Börsenindizes:Der Dax muss reformiert werden

Erst Wirecard, jetzt Delivery Hero: Die Deutsche Börse steht schwer in der Kritik wegen der Kriterien für den Dax. Sie sollte künftig darauf achten, dass Unternehmen gut geführt sind - und überhaupt Gewinn abwerfen.

Von Harald Freiberger

Niklas Östberg ist ziemlich frech. "Ich glaube nicht, dass der Dax Champions League ist", gab der schwedische Chef des Lieferdienstes Delivery Hero in dieser Woche zu Protokoll. Das klingt undankbar für einen Manager, dessen Unternehmen gerade in eben diesen Dax aufgenommen worden ist. Es klingt undankbar gegenüber dem Deutschen Aktienindex (Dax), der die 30 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland umfasst, aber auch gegenüber Deutschland, dem Gastgeberland von Östbergs Unternehmen. Schließlich verkörpert der Dax die deutsche Wirtschaft, er ist ein Symbol für ihren weltweiten Erfolg in den vergangenen Jahrzehnten. Aber Champions League soll er nicht sein?

Östberg spricht einen wunden Punkt an: Der Dax ist zuletzt schwer in die Kritik geraten. Da war der Fall Wirecard, der Zahlungsdienstleister, der seinen Aktienkurs mit unsäglichen Zahlen-Manipulationen nach oben getrieben hatte und Ende 2018 in den Dax aufstieg. Grund dafür war die Mechanik des Index, der zu gleichen Teilen danach gewichtet ist, wie viel ein Unternehmen an der Börse wert ist und wie häufig seine Aktie gehandelt wird. Als Wirecard im Juni dieses Jahres Pleite ging, musste die Börse erst ihre Regeln ändern, um die Skandalfirma aus dem Dax nehmen zu können, sonst wäre sie noch drei Monate lang drin geblieben. Nachfolger ist ausgerechnet der junge Aufsteiger Delivery Hero, der noch nie Gewinn gemacht hat.

Es gibt eine Menge Fragen, die sich derzeit für die Deutsche Börse stellen, und sie hat auch angekündigt, sich damit zu beschäftigen: Sind die Kriterien für die Aufnahme in den Dax noch zeitgemäß? Spiegelt er wirklich die deutsche Wirtschaft wider? Sollte die Zahl seiner Mitglieder erhöht werden?

Es gibt Dinge, die die Deutsche Börse kaum beeinflussen kann. Dass im Dax vor allem alte Branchen wie Chemie und Autoindustrie vertreten sind und kaum Technologie, liegt nicht an der Börse, sondern an der Struktur der deutschen Wirtschaft. Die Zahl der Dax-Mitglieder zu erhöhen, kann dieses Problem kaum mildern. Die Kehrseite ist in den USA zu besichtigen, wo die Aktienindizes von boomenden Technologie-Konzernen wie Apple, Facebook und Amazon dominiert werden.

Dies führt zum Kern des Problems von Indizes, die auch für Privatanleger eine immer wichtigere Rolle spielen, da sie gern ETF kaufen, Fonds, die Indizes eins zu eins nachbilden. Ein Index ist immer von Menschenhand gemacht, er spiegelt keine irgendwie geartete Objektivität wider. Und vor allem kann er Risiken nicht völlig ausgleichen. Der Dax unterliegt dem Risiko, dass die deutsche Wirtschaft den Strukturwandel nicht hinbekommt, US-Aktienindizes hängen stark von Technologie-Aktien ab, und selbst ein weltweiter Index wie der MSCI World hängt wiederum zu stark von den USA ab. Auf solche Risiken zu achten, kann dem Anleger niemand abnehmen, auch bei der vermeintlich einfachen Anlage mit ETF nicht.

Was die Börse aber tun kann, ist die Kriterien für den Dax zu schärfen. Selbstverständlich sollte das Marktvolumen einer Aktie eine große Rolle spielen. Ihren Umsatz muss man aber nicht genauso stark gewichten, zumal die Börse damit den Verdacht der Befangenheit ausräumen kann, schließlich verdient sie am Handel.

Stattdessen sollte sie das Kriterium einer guten Unternehmensführung einbeziehen. Den Fall Wirecard, bei dem es praktisch keine Kontrolle im Aufsichtsrat gab, hätte sie damit im Dax vermeiden können. Und dann sollte sich ein Geschäftsmodell auch bewährt und ein Unternehmen zumindest in einem Jahr Gewinn abgeworfen haben. Der Börsenkurs von Delivery Hero ist ausschließlich von der Hoffnung der Anleger auf eine gute Zukunft getragen. Noch aber ist nicht ausgemacht, ob das Unternehmen einmal in der Champions League spielen wird.

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