Börsenprognosen:Was kümmern Krisen

Container im Hafen von Oakland, Kalifornien, USA, Nordamerika *** Container in the Port of Oakland California USA North

Der Handelsstreit war 2019 für viele Unternehmen und Konjunktur eine ernsthafte Bedrohung. Aktionäre schien das nicht zu verunsichern, die Börsen boomten. Der Trend wird in diesem Jahr wohl weitergehen.

(Foto: Jeremy Graham/Imago)

Vor einem Jahr sah es so aus, als würden die Aktienkurse fallen, 2019 ging es jedoch aufwärts wie selten zuvor. Und 2020? Warum gerade viele Experten optimistisch sind.

Von Harald Freiberger

Der Heiligabend war der schlimmste Tag des Jahres. Eigentlich hatte US-Finanzminister Steve Mnuchin versucht, die Anleger zu beruhigen, doch er bewirkte das glatte Gegenteil. Er habe die Chefs der sechs größten Banken angerufen, teilte er mit, sie hätten ihm versichert, dass bei ihnen alles in bester Ordnung sei. Daraufhin stürzte der Aktienmarkt in den USA noch einmal um drei Prozent ab. Und das nach drei Monaten, in denen es nur nach unten gegangen war. Unheilvolle Worte wie "Debakel", "Massaker" und "Crash" machten die Runde.

Das war die Situation um die Jahreswende 2018/19. Man muss daran erinnern, weil man es sich heute, ein Jahr später, kaum mehr vorstellen kann. Nach dem Katastrophen-Jahr 2018 sind die Börsen weltweit 2019 wie ein Phönix aus der Asche auferstanden. 2018 hatte der Deutsche Aktienindex (Dax) 18 Prozent verloren, es war eines der schlechtesten Jahre in seiner 30-jährigen Geschichte. 2019 machte er alles mehr als wett: Das Plus zum Jahresende betrug 26 Prozent. Ähnlich war es überall auf der Welt: Die US-Börsenindizes legten sogar um bis zu 35 Prozent zu und notieren auf dem höchsten Stand aller Zeiten. Alle Sorgen scheinen sich an den Börsen 2019 in Luft aufgelöst zu haben. Wie konnte es dazu kommen? Es gibt einen überragenden Grund dafür: Die Zentralbanken vollzogen Anfang 2019 eine dramatische Wende: Nachdem sie vorher kurzzeitig dabei waren, Geld zu verknappen, schütten sie es nun wieder wie mit dem Füllhorn über die Kapitalmärkte. Im Grunde machen sie so weiter wie in den vergangenen zehn Jahren. Deshalb geht es auch an den Börsen so weiter: Aktien boomen, die Anleihenrenditen erreichen immer neue Tiefstände. Weltweit notieren schon Staatsanleihen im Wert von zwei Billionen Euro im Minus. Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit, vor einem Jahr noch mit 0,20 Prozent im Plus, stehen jetzt wieder mit 0,25 Prozent im Minus. Obendrein geben Banken die Minuszinsen, die sie selbst für kurzfristige Einlagen bei der EZB zahlen müssen, zunehmend an ihre Kunden weiter.

Den Börsen seien schlechte Nachrichten fast egal - "solange die Zentralbanken pumpen"

Die Negativzinsen fressen sich immer mehr durch den Markt - und das, obwohl vor einem Jahr alle Experten mit steigenden Zinsen rechneten. Doch dies blieb aus. 2019 wird als Jahr der Wende von der Wende in die Börsengeschichte eingehen. Und was kommt 2020?

"Die Geldpolitik dominiert den Markt, deshalb stehen die Signale weiter auf Grün", sagt Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Flossbach von Storch. Sowohl die US-Notenbank Fed als auch die Europäische Zentralbank deuteten an, dass sie die Politik des billigen Geldes noch lange fortsetzen wollen. Kaum jemand rechnet im neuen Jahr mit steigenden Zinsen, weder in den USA noch in Europa. Davon abgesehen haben sich auch andere Probleme im Laufe des Jahres 2019 entschärft. "Der Brexit wird wohl nicht hart werden, auch mögliche Handelskonflikte sind nicht mehr so schlimm", sagt Robert Halver, Kapitalmarktexperte der Baader Bank. US-Präsident Donald Trump hat kein Interesse daran, die Situation mit China zu eskalieren, da er wiedergewählt werden will. Auch in China stehen die Zeichen eher auf Entspannung. Das bedeutet, dass von Handelskonflikten für die weltweite Konjunktur weniger Gefahr ausgeht als noch vor einem Jahr. Wie sich die Spannungen zwischen den USA und dem Nahen Osten langfristig auf die Börsen auswirken, ist noch offen.

Der Zustand der Weltwirtschaft bleibt trotzdem die größte Sorge auf den Kapitalmärkten. "Wir befinden uns nach der Ifo-Konjunkturuhr derzeit klar auf Rezessionsterritorium", sagt Chefvolkswirt Mayer. Diese Uhr teilt die konjunkturellen Bewegungen in die vier Phasen Aufschwung, Boom, Abschwung und Rezession ein. Die Weltwirtschaft nähert sich demnach einem Tiefpunkt. Das spürt auch die deutsche Exportindustrie: Im zweiten Quartal befand sich das Wirtschaftswachstum im Minus, im dritten Quartal nur knapp darüber. Aus den Konzernen häufen sich negative Nachrichten von sinkenden Gewinnen und Stellenabbau.

"Die Konjunktur ist nicht gut, aber derzeit sieht es zumindest nicht nach einer Verschärfung aus: Hinterm Horizont geht's weiter", sagt Halver. Deutsche Unternehmen hätten hohe Investitionen beschlossen, aber noch nicht abgerufen. Wenn sich die Lage ein bisschen beruhige, reiche das, um Aktienmärkte zu stabilisieren. "Man darf die Probleme nicht kleinreden, aber man muss dem Herrgott auch für die kleinen Kartoffeln dankbar sein."

Und schließlich wird der bedenkliche Zustand der Weltwirtschaft von der Politik des billigen Geldes übertüncht. "Solange die Zentralbanken pumpen, kümmern sich die Börsen nicht um schlechte Nachrichten von der Konjunktur", sagt Mayer. Auch Halver erwartet, dass die Aufwärtschancen 2020 die Oberhand behalten, er sieht das Glas halb voll, nicht halb leer.

Für die Börsen könnte es deshalb in diesem neuen Jahr heißen: same procedure as last year. Solange die Notenbank an ihrer Politik des billigen Geldes festhalten, stehen die Zeichen weiter auf steigende Aktienkurse und niedrige Anleihenrenditen. "Aktien sind nach wie vor alternativlos, was sollten Vermögensverwalter sonst auch machen?", sagt Halver. Er kann sich vorstellen, dass der Dax bis Ende 2020 von derzeit gut 13 000 Punkten auf über 14 000 Punkte klettert.

Die beste Prognose für das abgelaufene Jahr kam übrigens von Gertrud R. Traud, der Chefvolkswirtin der Helaba: Sie hatte den Dax für Ende 2019 fast richtig auf 13 200 Punkte prognostiziert, während alle andere Ökonomen deutlich skeptischer waren. Diesmal ist Traut nicht so optimistisch wie die anderen: Sie sieht den Dax Ende 2020 wieder bei 13 200 Punkten.

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