Börsenzwang:Bertelsmann geht fremd

Seit Jahrzehnten wird spekuliert, dass das Familienunternehmen auch mal am Aktienmarkt notieren könnte. Nun ist es soweit - obwohl dies den Haupteigentümern gar nicht schmeckt.

Europas größter Medienkonzern Bertelsmann ist seit Freitag auf dem Weg zur Börse.

Der belgische Minderheitsgesellschafter Groupe Bruxelles Lambert (GBL) wolle von Mai 2006 an von seinem Recht Gebrauch machen, Anteile am Markt zu platzieren, wenn die Voraussetzungen dafür günstig sind, kündigte das Unternehmen am Freitag in Brüssel an.

GBL hält 25,1 Prozent der Kapitalanteile an der Bertelsmann AG, aber nur 25,0 Prozent der Stimmrechte in der Hauptversammlung. Die Familie des Firmenpatriarchen Reinhard Mohn hält 17,3 Prozent, die Bertelsmann Stiftung 57,6 Prozent der Anteile. Beide Blöcke werden von der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft (BVG) kontrolliert.

Bisher nur mit Genussscheinen vertreten

"Die Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft und der Vorstand respektieren diese Entscheidung", schrieb Vorstandsvorsitzender Gunter Thielen am Freitag in einem Brief an die weltweit 80.000 Bertelsmann-Mitarbeiter, der der dpa vorliegt.

Das Unternehmen habe sich in den vergangenen Jahren konzentriert auf die Möglichkeit eines Börsengangs vorbereitet. Die Berichterstattung sei auf den internationalen IFRS-Standard umgestellt worden, die Finanzierung sei von Banken auf den Kapitalmarkt umgestellt worden. "Bertelsmann verfügt über Ratings und betreibt schon heute aktiv Investor Relations", sagte Thielen.

Weder die Familie Mohn noch die Bertelsmann Stiftung hätten die Absicht, weitere Anteile an die Börse zu bringen, schreibt Thielen weiter. Die BVG werde auch weiterhin 75,0 Prozent der Stimmanteile in der Hauptversammlung kontrollieren.

"Somit bleibt die bewährte partnerschaftliche Unternehmenskultur weiterhin erhalten. Damit ist die Voraussetzung für eine langfristige Kontinuität des Unternehmens gesichert."

Die BVG ist stark von der Familie Mohn beeinflusst, derzeit sind vier der acht Gesellschafter Familienmitglieder.

Der Börsengang gilt innerhalb der Familie Mohn als unbeliebt. Immerhin musste der frühere Unternehmenschef Thomas Middelhoff unter anderem deshalb gehen, da er Bertelsmann stracks in Richtung Börse führte.

Bislang werden am Kapitalmarkt nur Genussscheine von Bertelsmann gehandelt - Papiere die halb Anleihen, halb Aktien sind.

Schon seit vielen Jahren hatten Anleger darauf spekuliert, dass daraus irgendwann einmal richtige Aktien werden könnten.

Überdies war in jüngster Zeit häufig über einen möglichen Rückkauf der GBL-Anteile spekuliert worden, um einen Börsengang zu verhindern.

Führende Bertelsmann-Repräsentanten hatten solche Absichten öffentlich allerdings mehrfach dementiert.

Familiensprecherin Liz Mohn hatte vor knapp einem Jahr gesagt, dies sei keine Option. Der 25-Prozent-Anteil wird in Bankenkreisen auf einen Wert von rund fünf bis sechs Milliarden Euro geschätzt.

Eine Verschuldung in dieser Höhe würde den Konzern auf Jahre hinaus von Investitionen abhalten. "Warum sollten wir das Unternehmen schwächen", hatte deshalb auch Vorstandschef Gunter Thielen öffentlich gefragt.

Der Bertelsmann-Konzern stützt sich auf sechs Säulen: Neben der Fernsehsparte RTL-Group, dem Buchverlag Random House und dem gemeinsam mit Sony betriebenen Musikgeschäft Sony BMG betreibt der Konzern auch weiter das von Reinhard Mohn begründete Clubgeschäft (Direct Group), Europas größten Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr sowie die Druck- und Dienstleistungssparte Arvato.

Der Konzern setzte 2004 mehr als 17 Milliarden Euro um und machte mehr als 1,2 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen.

Die Groupe Bruxelles Lambert (GBL) ist im Besitz des belgischen Milliardärs Albert Frère sowie der Familie des kanadischen Unternehmens Paul Desmarais. Frère gilt als reichster Mann Belgiens.

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