Bosch:Sachsens Werke

Morgenstimmung

Goldene Zukunft für Dresden: Der Autozulieferer Bosch will hier offenbar Chips fertigen.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Offenbar will der Stuttgarter Autozulieferer Bosch bei Dresden eine neue Halbleiterfertigung aufziehen. Wieder einmal hat der Freistaat damit einen großen Fisch geangelt.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Industriekultur" ist ein großes Wort in Sachsen. Mit dem Auto lässt sich der Freistaat auf der "Route der Industriekultur" erkunden, sie führt so ziemlich in jeden Winkel. Und wenn kommende Woche das Industriemuseum Chemnitz zum Fachtag einlädt, dann ist das Thema "Industriekultur als Produkt". Man wolle, heißt es beim Museum, das Erbe "für die Zukunft nutzbar machen". Wie passend, dass just kommende Woche so ein Stück Zukunft beginnen könnte.

Wie es aussieht, will der Stuttgarter Autozulieferer Bosch dann die größte Investition in der Firmengeschichte bekanntgeben: ein neues Chipwerk in Dresden. Die Sächsische Zeitung hat darüber berichtet, das Unternehmen selbst hält sich bedeckt. Erst am Montag will Bosch-Geschäftsführer Dirk Hoheisel es vorstellen, zusammen mit Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig und Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Solange ist Stillschweigen.

Auch bei den Wirtschaftsförderern des Freistaats. Wie es komme, dass Sachsen so regelmäßig große Industrieprojekte anziehe? So viel öfter als andere ostdeutsche Bundesländer? Die Dame am Telefon bleibt hart. Dieses Rätsel wolle sie ja gerne auflösen, sagt sie. Aber nicht vor Montag. "Das wäre sonst unfair." Abgemacht ist eben abgemacht.

Tatsächlich hat Sachsen in der Vergangenheit einige der größten Investitionen in Ostdeutschland abgegriffen, ist die Zahl der Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe seit Jahren ständig gewachsen. Rund 274 000 industrielle Arbeitsplätze gibt es in Sachsen - und bald noch einmal etwa 700 mehr. So viele sollen nach Medienberichten von 2021 an in dem neuen Bosch-Werk arbeiten. Ihre Aufgabe: Die Fertigung von Sensoren für Autos, die keinen Fahrer mehr brauchen. Solche Sensoren sind der Schlüssel für autonome Fahrzeuge; sie erkennen, ob Hindernisse im Weg sind, sie messen den Abstand und erkennen Schilder. Der Autozulieferer, so heißt es, wolle die Sensoren von 2021 an in Dresden produzieren, etwa für seinen Kunden Daimler. Eine Milliarde Euro soll in das neue Werk fließen, so viel wie nie zuvor in eine einzelne Investition von Bosch. Offenbar hatten sich auch Standorte in Fernost und den USA um den Zuschlag bemüht, vergeblich.

Ein Wort dazu von der Bundeswirtschaftsministerin? Macht da ihr Herz einen Sprung, wenn ein Unternehmen so viel Geld in Deutschland investiert? Brigitte Zypries holt Luft, doch die Antwort ist nur drei Sekunden lang: "Ich freue mich immer, wenn Unternehmen in Deutschland investieren", sagt die SPD-Frau. Bloß jetzt kein Wort zu viel, vor der offiziellen Verkündung am Montag. Dabei hatte das Ministerium schon am Mittwoch zu dem ominösen Termin eingeladen, Thema: "Halbleiterfertigung von Bosch".

"Innerhalb Ostdeutschlands der einzige ernstzunehmende Standort."

Hinter dem Projekt steht ein europäisches Programm zur Förderung der Mikroelektronik. Eine Milliarde Euro steckt allein der Bund zwischen 2017 und 2020 in das Programm, es soll die EU konkurrenzfähiger machen. Dafür macht Brüssel beim Beihilferecht eine Ausnahme, das Unterfangen gilt als "wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse" kurz IPCEI. Investitionszuschüsse werden so leichter, auch andere EU-Länder stehen hinter dem Förderprojekt. Hauptgrund für die Offensive ist die scharfe Konkurrenz aus Fernost und Übersee, Hauptprofiteur ist: Sachsen. "In der EU ist Dresden der einzige Standort, an dem im großen Stil Halbleiter produziert werden", sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter des Dresdner Ablegers des Ifo-Instituts.

Auch das hat Geschichte. In Dresden saß das Stammwerk des DDR-Elektronik-Kombinats Robotron, der volkseigenen Computerschmiede. Nach der Wende richtete der Siemens-Konzern in der Landeshauptstadt die damals modernste Chip-Produktion Europas ein, 1450 Mitarbeiter hatte das Werk, das heute zu Infineon gehört. Anfang des Jahrtausends folgte auch der US-Konzern AMD ins "Silicon saxony", ebenfalls gelockt von öffentlicher Förderung. Heute gehören die Werke zur AMD-Ausgründung Globalfoundries.

Beide, Infineon und Globalfoundries, produzieren auch für die Autoindustrie und auch Sensoren für das automatisierte Fahren - wie Bosch es plant. Globalfoundries, der Konzern fertigt Chips im Auftrag Dritter, hatte zuletzt Investitionen von 1,5 Milliarden Euro in das Werk in Dresden angekündigt.

Er will die Produktion noch ausweiten. Also doch wieder gute alte Industriekultur, nur diesmal mit Industrie 4.0? "Bei der Industriekultur ist viel Folklore und Marketing dabei", sagt Ifo-Forscher Ragnitz. "Ein Investor, der einen Standort sucht, den interessiert nicht, was dort vor 80 Jahren einmal war." Viel interessanter sei die öffentliche Forschung in Sachsen, die Infrastruktur, das urbane Umfeld. "Man muss sehen: Sachsen ist innerhalb Ostdeutschlands der einzige ernstzunehmende Standort." Und innerhalb Sachsens vor allem die Zentren Dresden, Leipzig, und ein bisschen auch Chemnitz. Wenn sich also Bosch nun für Dresden entscheide, sagt Ragnitz, "dann ist das eigentlich normal, dass die das hier machen".

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