Börsenhändler:Der Zocker aus der Doppelhaushälfte

Lesezeit: 3 min

Hier wohnte Navinder Singh Sarao - er soll für den Flash Crash 2010 verantwortlich sein. (Foto: Bloomberg)
  • Ein unscheinbarer Händler aus einem Londoner Vorort soll für einen Börsenabsturz im Mai 2010 verantwortlich sein. Damals verloren Aktien in extrem kurzer Zeit 700 Milliarden Dollar an Wert.
  • Er wurde deswegen in Großbritannien festgenommen. Hinterlegt er sieben Millionen Euro Kaution, darf der Mann das Gefängnis verlassen.
  • Die USA wollen, dass der Händler ausgeliefert wird. Das soll im August entschieden werden.

Von Björn Finke, London

In den Handelsräumen der Banken herrscht Panik: Innerhalb von Minuten fällt der Dow Jones, der Leitindex der US-Börse, um etwa 1000 Punkte, das sind fast zehn Prozent. Die Aktien verlieren dadurch 700 Milliarden Dollar an Wert. Das war im Jahr 2010, am 6. Mai. In den Stunden nach dem Absturz erholten sich die Kurse zwar wieder, trotzdem war die Finanzwelt aufgeschreckt: Was war der Auslöser für den Flash Crash, diesen Blitzabsturz? Nun, fünf Jahre später, soll der Hauptverantwortliche gefunden sein: ein unscheinbarer Händler aus dem Londoner Vorort Hounslow, nahe dem Flughafen Heathrow. Navinder Singh Sarao heißt er, die Polizei nahm ihn jetzt fest.

Amerikanische Behörden hatten seine Auslieferung gefordert, um ihm in Illinois den Prozess wegen mehrfachen Betrugs und Marktmanipulation zu machen. Am Mittwoch beriet das Gericht über die Auslieferung, der Westminster Magistrates' Court, ein nüchterner Klotz an einer Hauptverkehrsstraße. So nüchtern und unglamourös wie Saraos Elternhaus, eine Doppelhaushälfte mit kleinem Vorgarten in Hounslow - die hatte der 36-Jährige als Adresse für seine Ein-Mann-Handelsfirma namens Nav Sarao Futures angegeben.

Geschäfte liefen bis vor wenige Tage

Sarao, der in Jogginghose vor Gericht erschien, verlangte, nicht ausgeliefert zu werden. Richter Quentin Purdy setzte daraufhin neue Termine im Mai und August an. Hinterlegt Sarao sieben Millionen Euro Kaution, darf er das Gefängnis verlassen, muss aber seinen Pass abgeben und sich regelmäßig bei der Polizei melden. Die US-Behörden werfen ihm vor, mit einem Handelsprogramm die Kurse für Futures auf den US-Börsenindex S&P 500 manipuliert zu haben. Damit hat er Schätzungen zufolge allein zwischen 2010 und 2014 etwa 40 Millionen Dollar verdient. Die Machenschaften sollen noch bis vor wenigen Tagen weitergegangen sein. Futures sind Termingeschäfte, also Wetten auf Kursentwicklungen in der Zukunft. Investoren nutzen sie als Versicherung gegen Schwankungen. Oder zum Spekulieren.

SZ-Grafik; Texte: Christopher Eichfelder (Foto: SZ-Grafik)

Nach Angaben der Ermittler speiste die betrügerische Software von Nav Sarao Futures massenhaft Verkaufsaufträge in das Handelssystem der Termingeschäft-Börse Chicago Mercantile Exchange ein. Allerdings wollte Sarao die Papiere gar nicht abstoßen, sondern bloß den Anschein erwecken, dass viele Händler Futures loswerden möchten. Das drückt den Preis. Die Software setzt den geforderten Verkaufspreis daher etwas über jenen Preis an, den Interessenten zu zahlen bereit sind. Nähern sich die zwei Preise zu sehr an, löscht die Software den Auftrag wieder. Haben die Scheinaufträge die Notierung wie gewünscht in den Keller getrieben, greift der Betrüger günstig zu, schaltet seine Software aus und wartet, dass der künstlich gedrückte Preis steigt - und damit der Wert seiner Schnäppchen (Grafik)

. Doch am 6. Mai 2010 hatte diese Trickserei schlimme Nebenwirkungen: Die angeblichen Verkaufsorder trugen dazu bei, dass die Notierungen auf dem US-Aktienmarkt abstürzten. Die amerikanische Börsenaufsicht SEC und die für Termingeschäfte zuständige Behörde CFTC machten damals unter anderem eine ungewöhnliche Handelsstrategie des Investmenthauses Waddell & Reed Financial aus Kansas für das Desaster verantwortlich.

