Zugstrecke:Bolivien plant den "Panamakanal auf Schienen"

'Ozean-Zug' in Südamerika

Ein Güterzug auf der Strecke zwischen Corumbá und Santa Cruz. An dieser Trasse würde der künftige Ozean-Zug anschließen.

(Foto: picture alliance / Cynthia Terra)

Das Land hat einen großen Traum: Eine Zugstrecke, die Atlantik und Pazifik verbindet. Auch die Deutsche Bahn will daran verdienen.

Von Boris Herrmann

Der Salzsee von Uyuni muss in einer besonders surrealen Laune der Natur entstanden sein. Bis an alle Horizonte des bolivianischen Hochlandes glänzt es dort weiß, man kommt sich vor wie in einer Fantasiewelt aus gefrorener Milch. Und nur einen kurzen Marsch vom Ufer entfernt sieht es so aus, als hätten Surrealisten versucht, die Natur zu übertreffen. Tatsächlich handelt es sich um das Werk britischer Eisenbahningenieure aus dem 19. Jahrhundert. Oder besser: Was davon übrig blieb. Ein Friedhof voller rostiger Dampflokomotiven und Güterwaggons. Mehr als einhundert Stück wurden mitten in der Salzwüste im wörtlichen Sinn aufs Abstellgleis geschoben, nachdem eines der größten Projekte der Antofagasta and Bolivia Railway Company in den Vierzigerjahren endgültig gescheitert war.

Präsident Aniceto Arce hatte Bolivien Ende des 19. Jahrhunderts zum "Land der Zukunft" erklärt. Er träumte von einem modernen Schienennetz und internationalem Güterverkehr. Mit britischer Technologie wurde tatsächlich eine erste Schmalspurbahn vom Pazifik in die Anden hinauf nach Uyuni verlegt. Aber weder aus dem Bahnnetz noch aus dem Aufstieg Boliviens zur einen globalen Wirtschaftskraft ist etwas geworden. Auf eine der rostigen Loks von Uyuni hat jemand geschrieben: "George Bush, so wirst auch du eines Tages enden". Auch daran ist zu erkennen, dass sie dort schon ein Weilchen vor sich hinrosten.

Vielleicht wird mit etwa 140-jähriger Verzögerung aber doch noch etwas aus Arces Traum. Auch Boliviens aktueller Präsident Evo Morales, 57, denkt gern groß. Auch er will ein Land der Zukunft schaffen. Auch er setzt dabei auf die gute, alte Eisenbahn - ein Plan, an dem auch deutsche Unternehmen verdienen könnten.

Endlich hätte das Land direkten Zugang zu zwei Weltmeeren

Morales ist die treibende Kraft hinter dem internationalen Großprojekt, das den Arbeitstitel "Tren Bioceánico" trägt, der Zug der zwei Ozeane. Der Plan klingt so irrwitzig wie interessant: eine Güter- und Personenverkehrstrecke vom Atlantik zum Pazifik, von brasilianischen Großhafen Santos zur peruanischen Küstenstadt Ilo. Einmal quer durch Südamerika, durch brasilianische Steppen und Wälder, die Anden in Bolivien hinauf und in Peru wieder hinunter. Etwa 3750 Kilometer wären das. Evo Morales spricht vom "Panamakanal des 21. Jahrhunderts." Im Jahr 2025, wenn Bolivien 200 Jahre Unabhängigkeit feiert, soll alles fertig sein.

Aus Sicht von Morales geht es hier um nicht weniger als um eine bolivianische Schicksalsfrage, um den Zugang zum Meer. Den hatte sein Land im Salpeter-Krieg (1879 bis 1884) an Chile verloren. Morales klagt deshalb vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Mit dem Bioceánico bekäme Bolivien natürlich auch nicht seinen langersehnten Küstenstreifen, aber immerhin einen direkten Zugang zu zwei Weltmeeren. Zwei Wege, um seine überall nachgefragten Rohstoffe abzutransportieren, vor allem das wertvolle Lithium, das unter dem ewigen Salz von Uyuni schlummert.

