Börsenserie:Jetzt geht's bergab

Charttechniker schließen aus dem Kurs einer Aktie auf die Zukunft. Bei einem Bild werden sie nervös.

Von Harald Freiberger

Poesie für 8.1.20 / hf

Unter allen Technikern in Deutschland sind Charttechniker die umstrittensten. Denn sie tüfteln nicht an Kugellagern oder elektrischen Schaltkreisen; sie beugen sich über den Kursverlauf von Aktien oder Indizes und versuchen daraus auf die Zukunft zu schließen. Manche Experten halten das für Hokuspokus, doch es gibt statistische Hinweise darauf, dass die Disziplin ihre Berechtigung hat.

In jedem Fall hat die Charttechnik einige Bilder geprägt, die an der Börse immer wieder auftauchen. Ein solches Bild ist die "Kopf-Schulter-Formation". Charttechniker werden nervös, wenn sie eine solche in einem Kursverlauf ausmachen. Sie steht nämlich für eine Trendumkehr. Zeichnet sich eine Kopf-Schulter-Formation ab, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es vorbei ist mit einem steigenden Kurs.

Die Grafik links zeigt eine solche Formation am Beispiel des Deutschen Aktienindex (Dax) in den Jahren 2017 und 2018. Der Index steigt zunächst, fällt dann, steigt darauf noch höher als vorher, fällt erneut auf das vorherige Niveau, steigt wieder, aber nicht mehr so hoch wie zuvor, um schließlich erneut zu fallen. Es sieht aus wie ein Mensch mit linker Schulter, Kopf und rechter Schulter, daher der Name. Wichtig ist dabei die Nackenlinie, die von den beiden Tiefpunkten markiert wird. In dem Moment, in dem der Kurs diese Linie zum dritten Mal erreicht, wird die Kopf-Schulter-Formation ausgelöst. Sie besagt, dass der Kurs weiter fällt, und zwar etwa so tief wie vom Scheitel bis zur Nackenlinie. Charttechniker setzen dann das Kursziel genau auf diesen Punkt.

Die Grafik zeigt, dass es Ende 2018 genauso kam: Nachdem die Formation ausgelöst wurde, fiel der Dax weiter bis zum Kursziel, erst dann ging es wieder aufwärts. Anleger, die den Rat von Charttechnikern befolgen wollen, könnten zu dem Zeitpunkt, da die Kopf-Schulter-Formation ausgelöst wird, ihre Aktien verkaufen und damit Verluste vermeiden. Sie könnten sogar Gewinne erzielen, wenn sie Optionen kaufen, mit denen sie von fallenden Kursen profitieren. Übrigens gibt es auch eine umgekehrte Kopf-Schulter-Formation mit dem Scheitelpunkt unten; sie signalisiert das Ende fallender Kurse.

Wie seriös ist so etwas? Christian Henke, Senior-Analyst beim Broker IG, verweist auf eine Studie von US-Wissenschaftlern, wonach ausgelöste Kopf-Schulter-Formationen zu 85 Prozent auch eintreten. "Es handelt sich um eine psychologische Interpretation des Kursverlaufs", sagt Henke. Den Anlegern gehe förmlich die Luft aus. Verstärkt wird dies dadurch, dass ein Teil der Investoren sich nach den Signalen der Charttechnik richtet. Deshalb hat die Disziplin durchaus Bedeutung an der Börse. Sie als Hokuspokus abzutun, ist zu kurz gegriffen.

Am Donnerstag, 9. Januar, erscheint der nächste Teil, Thema: Greenshoe.

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