der Arktis, die nun buchstäblich auf Eis liegt. Konkurrent Exxon musste ein vielversprechendes Projekt im Golf von Mexiko stoppen - und rechnet nun mit Verzögerungen von über einem Jahr.

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