Das, was einmal für Bosch die Keimzelle der Mobilität werden sollte, ist jetzt bloß noch ein Stück Wiese. In Leonberg westlich von Stuttgart wollte der Autozulieferer einen Technologie-Campus bauen, mit Platz für 2500 Menschen. Der Konzern wollte dort die Zukunft des automatisierten und vernetzten Fahrens entwickeln. Die Stuttgarter Zeitung schrieb von einer Art „Silicon Valley“ der Fahrassistenz. Die Baugrube war schon ausgehoben, rund zehn Meter tief, für einen Neubau mit Laboren, Konferenz- und Büroräumen, einer schicken Kantine. Ein zweites Gebäude sollte dazukommen. Doch Bosch hat die Pläne aufgegeben.
Die Baugrube ist mittlerweile wieder zugeschüttet. Der Zukunftscampus – einfach abgesagt. Damit begrub der Konzern sinnbildlich seine Ambitionen, bei Fahrassistenzsystemen – also Einparkhilfen, Abstandswarnern, Spurwechselassistenten oder Notbremssystemen – weltweit in der obersten Liga mitzuspielen. Softwareentwickler und Ingenieure, die Bosch mit großen Versprechungen gelockt hatte, verlieren bald ihre Jobs. Statt den geplanten 2500 Menschen sollen hier nur um die 1000 arbeiten, so sieht es der jüngst angekündigte Personalabbau vor.
Die deutsche Automobilbranche steckt in einer der größten Krisen ihrer Geschichte. VW und Mercedes verkaufen weniger Autos, stornieren Aufträge für ihre Zulieferer, wodurch auch die ins Schlingern geraten: ZF baut ein Viertel seiner Jobs hierzulande ab, Schaeffler Tausende. Jeder entlassene Softwareingenieur, jeder abgesagte Technologie-Campus lässt den Abstand der chinesischen und amerikanischen Konkurrenz beim vernetzten und elektrischen Fahren größer werden.
Auch bei Bosch folgt eine Hiobsbotschaft auf die andere. Schon das ganze Jahr über gibt es neue Kürzungspläne, Ende November verkündete der Konzern, dass noch mal 5500 Stellen wegfallen, 3800 davon in Deutschland, unter anderem in Leonberg. Das Unternehmen begründet das mit der schwachen Nachfrage, mit verschobenen oder weggefallenen Aufträgen, dem hohen Wettbewerbs- und Kostendruck.
„Wir sehen leider keine Anzeichen, dass die Auftragslage sich verbessern wird“
Was bei Bosch sofort auffällt: Der Konzern streicht Jobs ausgerechnet in den Bereichen, die ihn fit für die Zukunft machen sollten. Das ist der Geschäftsbereich „Cross-Domain Computing Solutions“ für Elektronik und Software im Auto, zu dem auch Leonberg gehört. Aber auch Werke für E-Auto-Teile trifft es hart.
„Wir sehen leider keine Anzeichen, dass die Auftragslage sich auf absehbare Zeit in diesem Bereich verbessern wird“, sagt Marco Zehe, der bei Bosch den Elektromobilitätsbereich verantwortet. Deshalb müsse das Unternehmen jetzt „Kapazitäten anpassen“. Er sagt, das solle ohne betriebsbedingte Kündigungen passieren. In der Mobilitätssparte gilt immer noch die vereinbarte Beschäftigungssicherung bis Ende 2027.

