Börse:Wie sich eine halbe Milliarde Euro in Luft auflöste

Windeln.de wollte das Zalando für Babyartikel werden. Beim Börsengang 2015 gab es um die Aktie einen großen Hype. Jetzt ist das Unternehmen pleite.

Von Harald Freiberger

Börse: Ein Baby auf dem Wickeltisch: Das Online-Geschäft mit Windeln war mal sehr in.

Ein Baby auf dem Wickeltisch: Das Online-Geschäft mit Windeln war mal sehr in.

(Foto: Bernhard Classen/imago)

Es gibt Geschäftsmodelle, die scheinbar unverwundbar sind. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit der Formulierung "... wird immer" funktionieren. "Gegessen wird immer", sagen Vertreter der Lebensmittelindustrie, "gestorben wird immer", heißt es in der Sargbranche. Als das Münchner Start-up Windeln.de 2015 an die Börse ging, schien das auch eine sichere Sache zu sein. Babys, die Windeln voll machen, gibt es schließlich immer, was lag also näher als ein Unternehmen, das es weltweit ermöglicht, sich Windeln online zuschicken zu lassen? So dachten 2015 auch die Aktionäre. Windeln.de kam zum Preis von 18,50 Euro an die Börse, der Kurs stieg bis auf 99 Euro - vorübergehend war das Unternehmen eine halbe Milliarde Euro wert.

Am Freitag verschickte das Münchner Unternehmen eine knappe Mitteilung, die zeigt, dass es keine hundertprozentig sicheren Geschäftsmodelle mehr gibt. Windeln.de ist pleite. Die Verhandlungen mit einem Investor um eine Kapitalspritze seien gescheitert. Der Vorstand gehe deshalb davon aus, "dass keine hinreichende Wahrscheinlichkeit mehr besteht, dass der zusätzliche Finanzbedarf der Gesellschaft durch Investoren gedeckt werden kann". Eine "positive Fortführungsprognose" für die überschuldete Firma gebe es nicht mehr, daher müsse man "unverzüglich" Insolvenz anmelden.

Windeln.de hatte seit Monaten mit Geldgebern verhandelt. Im Juli wollte sich der Versender von Babybedarf über eine Kapitalerhöhung an der Börse frisches Geld beschaffen. Zuletzt hoffte er auf eine Kapitalspritze von 5,5 Millionen Euro durch einen chinesischen Investor. In China macht Windeln.de sein Hauptgeschäft. Doch nun sprang der Investor ab, alternative Geldgeber fand das Unternehmen nicht mehr.

Die Aktie kannte nur einen Weg, nämlich den steil nach unten

Windeln.de wollte eine Art Zalando für Babyprodukte werden, vom Kinderwagen bis zur Milchpumpe. Doch der Hype um die Aktie währte nach dem Börsengang nur kurz. Von knapp 100 Euro stürzte der Kurs innerhalb weniger Wochen auf 50 Euro ab, ein Jahr später waren es nur noch 20 Euro. 2018 fiel der Kurs erstmals unter die Ein-Euro-Marke. Das Unternehmen kam nie in die Gewinnzone, 2020 stand ein Minus von 13,7 Millionen Euro zu Buche.

Börse: Das waren sie noch zuversichtlich: Alexander Brand (links) und Konstantin Urban, Gründer und Vorstände von Windeln.de, beim Börsengang im Frühjahr 2015.

Das waren sie noch zuversichtlich: Alexander Brand (links) und Konstantin Urban, Gründer und Vorstände von Windeln.de, beim Börsengang im Frühjahr 2015.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Seit Jahren steht die Aktie im Mittelpunkt wilder Spekulationen. Manchmal vervielfachte sich der Kurs binnen weniger Tage, um danach wieder in Richtung null Euro abzustürzen. Im Sommer 2021 hatte Windeln.de kurzzeitig sogar den Ruf, das "deutsche Gamestop" zu sein. Auf Internetforen wie Reddit machte sich eine Gemeinde meist junger Anleger für die Aktie stark und forderte andere auf, es ihr gleichzutun und das Papier zu kaufen - so wie es Anfang 2021 mit der US-amerikanischen Videospielkette passiert war. Damals gelang es den Kleinaktionären sogar, große Hedgefonds in die Knie zu zwingen, die mit sogenannten Leerverkäufen auf einen Kursverfall von Gamestop gewettet hatten.

Doch der Fall des deutschen Windelversenders lag völlig anders: Es gab gar keine Großinvestoren, die mit Leerverkäufen gegen die Aktie gewettet hatten. Die Geschichte, dass Windeln.de ein völlig unterschätztes Unternehmen sei, war eine Legende. "Was glaubt ihr wie hoch die Aktie noch geht", fragte damals ein Nutzer auf dem Reddit-Forum.. "Kann nur hoch gehen", meinte ein anderer. "Geschissen wird immer. Hab selbst Kinder, weiß wovon ich rede."

Die Lehre für Aktionäre ist, vorsichtig zu sein, wenn sie von vermeintlich unverwundbaren Geschäftsmodellen hören - und von der Formulierung "... wird immer".

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