Süddeutsche Zeitung

Börsensegment für Start-ups:Neuer Markt wird wiederbelebt

Die Deutschen Börse scheint für junge Start-up-Unternehmen nicht attraktiv genug. Darum prüft die Bundesregierung die Einführung eines neuen Börsensegments.

Von Thomas Öchsner, Berlin, und Markus Zydra, Frankfurt

Die Idee ist alt. Schon der frühere Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) wollte ein Börsensegment für Start-up-Unternehmen schaffen. Nun bestätigt die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD): "Die Bundesregierung prüft die Einführung eines neuen Börsensegments Markt 2.0, um Börsengänge für junge, innovative und wachstumsstarke Unternehmen wieder zu beleben." So sei es im Koalitionsvertrag verankert, sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Junge Unternehmen sollten so Zugang zu zusätzlichem Kapital bekommen, "das sie für ihre weitere Entwicklung und Expansion dringend benötigen".

Der Begriff Markt 2.0 verschleiert, dass es bei dieser Initiative um etwas geht, was es schon einmal gab, an das man sich jedoch nur ungern erinnert. Die Rede ist vom Neuen Markt, das mit dem Platzen der Internetblase in Misskredit geratene Börsensegment für Wachstumsunternehmen. Technisch muss es diesen Markt 2.0 eigentlich nicht geben, denn die Deutsche Börse verfügt mit dem Entry Standard bereits über ein Börsensegment, an dem sich junge Unternehmen notieren lassen können. Allerdings ist die Nachfrage nach Börsengängen in Deutschland generell sehr schwach, was auch mit der fehlenden Akzeptanz am Markt zu tun haben könnte.

Deutsche Unternehmen bevorzugen offenbar Gang an die amerikanische Börse

Der Entry Standard der Deutschen Börse, der weniger stark reguliert ist und sogar neben Aktien auch Unternehmensanleihen einschließt, sei in seiner heutigen Form "offensichtlich nicht attraktiv genug für junge Wachstumsunternehmen", sagte Gleicke, die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium ist. "Wir beobachten stattdessen, dass erfolgreiche deutsche Unternehmen den Gang an die amerikanische Börse vorziehen." Somit bestehe die Gefahr, dass Gründer und junge innovative Unternehmen "Deutschland den Rücken kehren". Dies schwäche den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Ein neues attraktives Börsensegment für Start-ups würde die Rahmenbedingungen für Wagniskapital insgesamt verbessern und somit den Standort Deutschland auch für Investoren attraktiver machen. "Denn der Exit an der Börse verbessert die Renditen, verkürzt die Haltedauer und erleichtert den Fondsgesellschaften in der Folge die Einwerbung von Geldern für einen neuen Fonds", sagte Gleicke.

Die Deutsche Börse kommentiert die Initiative zurückhaltend: "Wir wurden von verschiedenen Seiten zum Thema Finanzierung von Start-up-Unternehmen angesprochen und evaluieren derzeit das Potenzial börsenfähiger Unternehmen in Deutschland." In Finanzkreisen heißt es, die Deutsche Börse halte wenig davon, werbewirksam einen Markt 2.0 zu etablieren, um dann die negativen Folgen zu tragen, wenn dies schiefgehen sollte. Vielmehr sollten junge Firmen mit einem ganzen politischen Paket gestärkt werden. Dazu könnten auch Steuererleichterungen gehören und bessere Voraussetzungen, um ausländische Fachkräfte zu gewinnen.

Etliche private Anleger hatten viel Geld in die Börsenneulinge investiert - und sich verzockt

Die Geschichte des Neuen Markts, der von 1997 bis 2003 das Zentrum der New Economy bildete, hat in der deutschen Öffentlichkeit viele Narben hinterlassen. Die Aktienkurs-Exzesse von Unternehmen wie EM.TV, Mobilcom, Comroad oder Kabel New Media beschäftigten von 2001 an Justiz und Insolvenzverwalter gleichermaßen. Private Anleger hatten sehr viel Geld in die Börsenneulinge investiert - getrieben von der Erwartung, dass die Aktienkurse immer weitersteigen. Im Jahr 1999 ließen sich so Tagesgewinne von 20 Prozent und mehr einstreichen, wenn man denn rechtzeitig verkaufte. Es war die Hochzeit des Zockens. Am Neuen Markt waren bis zu 300 Unternehmen notiert. Einige haben überlebt, viele andere sind verschwunden.

Die Mittelstandsbeauftragte Gleicke geht davon aus, dass "mit konkreten Ergebnissen frühestens im Spätherbst dieses Jahres, möglicherweise auch erst nächstes Jahr zu rechnen" sei. Die Gespräche der Deutschen Börse mit Start-ups und Investoren stünden aber "kurz vor dem Abschluss". Eines scheint aber sicher zu sein: Der Begriff "Neuer Markt" wird nicht wiederverwendet, weil er als belastet gilt. "Ein neuer Anlauf zur Stärkung von Börsengängen hat ja nur dann eine dauerhafte Chance, wenn er am Markt auf Vertrauen stößt", sagte Gleicke. Es müsse sichergestellt werden, dass möglichst keine Anlageskandale und Betrugsfälle wieder passieren.

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SZ vom 26.04.2014/ebri
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