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Börse:Warum Tech-Aktien so abstürzen

Lesezeit: 6 min

An der Börse geht es drunter und drüber: Die Aktie von Facebook verliert 26 Prozent, die von Amazon gewinnt 13 Prozent. Selten war die Stimmung so nervös. Was ist da los?

Von Harald Freiberger, Simon Hurtz und Helmut Martin-Jung

Es war der größte Verlust, den es in der Geschichte der Börse bei einem einzelnen Unternehmen je gab: Um 27 Prozent brach die Aktie von Facebook-Eigner Meta am vergangenen Donnerstag ein, der Börsenwert sank dadurch um 240 Milliarden Dollar (209 Milliarden Euro). Allein Facebook-Gründer Marc Zuckerberg verlor 29 Milliarden Dollar. Auf der anderen Seite katapultierten gute Zahlen des Onlinehändlers Amazon dessen Kurs um 13 Prozent und den Börsenwert um 184 Milliarden Dollar nach oben. Diese extremen Kursausschläge zeigen, wie nervös die Stimmung an der Börse derzeit ist. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum ist Metas Aktienkurs so stark eingebrochen?

Es gibt drei Gründe. Der erste und offensichtlichste: Die aktuellen Zahlen haben die Anleger enttäuscht, auch der Ausblick ist ernüchternd. Der Konzern hat weniger verdient als erwartet, und Menschen kehren der größten Plattform den Rücken. Facebook, die blaue App, schrumpft zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte. Der Verlust fällt mit einer Million Nutzer - das entspricht 0,05 Prozent - zwar minimal aus, doch er hat Symbolwert: Facebook hat seinen Zenit überschritten, der Markt ist gesättigt. Zuckerbergs Traum, die ganze Welt zu vernetzen, wird sich wohl nicht erfüllen.

Zum Zweiten beunruhigt der Aufstieg von Tiktok, das der Meta-Plattform Instagram bei jüngeren Menschen den Rang abgelaufen hat. Werbekunden investieren einen immer größeren Teil ihres Budgets in Tiktok, für Meta ist das eine bedrohliche Entwicklung. Und drittens hat das vergangene Jahr gezeigt, wie abhängig der Konzern von Apple und Google ist, weil er kein eigenes mobiles Betriebssystem besitzt. Seit Apples iOS Version 14.5 müssen Entwickler um Erlaubnis fragen, bevor sie Nutzerinnen und Nutzer quer über Apps und Webseiten hinweg verfolgen. Wenig überraschend lehnen die meisten Menschen dankend ab, und das kostet Meta Milliarden. Je weniger Daten gesammelt werden, desto ungenauer wird die Werbung und desto weniger Geld geben Unternehmen dafür aus. Metas Finanzchef Dave Wehner schätzt den Einnahmerückgang auf zehn Milliarden Dollar und rechnet damit, dass Apples Tracking-Schutz das Werbegeschäft auch 2022 belasten wird.

Wie will Meta die Trendwende schaffen?

Zuckerberg hat eine riskante Wette auf die Zukunft abgeschlossen. Er setzt darauf, dass sich Menschen in zehn bis 15 Jahren massenhaft Virtual-Reality-Brillen aufsetzen und in einer Parallelwelt kommunizieren, spielen und arbeiten, in der virtuelle und reale Erfahrungen verschmelzen - dem Metaverse. Mehr als zehn Milliarden Dollar hat der Konzern im vergangenen Jahr für seine Sparte Reality Labs ausgegeben, mit der Meta die Grundlage für diese Vision legen will. Selbst Zuckerberg gibt zu, dass noch viele Fragen offen sind: "Obwohl unser Ziel klar ist, scheint unser Weg dorthin noch nicht ganz klar zu sein."

Die meisten Unternehmen müssen für solche grundlegenden Strategiewechsel ihre Investorinnen und Anleger überzeugen. Zuckerberg dagegen kann allein entscheiden. Er besitzt sogenannte B-Aktien, die mit einem zehnfachen Stimmrecht einhergehen. Obwohl er nur 14 Prozent des Anteils an Meta hält, kann er alle A-Aktionäre einfach überstimmen.

Warum ist der Amazon-Kurs so stark gestiegen?