Auf mindestens 15 Milliarden US-Dollar werden die Baukosten für den Ozean-Express veranschlagt, aber nicht nur in Bolivien, sondern auch in Peru und Brasilien wächst die Überzeugung, dass sich das lohnen könnte. Brasilien exportiert große Mengen Soja und Erz nach China, und es ließe sich viel Zeit und Geld einsparen, wenn diese Güter nicht mehr um Kap Hoorn herum oder durch den Panamakanal geschifft werden müssten, sondern den direkten Weg über die Anden nehmen könnten. Auch der Soja-Großproduzent Paraguay hat schon sein Interesse an einem Anschluss an die Bahnlinie bekundet, genau wie Argentinien und Uruguay.

Siemens, Stadler und die Deutsche Bahn mischen mit

Dass sich chinesische Investoren für das Projekt interessieren, ist klar. Etwas überraschender ist vielleicht, wer sonst noch mitmischt: die deutsche Bundesregierung. Bereits im März dieses Jahres unterzeichneten Evo Morales und der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Rainer Bomba, in La Paz eine Absichtserklärung zum Bau der Bahnstrecke. Es gab auch schon zwei Delegationsreisen mit deutschen und schweizerischen Unternehmen, die sich am Bau, am Betrieb oder an der Wartung des Bioceánico beteiligen wollen. Etwa 40 Firmen haben sich deshalb unter Schirmherrschaft des Bundesverkehrsministeriums zu einer Interessensgemeinschaft zusammengeschlossen, darunter Siemens, Stadler sowie die DB Engineering & Consulting, eine Tochter der Deutschen Bahn.

Oliver Pietz, der für Amerika zuständige Exekutiv-Direktor des Unternehmens, sagt: "Das Potenzial dieser Güterstrecke ist wirklich groß. Jährlich werden bis zu 100 Millionen Tonnen Fracht erwartet. Wenn die per Eisenbahn transportiert werden statt mit Lkws quer über den Kontinent, dann entlastet das auch die Umwelt." Fragen nach den ökologischen Auswirkungen stellen sich unweigerlich bei solchen Großbauprojekten. Es ist aber auch kaum von der Hand zu weisen, dass der weite südamerikanische Kontinent grundsätzlich prädestiniert für den Schienenverkehr ist. Bislang spielt sich der Personen- und Güterverkehr größtenteils auf der Straße ab.

Ein ursprünglich chinesischer Plan sah vor, dass die transozeanische Zugstrecke an Bolivien vorbei durch große Teile des amazonischen Regenwaldes nach Peru führen soll. Diese Nordroute ist noch nicht komplett ausgeschlossen, aber die von Bolivien und Deutschland bevorzugte Südroute scheint an Unterstützung zu gewinnen. Peru hat sich schon öffentlich dazu bekannt, Brasilien dürfte sich in Kürze anschließen. Die bolivianische Variante wäre nicht nur gut 1000 Kilometer kürzer, es könnten auch mehr bestehende Trassen genutzt werden. Von Santos bis an die Grenzstadt Corumbá liegen bereits Gleise, die allerdings modernisiert werden müssten. Spurweite und Achslasten sind nicht für den zeitgenössischen Güterverkehr ausgelegt. Ähnliches gilt für Streckenabschnitte in Bolivien. Dort müssten etwa 800 Kilometer komplett neugebaut werden. Vor allem das letzte Stück, die steilen Andenhänge hinab bis zum Pazifikhafen Ilo gilt als technische und logistische Herausforderung. Aber auch nicht als komplett illusorisch. Bahn-Manager Pietz sagt: "Sollte es gelingen, 2019 tatsächlich mit dem Bau zu beginnen, dann ist eine Inbetriebnahme in 2025 aus meiner Sicht durchaus möglich."

Bolivien ist immer noch eines der ärmsten Länder Südamerikas, aber auch wegen des verstaatlichten Erdgassektors wächst die Wirtschaft seit Jahren stabil, ganz im Gegensatz zum Rest des Kontinents. Der Sozialist Evo Morales will seinen "Panamakanal auf dem Trockenen" deshalb auch zu großen Teilen aus der eigenen Staatskasse finanzieren. So hat er das jedenfalls angekündigt. Es soll, trotz internationaler Unterstützung, ein nationales Prestigeprojekt bleiben, der Zug der zwei Ozeane zur Zweihundertjahrfeier. Laut der gegenwärtigen Gesetzeslage dürfte Morales bis dahin nicht mehr im Amt sein. Er hat aber oft genug bewiesen, dass er sich nicht so leicht ausrangieren lässt wie die Lokomotiven von Uyuni.

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