MeinungBörse:Die Rekordjagd im Dax ist keine Überraschung – könnte aber ziemlich bald vorbei sein

Kommentar von Victor Gojdka

Lesezeit: 2 Min.

Silvester ist vorbei, an der Frankfurter Börse herrschte zuletzt trotzdem Champagnerlaune: Der Dax markierte ein Rekordhoch nach dem anderen. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Die deutsche Wirtschaft schrumpft, aber die Börse markiert einen Rekord nach dem anderen. Darüber wundern muss sich niemand. Und das neue Jahr dürfte noch ziemlich unruhig werden.

Als der deutsche Aktien-Leitindex Dax in der abgelaufenen Woche ein Rekordhoch nach dem anderen markierte, staunten die Laien und selbst die Fachleute wunderten sich. Ausgerechnet als die Statistiker der deutschen Wirtschaft bereits das zweite Minus-Jahr in Folge attestierten, setzte der Dax zum Sprung an und erklomm seitdem jeden Tag einen neuen Bestwert. Als hätte er nicht bereits im vergangenen Jahr knapp 19 Prozent zugelegt.

Die bevorstehenden Neuwahlen in Deutschland, der nahende Amtsantritt des Zollverfechters Donald Trump, die tiefe Strukturkrise der deutschen Wirtschaft – sie alle scheinen die Börse nicht zu beirren. Viele Menschen dürfte der Rekordlauf des Dax inzwischen an die berühmten Worte des damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker erinnern: Den Sozialismus in seinem Lauf, war der SED-Chef noch im August 1989 überzeugt, hielten weder Ochs noch Esel auf. Das Ende ist bekannt.

Mit der aktuellen Rekordjagd verhält es sich aber doch anders: Ignorant und realitätsvergessen wirkt sie allenfalls auf den ersten Blick. Denn in Wirklichkeit haben im heimischen Leitindex längst die USA das Sagen. Als üppige Bilanzzahlen der US-Großbanken diese Woche international für gute Laune an den Börsen sorgten, trieb das auch den deutschen Leitindex. Als dann gute Inflationsdaten der US-Notenbank Argumente für sinkende Leitzinsen an die Hand gaben, machte der Dax den nächsten Satz.

Wenn Konjunktur und Kurse auseinanderlaufen, geißeln das Privat- wie Fachleute in Deutschland gern unisono. Dabei hat die Finanzwissenschaft längst herausgefunden, dass es zwischen dem Wirtschaftswachstum in einem Land und dem Lauf des entsprechenden Leitindex schlicht keinen direkten Zusammenhang gibt. Wer das globale Wirtschaftswachstum mitsamt Inflation und den deutschen Dax übereinanderlegt, stellt einen viel passgenaueren Trend fest.

Die Gewinne lassen sich erklären, nachhaltig sind sie aber nicht unbedingt

Das geht auf simple Börsenmechanik zurück: Nicht einmal 20 Prozent ihres Geschäfts machen die Dax-Konzerne in Deutschland, auf die USA entfällt hingegen rund ein Viertel. Im vergangenen Jahr besorgten allein die vier Titel von SAP, Telekom, Allianz und Siemens Energy fast den gesamten Kursschwung für den Dax – und sie machen laut DZ-Bank sogar 40 Prozent ihres Geschäfts in den Vereinigten Staaten. Den Dax angesichts dieser Zahlen immerzu mit der deutschen Konjunktur gleichzusetzen, wirkt daher wie Gartenzwerg-Ökonomie.

Dass sich die Kursgewinne erklären lassen, macht sie aber längst nicht nachhaltig. Auf die weltweiten Börsen kommt ein unruhiges Jahr zu, das mehr Überraschungen bergen dürfte als die zurückliegenden Jahre zusammengenommen. Auch wenn die US-Börsen am ersten Amtstag des neuen Präsidenten Donald Trump geschlossen sein werden, dürfte die Gnadenfrist nicht lang sein. Bis neue Zölle tatsächlich greifen, könnte es zwar aus rechtlichen Gründen teilweise noch bis Mitte des Jahres dauern. Dass sich mit den USA allerdings ausgerechnet das aktuelle Kraftpaket der Weltwirtschaft aus der Globalisierung zurückziehen will, darf der deutschen Konjunktur und den Dax-Kursen gleichermaßen Angst machen.

Neue US-Zölle dürften die Kurse nämlich gleich doppelt belasten: Wenn mit höheren Importzöllen die Preise in den USA wieder steigen, müsste die Notenbank irgendwann umsteuern. Waren in den USA vor wenigen Wochen noch vier Zinssenkungen für 2025 nahezu ausgemachte Sache, glauben Fachleute nun gerade noch an eine – wenn überhaupt. Angesichts üppiger Zinsen überlegen sich Finanzprofis ein Aktieninvestment dann lieber zweimal.

Der Dax könnte es also bald mit seinen ärgsten Gegnern zu tun bekommen, mit Zöllen und Zinsverschärfungen. Zur Erinnerung: Als der Leitindex 2018 sein vorletztes Minus-Jahr verzeichnete, hatte der Zollstreit den Index in die Tiefe gedrückt. Als der Dax das Jahr 2022 in den roten Zahlen abschloss, waren die Zinsen emporgeschossen. In diesem Jahr muss der Index wohl mit beidem fertigwerden – und zwar auf einmal.

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