Vor allem wegen der Cloud. Das Geschäft mit Rechenzentren, das sich für die meisten Menschen eher im Verborgenen abspielt, hat dem Internetkonzern Amazon auch im jüngsten Quartal Stabilität beschert. Dazu zahlte sich auch Amazons Investition in den amerikanischen Elektroautohersteller Rivian aus. Dass der Konzern beim Aktienkurs schließlich einen Tagesgewinn schaffte, der zu den fünf höchsten in der Geschichte des US-Aktienmarktes zählt, hat aber einen weiteren Grund: Der Konzern hebt die Jahresgebühr für den Dienst Amazon Prime in den USA von 119 auf 139 Dollar an - das beflügelte die Investoren ganz besonders.

Auch in seinem Handelsgeschäft, das die meisten zuallererst mit dem Unternehmen verbinden, steigerte Amazon den Umsatz. Zu einem Teil geht das auf die Pandemie zurück. Viele Menschen wollten sich nicht dem Risiko aussetzen, im stationären Handel einzukaufen. Zum anderen aber entscheiden sich mittlerweile auch viele für eine Online-Bestellung, die vor einiger Zeit noch eher skeptisch waren. Dabei hatte Amazon im Online-Handel durchaus mit Problemen zu kämpfen. Wie anderen Branchen auch, fehlten dem Unternehmen Arbeitskräfte, zudem schlugen die gestiegenen Energiepreise auf die Lieferkosten durch.

Mit dieser Kostensteigerung, aber auch einem verbesserten Serviceangebot, begründete Amazon auch die Erhöhung der Servicegebühr für den Prime-Dienst: Wer ihn abonniert, bekommt nicht nur Waren schneller, sondern hat auch Zugang zu Streamingdiensten für Musik und Videos. Für den Konzern bedeuten die Abos Kundenbindung und einen ständigen Strom an Einnahmen. Amazon ist durchaus bemüht, den Dienst attraktiv zu gestalten, und lässt inzwischen auch Filme und Serien produzieren. Noch in diesem Jahr soll beispielsweise eine Serie J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe"-Trilogie auf die TV-Bildschirme bringen.

Im Weihnachtsquartal setzte Amazon insgesamt 137,4 Milliarden Dollar um, im Vorjahr waren es noch 125,6 Milliarden Dollar. Der Gewinn verdoppelte sich, von 7,2 Milliarden Dollar im vierten Quartal 2020 auf 14,3 Milliarden Dollar Ende 2021.

Was machen andere Technologie-Aktien?

Wie irre die Kurse derzeit schwanken, zeigte am vergangenen Donnerstag die Aktie von Snap, das die soziale Fotoplattform Snapchat betreibt. Sie brach im Sog des Facebook-Desasters zunächst um 24 Prozent ein, doch Stunden später kam Snap mit eigenen positiven Zahlen heraus. So machte die Plattform im vierten Quartal 2021 erstmals einen Gewinn von 22,5 Millionen Dollar, im Jahr davor waren es 113 Millionen Verlust gewesen.

Das bewog die Investoren dazu, die Aktie wie verrückt zu kaufen; der Kurs stieg nachbörslich um mehr als 50 Prozent. Mit schlechten Zahlen wartete dagegen der digitale Musikdienst Spotify auf, dessen Aktienkurs 17 Prozent verlor. Der US-Technologie-Index Nasdaq rutschte insgesamt um 3,6 Prozent ab.

Warum ist die Stimmung an der Börse so nervös?

Anfang Januar markierten die Börsen weltweit noch neue Rekorde, doch seitdem geht es nach unten. Zu den Risiken wegen des Coronavirus kam der Konflikt zwischen Russland und dem Westen wegen der Ukraine dazu, vor allem aber die Zinswende durch die US-Notenbank Fed: Sie kündigte an, bald die Zinsen zu erhöhen, um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig dämmt die Fed die Käufe von Anleihen ein. Die Geldschwemme durch die Notenbanken war die Hauptursache für den Aktienboom der vergangenen Jahre. Nun droht die Börse ihren Treibstoff zu verlieren, deshalb verkaufen Investoren Aktien.

Warum sind Technologie-Aktien so stark betroffen?

