Börsencrashs:Warum das Reden von der Krise gefährlich werden kann

Anlager in der Börse in New York, 1929

Die New Yorker Börse vor dem schwarzen Freitag 1929

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Zum Jubiläum des schwarzen Freitags von 1929 mahnen viele an den Börsen vor der nächsten große Krise. Doch die Analytiker sind nicht nur zahlengetrieben.

Kommentar von Victor Gojdka

Wenn man einigen Börsenpropheten glauben mag, dann steht die nächste Finanzschmelze bevor. Uns drohe wahlweise "die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten", ein "Weltsystemcrash" oder gar "der größte Crash aller Zeiten". Genau 90 Jahre nachdem die Börsen im Oktober 1929 zusammengekracht sind, bekommen die Schwarzseher viel Aufmerksamkeit. In Zeiten einer aufziehenden Rezession fallen ihre Worte auf besonders fruchtbaren Boden. Doch das unablässige Crashgerede ist selbst gefährlich: Im schlimmsten Fall kann es einer Krise erst den Weg ebnen.

Mehr noch als reelle wirtschaftliche Daten fürchten nüchterne Ökonomen derzeit nämlich die Furcht selbst. Wenn es die Bürger ständig vor dem Absturz bangt, könnten sie ihre Geldbeutel zugeknöpft lassen - und der Wirtschaft damit erst recht einen Stoß versetzen. Finanzpsychologen wissen schon lange: Wenn viele Absturzvisionen durch die Welt geistern, können Sparer und Anleger gar nicht anders, als darüber nachzudenken. Wiederholen die Finanzapokalyptiker ihre Thesen nur oft genug, können sie ihre Horrorvisionen beinahe selbst herbeireden. Aus dem finanziellen Gruselkabinett der Berufs-Kassandren würde dann bitterer Ernst. Und in der Tat: Über den gesamten Sommer googelten weltweit so viele Menschen den Begriff "Rezession" wie seit Zeiten der Finanzkrise nicht mehr.

Dass die Mahner immer wieder ausgerechnet das Bild vom "Crash" bemühen, ist dabei kein Zufall. Der Krach, der Absturz - er ist im historischen Gedächtnis eng mit jenen schwarzen Börsentagen 1929 verknüpft. Vorher haben die Menschen taumelnde Aktienkurse nämlich schlicht nicht als Crash bezeichnet, analysiert der Wirtschaftswissenschaftler Robert Shiller. Erst mit 1929 kam die Crash-Metapher in Mode. Seitdem ruft das Wort zuverlässig die Bilder jener Tage wach: Menschen, die aus Hotelfenstern in die Tiefe sprangen, Massenarbeitslosigkeit und Verelendung. Dass die inzwischen viel besseren sozialen Sicherungssysteme einen Teil der Nebenwirkungen heute mildern könnten, unterschlagen die Schwarzseher nur allzu gern.

Selbst wirtschaftshistorische Erkenntnisse verdrängen die Blasen-Warner ganz bewusst: Zwar geht den meisten Finanzkrisen eine Blase voraus. Allerdings folgt nur jeder vierten Finanzblase am Ende auch der große Krach. Denn den Berufs-Skeptikern geht es am Ende oft bloß um Geschäftemacherei. Haben sie den Anlegern nur genug Angst eingejagt, können sie ihnen anschließend gleich einen selbstgestrickten Fonds verkaufen und entsprechende Tantiemen einstreichen. Mit Panik lässt sich eben gutes Geld machen. Die Selbstinszenierung der Mahner ist dabei besonders perfide. Oft zeichnen sie sich als die einzig nüchternen Analytiker in einem Heer wild gewordener Börsenzocker, die Probleme im Finanzsystem nicht wahrhaben wollen. Kürzlich allerdings legten Wirtschaftsforscher nahe, dass ihr eigenes Gehirn manchen Mahnern selbst bloß einen Streich spielt. Statt von Daten, so die Forscher, lassen sich Börsianer oft mehr von persönlichen Erfahrungen leiten. Wer seine Laufbahn in den Zeiten der großen Finanzkrise begann, der lässt sich unbewusst von diesen Erfahrungen prägen. Und wähnt auch häufiger Ungemach voraus. Das Gegenmodell zur lauten Apokalyptik ist nicht kritiklose Gesundbeterei aller Probleme im Finanzsystem. Natürlich sollen Finanzexperten Risiken analysieren. Natürlich sollen sie den wachsenden Schuldenberg im Blick halten oder die immer astronomischeren Immobilienpreise unter die Lupe nehmen. Doch Risiken sollte man nüchtern analysieren. Ein Panikorchester ist kein guter Ratgeber.

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