Das Problem ist. dass Zalando nicht der einzige Händler ist, der an das Portemonnaie der Europäer will - und dieses auch nicht gerade größer wird. Denn das Geld, was einst im Kaufhaus ausgegeben wurde, landet nun eben im Netz. Start-ups wie Zalando setzen darauf, dass sie die Kunden dort besser bedienen als die etablierten Händler. Funder ist skeptisch: "Wenn der stationäre Handel erst einmal aus seiner Schockstarre erwacht, hat er mit seinem Filialnetz einige strategische Vorteile." So könnte der klassische Händler durch seine Verankerung im Viertel, durch persönliche Beratung ein Vertrauen zum Kunden herstellen, das im Netz viel schwerer zu gewinnen sei. Zudem ist er, bislang noch, schneller: Im Laden um die Ecke kann man sofort mitnehmen, was man braucht, bei der Bestellung im Netz muss man ein paar Tage warten. Diese Vorteile, so Funder, spielten bislang die wenigsten Handelsunternehmen aus. Weil sie sie nicht erkennen - oder ihnen die finanziellen Mittel dazu fehlen. "Die glauben den Quatsch, dass der stationäre Handel tot sei, was Samwer ihnen einredet."
Schwellenländer bieten große Chancen, aber die Risiken sind auch hoch
Die meisten der etwa 70 Start-ups unter dem Dach der von Samwer geführten Beteiligungsgesellschaft Rocket Internet geben sich mit den Europäern gar nicht erst ab. Sie suchen gleich dort ihr Glück, wo in Zukunft das große Geld locken könnte: in den aufstrebenden Schwellenländern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas. Dort steigt die Zahl der Smartphones und damit auch die Zahl derer, die mit dem Ding zu jeder Zeit an jedem Ort auf virtuelle Shoppingtour gehen, viel rasanter als in der westlichen Welt. Dort sind die Menschen jünger, die Rivalen schwächer. Das sind die Chancen, die Rocket Internet in seinem Börsenprospekt auflistet, um daraus abzuleiten: Deshalb wird dort in Zukunft klappen, was in den USA oder in China viel zu mühsam, viel zu langwierig wäre. Der Haken an solchen Wachstumsträumen in der Zukunft ist nur: Sie blenden die weniger rosige Gegenwart aus. "Die dortige Mittelschicht entsteht gerade erst. Um mit ihr Geld zu verdienen, braucht man einen langen Atem", sagt Funder. Hinzu komme, dass die Händler dort auch erst die nötige Infrastruktur schaffen müssen, um die bestellten Waren zu liefern. "Wir vergessen oft, wie groß und wie dünn besiedelt Argentinien oder Russland sind. Dort fehlt es schlichtweg an den Postwegen, um ein Paket auch in die letzte Ecke des Landes zu bringen. Deshalb bauen die Händler diese allein auf - und das kostet." Dass in vielen der von Samwer anvisierten Märkten Korruption, politische Umstürze und Terrorgefahr drohen, machen solche Investitionen nicht gerade leichter.
Wie groß der Unterschied zwischen Deutschland und den Schwellenländer ist, zeigen auch die Börsenprospekte der beiden Unternehmen: Zalando rechnet stolz vor, dass etwa zwei Drittel der europäischen Bevölkerung in einem Radius von einer neunstündigen Lkw-Fahrt rund um eines der bestehenden Logistikzentren leben, dass der Internethändler damit über Kapazitäten verfüge, mit der sich Bestellung im doppelten Wert der derzeitigen Erlöse liefern lassen, ohne neue Anlagen zu bauen. Rocket Internet hingegen räumt in der Auflistung der Risiken ein, dass die Start-ups unter dem Dach der Holding zwar nur eine kurze Historie vorweisen können, dafür aber schon bedeutende Verluste. Sie "erfordern einen hohen Kapitaleinsatz und werden möglicherweise nie gewinnbringend sein."
Rocket-Chef Oliver Samwer posiert vor dem Bulle vor der Frankfurter Börse, dem Symbol für steigende Kurse.
(Foto: Daniel Roland/AFP)