Börsen:Das große Zittern

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Die Märkte weltweit hoffen nun schon seit Monaten auf Klarheit. Also darauf, dass sich die amerikanische Notenbank endlich zu einer Erhöhung des Leitzinses durchringt. Sie befürchten allerdings das glatte Gegenteil.

Von Markus Zydra

Es gibt Leute an den Finanzmärkten, die sind sich ganz sicher, dass Ben Bernanke am 22. Mai 2013 in Washington einen Testballon aufsteigen ließ, um zu sehen, wie die Welt auf seine forschen Worte reagieren würde. Der damalige Präsident der amerikanischen Notenbank Federal Reserve stellte fünf Jahre nach Ausbruch der globalen Finanzkrise in einer Stellungnahme vor dem US-Kongress erstmals die "Möglichkeit" in Aussicht, dass die Fed künftig weniger Geld ins Finanzsystem pumpen könnte.

Die Aussage sorgte für ein Beben an den Börsen in den Schwellenländern: Währungen werteten ab, Zinsen stiegen, Schulden verteuerten sich. Die Welt lernte, dass den internationalen Finanzmärkten und der Wirtschaft Ungemach drohen könnte, wenn die Fed dereinst ihre helfende Hand zurückziehen würde. Man hatte sich an das viele billige Geld zu sehr gewöhnt.

Mittlerweile führt Janet Yellen die Geschäfte bei der Fed. Sie hat viele Monate nach Bernankes Einlassung tatsächlich die Anleihekäufe der Fed reduziert und dann vollständig eingestellt. Jetzt plant sie die Zinswende. Jahrelang lag der US-Leitzins praktisch bei null Prozent, so wie in der Euro-Zone und in Japan auch. Nun soll es wieder aufwärts gehen, erstmals seit 2006. Es ist eine Zeitenwende, und wieder zittern die Märkte.

Wenn die wichtigste Volkswirtschaft der Welt den Preis für Geld nun wieder erhöht, kommt es global zu massiven Kapitalverschiebungen. Der Leitzins ist die Berechnungsbasis aller Finanzgeschäfte. Jede Veränderung führt zu einer Neubewertung von Aktien und Anleihen. Unruhe ist da programmiert. "Noch mehr Investoren ziehen dann ihr Geld aus den Schwellenländern ab, weil es nun mit US-Zinsen wieder etwas zu verdienen gibt", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Die Welt rechnet mit einem neuen Zinszyklus: Wenn Yellen den Leitzins einmal erhöht, wird sie ihn, so die Erwartung, auch weiter erhöhen, solange die Wirtschaft robust wächst. Die Zinserträge für US-Anleihen würden ansteigen. Das zieht Investoren aus aller Welt an. Der Kapitalabfluss aus den Schwellenländern könnte zunehmen. Seit Mai 2013 haben Anleger rund 155 Milliarden Dollar aus dort angesiedelten Aktien- und Anleihefonds abgezogen, so die Commerzbank.

Die internationalen Finanzmärkte sehnen sich nach dem Tag der Entscheidung. Lange hatte man sich auf nächste Woche eingestellt. Nach den jüngsten Börsenunruhen, ausgelöst durch den Wachstumsrückgang in China, könnte sich die Zinswende aber auch noch verzögern. Im August waren die Aktienmärkte wegen der Turbulenzen an den chinesischen Börsen zeitweise um etwa 20 Prozent eingebrochen. Der Druck auf die Fed zu warten, ist gewachsen. Einige rechnen nun in der Oktober-Sitzung mit einer Zinserhöhung, andere erwarten die Zinswende der US-Notenbank sogar erst im Dezember. Diese Unsicherheit zehrt an den Nerven. Mancher vergleicht das mit der Situation beim Blutabnehmen. "Die Arzthelferin hält schon viel zu lange mit zitternder Hand die Spritze bereit. Jetzt soll sie endlich zustechen. So ist die Stimmung an den Finanzmärkten", sagt Chefvolkswirt Krämer.

Zustechen bedeutet: Flagge zeigen und den Zins erhöhen. Aktuelle Umfragen an den Börsen zeigen aber, dass die Mehrheit der Anleger genau das Gegenteil erwartet. Wegen China, wegen der Probleme in den Schwellenländern, wegen der unsicheren Weltkonjunktur. Das bringt die Fed in die Bredouille. In aller Regel versucht die Notenbank den Finanzmärkten im Vorfeld einer Entscheidung immer klar zu sagen, was sie vorhat. So sollen Börsenunruhen vermieden werden. Doch zuletzt kamen unterschiedliche Signale von der Fed. Das ist ein Indiz dafür, wie sehr alles auf der Kante steht. Das ist der Grund für die gewachsene Nervosität der Anleger.

Viele Spekulanten haben Wetten darauf abgeschlossen, dass Yellen die Entscheidung aufschiebt. Wenn die Fed dennoch eine Zinserhöhung beschließt, machen diese Zocker Verluste. Das muss man nicht bedauern, doch könnte sich dadurch eine Verkaufswelle an der Börse aufbauen. Sollte Yellen die Aktion aufschieben, kommt es auf ihre Begründung an. Da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. So oder so kann es böse Folgen haben: eine Börsen-Panik.

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