Boykott am Golf:Wie Katar die Nachbarn neidisch macht

FILE PHOTO - A man looks as the world's biggest LNG tanker DUHAIL as she crosses through the Suez Canal

Der größte Tanker der Welt - die Duhail. Derzeit importieren 39 Länder Flüssiggas - oft verschifft von Katar.

(Foto: REUTERS)
  • Katar hat wesentlichen Anteil daran, dass Erdgas zu einem global handelbaren Energieträger wurde.
  • Katars Aufstieg zum führenden Flüssigerdgas-Lieferanten ist ein wichtiger Teil der Erklärung für den Boykott.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Das Geheimnis von Katars Reichtum besteht aus Stahl, aus Tausenden Tonnen Beton und Hunderten Kilometern Stromkabeln. Von Wüstensand umgeben, etwa 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt Doha, strömt Erdgas aus dem größten Gasfeld der Welt in ein Labyrinth aus Rohren und riesigen Silos, das von oben aussieht wie eine viel zu groß geratene Raffinerie. In den Anlagen wird das Gas gereinigt, aufbereitet - und schließlich unter Druck verflüssigt, um es auf Spezialschiffe zu pumpen und um die Welt zu schicken.

Die erst 20 Jahre alte Industrieansiedlung von Ras Laffan ist Sinnbild für Katars Aufstieg zum größten Exporteur von Flüssigerdgas (LNG) der Welt. Und die Bedeutung dieser Rolle ist in der gegenwärtigen Krise nicht zu unterschätzen.

Katar hatte wesentlichen Anteil daran, dass Erdgas zu einem global handelbaren Energieträger wurde. Anders als Erdöl war Gas einst weitgehend auf den Transport per Pipeline beschränkt. Schon vor dem Bau der Rohre schlossen Produzenten und Abnehmer lang laufende Verträge ab, um die enormen Investitionen zu finanzieren. Die globale Gasversorgung war noch vor wenigen Jahren streng geteilt: Nordamerika, Europa und Asien hatten jeweils eigene Märkte, mit unterschiedlichen Quellen und jeweils eigenen Preissystemen. Der Aufstieg der Erdgas-Verflüssigung zu einer wettbewerbsfähigen Technologie hat diese Grenzen beseitigt, er hält die Preise niedrig und trägt mit dazu bei, dass Erdgas im kommenden Jahrzehnt die Kohle als zweitwichtigsten Energieträger der Welt ablösen dürfte.

Daten der Analysefirma IHS Markit zufolge importieren derzeit 39 Länder Flüssigerdgas, vor zehn Jahren waren es nicht einmal halb so viele. Auf den Weltmeeren fahren jederzeit 170 mit LNG beladene Tanker, jedes Jahr werden es mehr. Im Jahr 2015 hatte verflüssigtes Erdgas einen Anteil von 40 Prozent am weltweiten Gashandel. Spätestens bis 2040 wird den Szenarien der Internationalen Energieagentur zufolge mehr Gas verschifft als durch Pipelines gepresst. Erdgas wird zur Handelsware.

Hilfe von außen

Ohne die Amerikaner wäre daraus wohl nichts geworden, in zweierlei Hinsicht. Nachdem der katarische Kronprinz Hamad bin Khalifa al-Thani Mitte der Neunzigerjahre seinen Vater gestürzt hatte, machte er sich daran, die kleine Halbinsel von einem wichtigen Gaslieferanten zu jenem Giganten auf den weltweiten Energiemärkten zu machen, der sie heute ist. Das ging nicht ohne gewaltige Investitionen aus dem Ausland: Nach dem Zusammenschluss der US-Konzerne Exxon und Mobil im Jahr 1999 hatte der Emir endlich einen Partner, der das nötige Geld und Wissen mitbrachte, um dieses Ziel zu erreichen.

Drei Jahre später war Katar bereits in der Lage, Flüssigerdgas in jeden großen Abnahmemarkt zu verschiffen. Und schon 2007 war das Emirat zum weltweit größten LNG-Lieferanten aufgestiegen. Das kleine Land mit etwa 2,7 Millionen Einwohnern deckt bis heute fast 30 Prozent des weltweiten Bedarfs. Größter Abnehmer ist seit jeher Japan, das mangels Pipelines und eigener Gasquellen schon in den Sechzigerjahren auf LNG-Importe angewiesen war, als die ersten Schiffe gebaut wurden und die Technologie noch extrem teuer war. Heute ist sie konkurrenzfähig, und die flexiblen Flüssigerdgas-Preise bieten Importeuren Vorteile gegenüber den starren Kontrakten für Pipeline-Gas.

Der entscheidende Schub für den globalen Gasmarkt kam wiederum aus den USA. Noch im Jahr 2005 waren in Washington Warnungen zu hören: Die Erdgasvorräte der USA würden dermaßen knapp, dass steigende Preise für Gaseinfuhren das Wirtschaftswachstum bedrohten. Kurze Zeit später geschah das Gegenteil: Die Fracking-Technologie, mit der US-Konzerne damals begannen, die riesigen Schieferformationen tief unter der Erde zu erschließen, machte die USA wieder zu einem der größten Erdöl- und Gasproduzenten. Einst für den Import von LNG vorgesehene Terminals an den US-Küsten wurden für den Export umgerüstet. Im kommenden Jahr dürfte das Land erstmals mehr Gas exportieren als es einführt. Neu erschlossene Gasfelder im Nahen Osten, in Ostafrika und Australien tragen zu einem Überangebot an Gas und einem verschärften Wettbewerb auf dem LNG-Markt bei.

Bis auf Weiteres wird Katar der wichtigste Spieler in diesem Markt bleiben, trotz der Blockade seiner Nachbarstaaten. Das Land baute nur eine einzige Pipeline, mit der es bis heute die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman versorgt, und konzentrierte sich stattdessen auf Abnehmer in Asien, Europa und Amerika. Katars Aufstieg zum führenden LNG-Lieferanten, der vor 20 Jahren begonnen hat, ist ein wichtiger Teil der Erklärung für den Boykott.

Mit dem Gas-Reichtum konnte sich das Emirat von seinen Nachbarn unabhängig machen und ist manchen zu einflussreich geworden. Vor allem aus der politischen Abhängigkeit von Saudi-Arabien konnte sich Katar damit lösen. Es baute seine eigenen diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen aus, mit radikalen Gruppen im Nahen Osten, mit den Vereinigten Staaten, mit Russland und mit Saudi-Arabiens Erzfeind Iran, mit dem es die geologische Formation des weltweit größten Gasfelds teilt. Die Nachbarstaaten haben nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, diesen Einfluss des kleines Landes wieder zu beschneiden.

Hinweis: In der ersten Fassung dieses Artikels war anstatt von "Flüssigerdgas" mitunter von "Flüssiggas" die Rede. Die Begriffe bezeichnen in der Regel indes verschiedene Gasgemische, darum wurde das "Flüssiggas" nun durch "Flüssigerdgas" ersetzt.

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