Süddeutsche Zeitung

Börsensprache:Sekt & Champagner

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Der Rekord ist "geknackt", die "Sektkorken knallen", Anleger sind "in Champagnerlaune". Warum ist die Börsensprache so reich an Metaphern?

Von Harald Freiberger

Es dauerte exakt fünf Minuten, bis es soweit war. Um 9:00 Uhr eröffnete der Dax auf Höchststand, um 9:05 Uhr erschien im Internet der erste Bericht, dass Anleger in Deutschland "die Sektkorken knallen lassen". Bald darauf gesellten sich andere Vokabeln hinzu, die immer auftauchen, wenn das deutsche Börsenbarometer einen "Rekord knackt". Dann stellt sich "Feierlaune" oder "Champagnerlaune" ein, dann kommt die "Rallye" ins Spiel, es kann aber auch passieren, dass den Aktien, so wie am Mittwoch, nach kurzer Zeit "die Puste ausgeht".

Die Sprache an der Börse ist reich an Metaphern, und das nicht nur in guten Zeiten. Zwischendrin können die Kurse "Achterbahn" fahren oder im "Schlafwagen" unterwegs sein, und wenn die Risiken wachsen, wird "das Eis brüchig".

Woher kommt die Neigung der Börsianer zu Sprachbildern? "Das Geschehen an den Aktienmärkten ist sehr kompliziert und den Menschen mit abstrakten Begriffen kaum zu vermitteln", sagt der Kommunikationsexperte Anikar Haseloff, der in Ulm das H&H Communication Lab leitet. Metaphern böten die Möglichkeit, einprägsame Bilder in den Köpfen der Leute entstehen zu lassen. Das funktioniere an der Börse ebenso wie in der Politik oder in der Werbung. Ein Beispiel für eine gelungene Metapher ist die Umschreibung der Politik des billigen Geldes: "Die Flut hebt alle Boote an."

Man kann es mit den Bildern aber auch übertreiben. In den jungen Jahren des Dax vor 30 Jahren verglichen manche Medien den Aktienindex sogar mit dem Tier Dachs. An handelsarmen Tagen blieb der Dax in seinem Bau, an guten Tagen kroch er aus seiner Höhle.

Ein Meister der Metapher an der deutschen Börse ist Robert Halver, der Kapitalmarktexperte der Baader Bank. Mal sieht er die Börse auf dem "Highway to Hell", ein andermal diagnostiziert er: "Hinterm Horizont geht's weiter." Die US-Notenbank Fed nennt er "Gänseblümchenorakel", den US-Präsidenten tituliert er als "Trumpel". Halver setzt solche Metaphern bewusst ein, "um komplizierte Dingen anfassbar und begreifbar zu machen". Gelernt habe er das schon als Kind in seiner rheinländischen Heimat, wo er in der Kirche immer die Heiligenbilder bestaunt habe.

Kommunikationsexperte Haseloff findet Metaphern gut, wenn sie einen Sachverhalt überraschend auf den Punkt bringen. Dann könnten sie mehr bewirken, als sich mit normalen Worten sagen lässt. Doch sie bergen für ihn auch eine Gefahr: "Sie können falsche Bilder erzeugen und manipulieren." Das Wort "Champagnerlaune" etwa suggeriere, dass es immer weiter aufwärts gehe. Dabei wachse mit steigenden Kursen die Gefahr eines Absturzes. Dann wird das Eis brüchig.

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Quelle:
SZ vom 23.01.2020
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