Dort, wo Bosch seine großen Zukunftspläne begraben hat, wächst jetzt Gras über der zugeschütteten Baugrube. Davor steht Stefan Bischoff und schaut ein wenig finster drein. „Keiner weiß, bin ich nach den drei Jahren noch übrig oder nicht“, sagt der Leonberger Betriebsratschef, der hier die Softwareentwickler und Ingenieure vertritt. Das Personal will der Konzern schrittweise über drei Jahre abbauen. Wer also nach der ersten Kürzungswelle noch dabei ist, den kann es beim zweiten oder dritten Mal treffen. „Das ist eine unglaubliche Belastung für die Angestellten“, sagt Bischoff.
Derzeit kämen ständig Kollegen ins Betriebsratsbüro und klagten über psychische Probleme und Existenzängste, sagt Bischoff. Viele junge Leonberger Boschler haben, den gut bezahlten Job beim größten Autozulieferer der Welt in der Tasche, eine Familie gegründet oder ein Haus gebaut. Und sie fragen sich jetzt, wie sie ihren Kredit abbezahlen sollen, wenn sie bald keinen Job mehr haben. Es sind ehrgeizige Leute, die hier angetreten sind, um weltweit führende Park- und Fahrassistenzsysteme zu entwickeln.
Die Pläne für seinen Zukunftscampus schmiedete Bosch schon 2019. Die Pandemie, den Angriff Russlands auf die Ukraine, Energiekrise und Inflation, gestiegene Baukosten und den einbrechenden Automarkt, all das hat die Geschäftsführung nicht vorhersehen können. Aber sie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, in Leonberg zu hoch gepokert zu haben. „Der Hype in dieser Größe war zu riskant“, sagt Betriebsrat Bischoff. „Man hat schlechtes Risikomanagement gemacht.“
Die Entwickler, die am Leonberger Bosch-Standort bleiben dürfen, sollen nun alle in einem Gebäude unterkommen. Die alte Standortzentrale soll abgerissen werden. Grundstücke, die der Konzern teuer gekauft und von alten Gebäuden befreit hat, möchte er wieder loswerden. Bleibt die Frage: Wie soll Bosch in Zukunft mit den softwareaffinen Chinesen mithalten, wenn deutlich weniger Leute neue Abstandsregler, Spurhalteassistenten oder Systeme für die Verkehrszeichenerkennung entwickeln?

Dramen wie diese spielen sich dieser Tage an Bosch-Standorten in ganz Deutschland ab. Hildesheim in Niedersachsen, 380 Kilometer nördlich von Leonberg: Dort stellt Bosch Elektromotoren her, die auch mal ein großes Versprechen für die Zukunft waren. Dabei hatten Kollegen aus Werken, in denen Teile für Verbrenner hergestellt werden, Stefan Störmer, dem Betriebsratschef in Hildesheim, schon gratuliert, weil Bosch mehr als hundert Millionen Euro investiert hatte und die Zukunft der Produktionsstätte gesichert schien.
Doch die Aufträge der Hersteller kamen nicht wie geplant. Bis 2032 will Bosch in Hildesheim rund 750 Stellen streichen – etwa die Hälfte aller Arbeitsplätze. „Das halbe Werk“, sagt Störmer. „Wie soll das funktionieren?“ Unter den Kürzungsplänen leidet die Motivation der Beschäftigten. Und auch in Hildesheim geht die Angst um, wen es treffen wird.
Die Annahmen seien nicht eingetroffen, sagt Elektromobilitätschef Marco Zehe und meint damit die Geschwindigkeit, mit der sich E-Autos durchsetzen, insbesondere in Europa und Nordamerika. Wie viele andere Zulieferer investierte Bosch Milliarden in Produktentwicklungen und die Ausrüstung von Fabriken und rechnete damit, dass die Autohersteller ihre Pläne zur E-Auto-Produktion umsetzen können. „Anhand der Prognosen der Hersteller haben wir unsere Fertigungskapazitäten geplant“, sagt Zehe. All das passiere Jahre im Voraus.
Der Verkauf lahmt, die Kosten sind zu hoch
Aktuell ist es aber so: Die Autobauer verkaufen viel weniger Batteriefahrzeuge als gedacht und Bosch-Werke, die Teile für E-Autos fertigen, sind nicht genug ausgelastet. Zehe geht sogar so weit und sagt: „Wir müssen in Europa wieder wettbewerbsfähiger werden.“ Insbesondere in Deutschland, wo die Fertigungskosten hoch sind, aber die E-Mobilität nur langsam vorankommt. Zu den Auslastungsproblemen komme „ein enormer Kostendruck.“ Die Hersteller sparen, wo immer es geht – und dieses Knausern kommt dann auch bei den Zulieferern an.
Bosch will sich in der Krise gesund schrumpfen. Im Hildesheimer Elektro-Produktionswerk, wo das gefertigt wird, was Bosch-Entwickler erfinden, werden bald viel weniger Teile vom Band laufen. Wer in der Entwicklung spart, der fertigt irgendwann auch weniger. Mit dem Personalschnitt in Leonberg riskiert der Konzern die Führungsrolle, die er eigentlich im vernetzten und assistierten Fahren einnehmen wollte.

Dort, wo ein Silicon Valley der Fahrassistenz entstehen sollte, zeigt ein Banner ein futuristisches Auto, über dem geschrieben steht: „Fasziniert vom automatisierten Fahren und Parken.“ Das Banner ist ziemlich vergilbt.