Börsengang von Evonik:Rückzieher an Rhein und Ruhr

Kein Geld auf den Finanzmärkten, kein Interesse an Aktien: Der Börsengang von Evonik ist gescheitert. Zum jetzigen Zeitpunkt würden die Erlöse dem Chemieunternehmen nicht gerecht, heißt es. SPD und Gewerkschaften in NRW passt das ins Konzept.

Karl-Heinz Büschemann

Die Quälerei ist zu Ende. Der Gang des Essener Chemiekonzerns Evonik an die Börse wird am kommenden Montag abgesagt. Schon am vorigen Sonntag hatte sich die Eigentümerin, die RAG-Stiftung, gemeldet: Es sei zu bezweifeln ob bei der Lage auf den Finanzmärkten "Erlöse erreichbar sind, die dem Wert der Evonik gerecht werden".

Evonik geht nicht an die Börse

Werner Müller war einmal Minister - und spielt rund um Evonik eine wichtige Rolle.

(Foto: ag.dpa)

Doch längst ist klar, dass es viele gibt, denen dieses Scheitern mehr als recht ist. "Diesen Börsengang will keiner mehr", sagt ein Kenner der Industrieszene im Revier. Ähnlich äußern sich Vertreter der RAG-Stiftung. Die Düsseldorfer Landesregierung sowie die Kohlegewerkschaft IGBCE wollen die RAG-Stiftung als Vehikel für aktive Industrie- und Strukturpolitik nutzen - und sie nicht über dem von ihnen als Perle gesehenen Evonik-Konzern den Finanzmärkten anvertrauen.

Evonik soll nach diesen Informationen zu einem Staatskonzern gepolt werden, mit dem sich Industriepolitik machen ließe, wie es NRW-SPD und Gewerkschaften früher mit der abgestürzten WestLB machten. Evonik hat im vergangenen Jahr 425 Millionen Euro Dividende ausgeschüttet - eine für Politiker attraktive Geldquelle.

Alte Verbindungen von Macht und Geld

An die Spitze der RAG-Stiftung soll so schnell wie möglich Werner Müller treten, der frühere parteilose Bundeswirtschaftsminister im Kabinett von Kanzler Gerhard Schröder. Gemeinsam mit seinem alten Wegbegleiter, dem Bahn-Personalchef Ulrich Weber, soll Müller das Unternehmen und seine Stiftung zur Schaltstelle machen. Der 66-Jährige hätte damit an Rhein und Ruhr eine Rolle wie der einflussreiche Krupp-Verweser Berthold Beitz.

Doch Müller hatte mächtige Gegner. Stiftungschef Wilhelm Bonse-Geuking tut alles, um Müller als seinen Nachfolger zu verhindern. Lieber ließ der 71-Jährige seinen Chef-Vertrag im März noch mal um ein Jahr verlängern. Auch Ulrich Hartmann, der Ex-Chef von Eon und heutige Vorsitzende des RAG-Stiftungskuratoriums, stellt sich gegen Müller. Den Müller-Freunden in dem Gremium fehlte bisher die nötige Zweidrittelmehrheit. Seit zwei Jahren tobte ein lähmender Stellungskrieg.

Das wird sich ändern. Ende August läuft die Amtszeit von acht Kuratoriumsmitliedern aus. Dann kann die bei der Landtagswahl vom 13. März erstarkte SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die drei Posten mit Müller-Befürwortern besetzen. Auf diese Posten hatte ihr CDU-Vorgänger Jürgen Rüttgers klare Müller-Gegner gesetzt.

Rückkehr der Politiker

Müller arbeitet seit langem an seinem Aufstieg in die Stiftung, die er selbst geschaffen hat. Er war von 2003 bis 2008 Chef der staatlichen Essener Kohle-Gesellschaft RAG, die er ordentlich umkrempelte. Seit 2006 war es sein Plan, die RAG-Tochter Degussa, die er in Evonik umtaufte, an die Börse bringen. Der Erlös sollte die Stilllegung der Zechen und die Folgekosten des Bergbaus zahlen. Die Politiker in Berlin und Düsseldorf waren begeistert. Die Politiker in Berlin, Düsseldorf und Saarbrücken wären endlich die Subventionen für die Kohle los. Der Kohlebergbau würde sein eigenes Ende privatwirtschaftlich finanzieren.

Jetzt kehren die Politiker zurück. Norbert Römer, SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag, hat das deutlich erklärt "Die Stiftung sollte sich zu einem bedeutsamen industriepolitischen Impulsgeber entwickeln, wenn es darum geht, den Wandel zu neuen, modernen wirtschaftlichen Strukturen zu begleiten und zu forcieren." Seitdem herrscht Aufruhr an der Ruhr. CDU und die großen Konzerne lehnen diese Pläne als rückwärtsgewandte Strategie ab. Sie fürchten, die knappen Mittel der Stiftung könnten zur Selbstbedienungskasse der Politiker werden.

Dann wäre allerdings Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) der Blamierte. Der sitzt ebenfalls in der RAG-Stiftung. Auch er hat kräftig gegen den der SPD nahestehenden Müller als Stiftungschef gearbeitet und jetzt offenbar sein Pulver verschossen. "Wenn Müller kommt, wäre Schäuble der Verlierer", heißt es in Kreisen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Plötzlich sind alle Müller-Fans

Inzwischen zählt auch die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kamp-Karrenbauer (CDU) zu den Müller-Fans. Für ihr Land sei wichtig "dass in den Personalentscheidungen der Stiftungszweck deutlich wird und dass es nicht darum gehen kann, für die eine oder andere Region Strukturpolitik zu betreiben". Im Klartext heißt das: Wenn Müller auch dem Saarland ein paar Wohltaten verspricht, hat er auch den Segen des kleinsten Bundeslandes.

Wie sehr die Politiker die RAG-Stiftung bereits im Griff haben, zeigte der vergangene Sonntag, an dem faktisch der Stopp des Börsengangs beschlossen wurde. Erst diskutierten die fünf Abgesandten von Bundes- und Landesregierungen im Kuratorium unter sich. Die acht Vertreter der Privatwirtschaft, darunter immerhin Personen wie BDI-Chef Hans-Peter Keitel, wurden danach vor vollendete Tatsachen gestellt. "Die Politiker erobern das Kuratorium zunehmend", berichtet ein Stiftungsmann.

Ein Verlierer der politischen Spielchen steht aber fest: Die britische Finanzgesellschaft CVC. Sie hält seit 2008 ein Viertel der Evonik-Aktien und drängt darauf, den Chemiekonzern an die Börse zu bringen. Motto: Kasse machen. "Die wollen da raus", heißt es in Bankenkreisen. Doch da sind sich die Finanzexperten einig: Die Rückkehr der Politik in das Unternehmen macht den Verkauf von Evonik in Zukunft noch schwerer.

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