Jetzt sieht es hingegen so aus, als habe es nicht nur an der Firma aus Kansas gelegen. Eine Mitschuld trägt offenbar auch der mutmaßliche Betrüger. "Sein Verhalten war zumindest mitverantwortlich für das Ungleichgewicht auf den Märkten, das wiederum einer der Auslöser für den Flash Crash war", sagt Aitan Goelman von der CFTC. Am Tag des Crashs soll Sarao 879 018 Dollar Profit erzielt haben. Er gab sechs Verkaufsaufträge für Futures ab, die seine Software mehr als 19 000-mal abänderte oder ersetzte - und am Ende löschte.

Das Problem bei Waddell & Reed, dem Investmenthaus, war, dass dessen Handelscomputer Verkaufsaufträge für Futures ungewöhnlich schnell nacheinander veröffentlichte. Deswegen fanden sich nicht genug Käufer. Die Computer anderer Handelshäuser registrierten die beunruhigende Bewegung auf dem Markt und stießen ebenfalls Terminkontrakte ab - sicher ist sicher. Die Notierungen für die Futures fielen rasant. Das schlug sich bei den Aktienkursen nieder, die ja die Grundlage für die Futures bilden. Die Kursverluste der Aktien hatten zur Folge, dass Handelscomputer keine Aktien mehr kaufen wollten. Die Preise brachen vollends ein.

Hochfrequenzhandel in der Kritik
:Maschinen regieren die Börse

Der Hochfrequenzhandel an den Börsen boomt: Experten gehen davon aus, dass mittlerweile mehr als 70 Prozent des amerikanischen Aktienhandels von Computern gesteuert werden. Doch die Finanzkrise bringt die Handelscomputer an ihre Grenzen und lässt Hedgefonds an den Algortihmen zweifeln.

Sabrina Keßler

Hochfrequenz-Händler bewegen die Märkte

Erst als die Systeme erkannten, wie spottbillig nun die Papiere mancher Konzerne zu haben sind, fingen sie wieder an, Aktien zu erwerben. Der Markt erholte sich. Der Flash Crash löste eine Debatte darüber aus, welche Risiken der massenhafte Einsatz von Handelsprogrammen bringt, die automatisch auf Kursentwicklungen reagieren - und diese dramatisch verstärken können. Im vergangenen Jahr heizte "Flash Boys", das Buch des Wall-Street-Kritikers Michael Lewis, die Diskussion noch einmal an. Er beschreibt da, wie sogenannte Hochfrequenz-Händler mit Hilfe von Computerprogrammen Kursbewegungen blitzschnell ausnutzen.

Kontrolleure der Terminbörse in Chicago erhielten erste Hinweise auf Saraos Treiben schon 2009, also vor dem Flash Crash. Sie schrieben Sarao deswegen an, erstmals 2009 und auch am 6. Mai 2010, dem Tag des Absturzes. Der in Großbritannien geborene Händler, der in London studiert hatte, machte aber unbeeindruckt weiter; seinem Broker schrieb er per Mail, er habe der Börse geantwortet, sie könnten ihn mal. Die Nachbarn im Vorort geben sich überrascht. Britische Medien zitieren Anwohner mit den Worten, dass Sarao den alten grünen Corsa seiner Eltern fahre - von Reichtum keine Spur. Die Eltern seien gute Leute, die regelmäßig in den Sikh-Tempel gingen. Er selbst rede nicht viel, man habe ihn lange nicht mehr im Viertel gesehen. Der unscheinbare Herr Sarao, er hatte offenbar viel zu tun.

© SZ vom 23.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: