Börsen:Abwärts mit Ansage

Die Wirtschaft wächst weniger, die Handelskonflikte verschärfen sich, und in den USA steigen die Zinsen: All das lässt die Aktienkurse fallen wie lange nicht.

Von S. Boehringer, H. Freiberger, J. Willmroth und N. Wischmeyer, Frankfurt/München

Die Warnungen hallten noch nach, als Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Donnerstag in Berlin auftrat, um zu verkünden, was sich schon herumgesprochen hatte: Die Bundesregierung senkt ihre Wachstumsprognose für dieses und das kommende Jahr auf nur noch 1,8 Prozent. Zwei Tage zuvor hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) ein schwächeres Wachstum der Weltwirtschaft vorausgesagt, dafür die Handelskonflikte mitverantwortlich gemacht und am Mittwoch mit einer Warnung vor instabilen Finanzmärkten nachgelegt. Eine weitere Eskalation im Handelsstreit könne "das Vertrauen der Anleger untergraben und auch das Wirtschaftswachstum schädigen", heißt es im Finanzstabilitätsbericht des IWF.

Darauf folgte ein Absturz an den Aktienmärkten, wie ihn die Welt seit Februar nicht gesehen hatte. Ausgehend von den USA fielen an den Börsen weltweit die Kurse, binnen weniger Stunden notierten die wichtigsten US-Indizes tief im Minus. Europäische Werte fielen am Donnerstag auf den niedrigsten Stand seit 20 Monaten, nahezu überall bewegten sich die Kurse im roten Bereich. Nachdem Aktionäre jahrelang glänzend verdient hatten, vermischten sich schlechte Nachrichten, zunehmende Skepsis und steigende Zinsen in den USA zu einem Stimmungsumschwung.

Bei einem Abverkauf trifft es meist zuerst die Werte, die davor besonders gut gelaufen sind

Heißt das, dass der Boom vorbei ist? Nehmen die Aktienmärkte das Ende des weltweiten Konjunkturaufschwungs vorweg? Oder ist dieser Kursrutsch nur ein weiteres Indiz für die hohe Unsicherheit?

An Märkten, die so lange von steigenden Kursen geprägt waren, wirkt ein Einbruch wie in dieser Woche abrupt - außergewöhnlich war er nicht. Kapitalmarktprofis warnen schon länger vor ungemütlicheren Zeiten, vor stärker schwankenden Kursen, vor solch vermeintlichen Überraschungen. "Wir sind nervöser als noch vor einem Jahr", sagt Michael Roberge, Chef der großen Bostoner Fondsgesellschaft MFS. "Es kommen schwierige Zeiten auf Investoren zu. Sie müssen jetzt risikobewusster sein." Also mit dem Handelskrieg, den schwächeren Konjunkturaussichten, den Problemen in den Schwellenländern - und mit dem US-Präsidenten kalkulieren, der über die US-Notenbank Fed sagt, sie sei "verrückt geworden".

Börse Frankfurt

Handelssaal an der Frankfurter Börse: Beruhigen sich die Anleger wieder? Am Mittwoch fielen die Kurse deutlich, am Donnerstag ging es mit dem Dax weiter herunter.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Kommt es zu einem allgemeinen Abverkauf am Aktienmarkt, zeigt er sich immer zuerst dort, wo die Kurse besonders stark gestiegen sind. Diesmal bei den Aktien von Konzernen wie Amazon, Google oder Netflix, bei kleineren Technologiefirmen, deren Namen weniger plakativ sind, mit deren Anteilsscheinen aber viele Anleger ebenso hohe Gewinne gemacht haben. Seit dem Jahr 2009 sind Technologiewerte in den USA und Europa deutlich besser gelaufen als der übrige Markt. Der mit weit mehr als 2000 Tech-Konzernen bestückte Index Nasdaq Composite, quasi die Mutter aller Techbörsen, stieg seit Jahresanfang zwischenzeitlich um bis zu zehn Prozent stärker als der 500 Aktien breite S&P-500-Index. In Deutschland lief der 30 Werte umfassende Tec-Dax dem Dax sogar um mehr als 20 Prozent davon - Anfang September notierte der Dax im Vergleich zu Januar um drei Prozent im Minus, der Tec-Dax um 20 Prozent im Plus.

