Börsen brechen ein:Rückkehr in die Schreckenszeit

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Erschöpfte Staaten, Rezessionsangst, unkontrollierbare Computer: Der Dax fällt so tief wie noch nie in diesem Jahr. Schon wieder sind Aktien im Ausverkauf. Was steckt hinter der Kernschmelze an den Börsen? Fünf Ursachen für die Baisse.

Harald Freiberger, Martin Hesse und Markus Zydra

Wieder eine Woche mit Börsen-Desaster. Wieder eine Schreckenszeit, in der ein Mann namens Robert Halver, Vorzeige-Aktienhändler in Frankfurt, sein Sorgengesicht in die Kamera hielt. Wieder Tage mit Abenteuergeschichten von den Finanzmärkten, in denen das Publikum etwas über Fat Finger Trade lernte - so nennt man das, wenn sich Händler mit dicken Fingern beim temporeichen Computerhandel vertippen und somit eine fehlerhafte Wertpapier-Order produzieren. Was sind die Ursachen der Börsen-Kernschmelze?

Eines der Gesichter der Krise: Robert Halver, besorgter Aktienhändler an der Frankfurter Börse. (Foto: dpa)

1.) Es kommt alles noch schlimmer - die Angst vor Rezession.

Die Stimmung in der amerikanischen Geschäftswelt ist so schlecht wie zum Höhepunkt der Finanzkrise im März 2009. Das zeigt ein aktuelles Umfrageergebnis, der "Philadelphia-Index", dem die US-Finanzmärkte viel Bedeutung beimessen. Purzelt die Stimmung, dann kommt die Rezession, lautet die historisch belegbare Faustregel. Die Gründe für den Pessimismus sind vielfältig: In den USA werden kaum Jobs geschaffen, und die Notenbank Fed kann nicht noch mehr Geld in den Kreislauf pumpen, ohne ernste Inflationsängste zu schüren. Zudem bröckelt in der Euro-Zone der Optimismus, weil die deutsche Wirtschaft an Elan verloren hat. Im zweiten Quartal 2011 legte das Bruttoinlandsprodukt in den 17 Euro-Ländern im Vorjahresvergleich nur um 0,2 Prozent zu; im Auftaktquartal lag die Rate bei 0,8 Prozent. Auch in China und Brasilien kühlt die Konjunktur ab. "Die Wahrscheinlichkeit für eine Rezession in den USA und der Euro-Zone innerhalb des nächsten Jahres hat sich deutlich erhöht", sagen Ökonomen der Bank Morgan Stanley.

2.) Die Staaten können nicht mehr, sie haben zu viele Schulden.

Die westlichen Industriestaaten haben sich nicht zuletzt durch Rettung ihrer großen Banken finanziell übernommen. Die Finanzmärkte - Banken, Versicherungen, Fonds - fordern deshalb für Kredite an den Staat höhere Zinsen. Für viele Regierungen sind diese Zinsen aber nicht mehr zu stemmen, was Ausdruck der Überschuldung ist. So musste die Europäische Zentralbank (EZB) jüngst Italien und Spanien helfen, weil die Zinssätze für diese Staaten auf über sechs Prozent geklettert waren. Griechenland, Irland und Portugal mussten bei einem Zinssatz von sieben Prozent um EU-Hilfe bitten.

Die verschuldeten Staaten müssten nun gewaltig sparen, das mindert die Nachfrage und schwächt das Wachstum. Oder sie erhöhen die Steuern, doch das schwächt die Privathaushalte und hemmt Investitionen der Firmen. Angesichts dieser Lage - in Japan und den USA sind die Schuldenberge noch höher als in der Euro-Zone - befürchten die Finanzmärkte einen Schuldenschnitt. Auch deshalb flüchten sie in Gold und lassen alle andere Wertpapiere liegen. Tatsache ist: Gerät eine Großbank ins Schlingern, kann sie kaum mehr mit Staatsgeld gerettet werden.

3.) Die digitale Technik macht alles viel zu schnell.

Am 6. Mai 2010 stiegen am US-Aktienmarkt die Umsätze rasant an, die Kurs purzelten. Manche Aktie verlor binnen weniger Minuten 99 Prozent ihres Werts, um sich dann wieder zu erholen. Dieses Ereignis ging als Flashcrash in die Geschichte ein. Bis geheute weiß niemand genau, wer die Welle ausgelöst hat. Sicher ist: Computerbasierte Handelsprogramme ( Algotrader), die Aktien im Millisekundentakt kaufen und verkaufen, haben zum Schock beigetragen. Dieser automatisierte Hochfrequenzhandel gibt mittlerweile den Takt an. Im Dax werden schon 50 Prozent aller Aktien automatisch gehandelt. Eine Software gibt den Kaufbefehl, wenn etwa ein bestimmter Preis unterschritten wird - etwa die 5600er Marke im Dax. Da viele Computermodelle ähnlich arbeiten, verstärken sich Abwärtstrends.

4.) Einer rennt dem anderen nach, und damit in den Untergang.

Die europäische Staatsschuldenkrise beschäftigt die Finanzmärkte seit fast zwei Jahren. Die Aktien sind in dieser Zeit zwar immer wieder gefallen, aber danach auch wieder gestiegen. Es trat ein Gewöhnungseffekt ein, Anleger konnten annehmen, die Börsen seien gegen die Schuldenkrise immun. Umso schlimmer fällt die Reaktion aus, wenn sich herausstellt, dass das eine Illusion war. Spätestens nach der Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA war der Zeitpunkt für die Wende gekommen. Dann geht alles schnell. Ein Anleger folgt dem anderen, alle wollen nur noch raus - Herdentrieb. Er führt weiter in den Abgrund.

5.) Zittrige Hände bei den Banken schaffen neue Probleme.

Auf keine Branche konzentrieren sich die Sorgen so sehr wie auf die Banken. Auch am Freitag gehörten Unicredit, Société Générale und Deutsche Bank zu den größten Verlierern. Frisch ist die Erinnerung daran, wie in der letzten Finanzkrise die Interbankenmärkte einfroren, Kreditinstitute kollabierten und die Wirtschaft nach unten zogen. Jetzt haben europäische Banken offenbar wieder Probleme, sich kurzfristig von anderen Banken Geld zu leihen. Besonders misstraut man Geldhäusern aus Staaten wie Italien, weil die Institute mit Schuldtiteln ihrer Regierungen vollgepumpt sind.

Das Gerücht, SocGen stehe vor der Pleite, wurde zwar dementiert, doch der Schreck steckt den Bankern in den Knochen. Andererseits weisen Experten darauf hin, dass die EZB heute - anders als 2008 - den Banken unbegrenzt kurzfristig Geld leihe. Doch auch das nährt Ängste: Als die Nachricht die Runde machte, erstmals seit Februar habe sich eine europäische Großbank bei der EZB 500 Millionen Dollar geliehen, rauschten die Kurse nach unten. Dahinter steht die Sorge, Europas Finanzkonzerne erhielten in den USA kein Geld mehr. Nach Schätzungen der Bank Nomura haben in den USA tätige ausländische Banken in den vergangenen vier Wochen 339 Milliarden Dollar abgezogen. Das könnte ein Indiz sein, dass die Banken Geld brauchen - oder dass sie den USA misstrauen.

© SZ vom 20.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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