Die US-Technologiebörse Nasdaq notiert inzwischen 14 Prozent unter ihrem Höchststand. Im allgemeinen Markt, den der S&P-500-Index widerspiegelt, ist der Verlust mit sieben Prozent deutlich geringer. Der Deutsche Aktienindex steht ebenfalls sieben Prozent unter seinem Rekord. Das ist kein dramatischer Einbruch. Die derzeit nervöse Stimmung ist vor allem eine Krise der Technologie-Aktien. Der Hauptgrund dafür lässt sich mit einer alten Börsenweisheit zusammenfassen: Was hoch steigt, muss tief fallen. Technologie-Aktien boomten in den vergangenen Jahren, sie waren der Hauptträger des Börsenaufschwungs. Bei vielen von ihnen hat sich eine Kursblase gebildet, deren Luft jetzt entweicht.

Es gibt noch einen speziellen Grund dafür, weshalb steigende Zinsen gerade Technologie-Aktien besonders treffen: Sie wachsen stark, ihre erwarteten Gewinne in der Zukunft sind deutlich höher als bei traditionellen Industrieunternehmen. "Je weiter die Gewinne aber in der Zukunft liegen, desto stärker sinkt der faire Wert einer Aktie bei einer Zinserhöhung", sagt Markus Reinwand, Aktienanalyst bei der Landesbank Hessen-Thüringen. Die künftigen Gewinne werden von den Investoren um die höheren Zinsen abdiskontiert und sind deshalb heute weniger wert. Zum Vergleich: Bei einer hohen Inflation sind 500 Euro, die jemand in fünf Jahren bekommen soll, heute auch weniger wert als bei einer niedrigen Inflation.

Sind alle Technologie-Aktien gleich gefährdet?

Der Investor und Buchautor Christian W. Röhl sieht im Technologiebereich eine starke Zweiklassengesellschaft: auf der einen Seite die Dickschiffe, die in den vergangenen Jahren eine große Marktmacht und große Gewinne angehäuft haben, auf der anderen Seite viele Hoffnungswerte mit teilweise schon hohen Umsätzen, aber noch wenig Gewinn. Die vier Dickschiffe sind für Röhl Microsoft, Apple, Amazon und Alphabet (Google). "Das sind wahre Cash-Maschinen, mit die profitabelsten Unternehmen in der Geschichte des Kapitalismus", sagt er. Ihre Aktienkurse sieht er zwar teilweise ambitioniert, aber nicht irrational bewertet, weil sie ihre Marktmacht auch künftig für starkes Wachstum nutzen könnten.

Die größte Gefahr drohe ihnen von der Regulierung, die US-Regierung könnte irgendwann versucht sein, die Konzerne wegen ihrer Marktmacht zu zerschlagen. Röhl sieht dabei Alphabet und Amazon gefährdeter als Microsoft und Apple. Die Tech-Riesen könnten dem zuvorkommen, indem sie sich selbst filetieren und verkleinern. Für Röhl ist das auch der Hauptgrund, weshalb Facebook jetzt bei Investoren solche Probleme bekommt: "Niemand begegnet Regulierern mit einer solchen Borniertheit und Nonchalance wie Zuckerberg, er hat null Sensibilität für Themen wie Fake News und Identitätsklau", sagt er. Deshalb zähle er Meta auch nicht zu den Tech-Riesen der Zukunft.

Auf der anderen Seite stehen viele kleinere Technologie-Unternehmen, die in der Vergangenheit extrem gehypt wurden. Ihre Aktienkurse haben sich oft vervielfacht, und das, obwohl sie häufig noch kaum Gewinne machten, sondern eher ein Versprechen für die Zukunft waren. Ihre Aktienkurse fallen schon seit fast einem Jahr, in den vergangenen Wochen hat sich der Kursrutsch beschleunigt. Viele Unternehmen haben 50 Prozent und mehr an Kurswert eingebüßt. Beispiele sind Rivian (E-Lkw), Robinhood (Broker), Oatley (Hafermilch), Peloton (Hometrainer). "Bei solchen Werten gab es eine Blase, und selbst nach dem Kursverfall sind sie noch hoch bewertet", sagt Röhl. Die Gefahr weiterer Verluste sei zunächst hoch. Generell sieht der Experte den Aktienmarkt in einer schwierigen Phase, nachdem er in den vergangenen Jahren und besonders 2021 stark und ohne große Schwankungen gestiegen sei.

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