Anders als zur Jahrtausendwende, als das Internet noch jung war und neue Technikfirmen einen Kurscrash an den Börsen beschleunigten, ist dieses Mal die breite Anlegerschaft von Kursverlusten betroffen. Unter den zehn wertvollsten Konzernen der Welt finden sich fast nur noch Technikfirmen; Apple, Microsoft oder Google haben durch ihre gigantischen Marktwerte ein so großes Übergewicht in Indizes, dass sie deren Kursverläufe wesentlich beeinflussen. Und: Anders als vor 18 Jahren gehören Aktien der großen US-Techfirmen, aber auch deutscher Konzerne wie SAP oder Wirecard zum Pflichtrepertoire großer Investmentfonds. Weil diese Werte so gut gelaufen sind, verkaufen Portfoliomanager sie zuerst, wenn sie Gewinne realisieren wollen. Fonds, die modellgestützt automatisch handeln, verstärken Kursverläufe nach oben wie unten erheblich.

Kommen dann noch wachsende globale Risiken dazu, ergeben größere Verkäufe durchaus Sinn. Und seitdem die Fed die Leitzinsen immer weiter erhöht, sind US-Staatsanleihen erstmals seit der Finanzkrise wieder zu einer guten Alternative geworden. Mehr als drei Prozent bekommen Anleger derzeit auf zehnjährige amerikanische Bonds, so viel wie seit Jahren nicht. Investoren mit eher defensiver Anlagestrategie müssen da nicht lange überlegen. Je attraktiver der Anleihemarkt wird, je aussichtsreicher das Versprechen, wieder relativ sicher eine positive Rendite zu erwirtschaften, desto mehr Geld fließt aus Aktien ab, was zuletzt deutlich sichtbar war.

Während die US-Notenbank die Leitzinsen bereits bis auf 2,25 Prozent angehoben hat und Investoren mit weiteren Zinsschritte in den kommenden Monaten rechnen, dauert die Zeit der Nullzinsen in der Eurozone wohl noch bis Mitte 2019. Dort die Fed, die vorsorglich die Zinsen erhöht, damit die Konjunktur nicht überhitzt, hier die EZB, die erst ihre Anleihekäufe beenden will und die Zinsen unangetastet lässt, bis sie ihr Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent dauerhaft erreicht sieht: In der Geldpolitik der Zentralbanken drückt sich aus, wie unterschiedlich sich die USA, Europa und andere Wirtschaftsräume derzeit entwickeln. "2017 war das Jahr der Konvergenz, 2018 das Jahr der Divergenz: Die USA, die Schwellenländer und Europa entwickeln sich auseinander", sagt Gergely Majoros, Mitglied des Investmentkomitees des französischen Vermögensverwalters Carmignac. Die Aktienmärkte spiegeln das wider: Während der S&P 500 seit Jahresbeginn noch fast fünf Prozent im Plus liegt, hat der Dax in dieser Zeit fast zehn Prozent seines Werts verloren.

Bis zum Donnerstagabend erholten sich die Kurse nur vorübergehend. Später ging es weiter abwärts. Der Dax, der zunächst mit 0,2 Prozent im Minus war, fiel deutlich um weitere 1,5 Prozent auf 11 539 Punkte. In New York sank der S&P 500 um 1,2 Prozent, die Technologiebörse Nasdaq lag leicht im Minus. Vielleicht hatte Peter Altmaier da gerade den richtigen Ton angeschlagen am Donnerstag. Während IWF-Vertreter auf Bali über Risiken sprachen, verkaufte er die schlechteren Konjunkturaussichten mit einer guten Portion Optimismus: Es gebe eigentlich keinen Grund dafür, dass die wirtschaftliche "Erfolgsgeschichte" abreiße, sagte er. Börsianer könnten ihm einige Gründe nennen.

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