Süddeutsche Zeitung

Russland:Potemkinsche Börse

Wochenlang war der Aktienhandel in Moskau dicht. Jetzt ist der Markt für russische Papiere wieder komplett offen - allerdings nur auf den ersten Blick.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Vielleicht war es besonders schwarzer Humor, der Aktienanalyst Alexander Butmanow zu seiner Aktion verleitete. Als die Moderatorin des Börsensenders RBK den Investmentexperten Anfang des Monats nach seiner Meinung zur Börsenlage fragte, griff der Analyst plötzlich unter den Tisch, holte eine grüne Glasflasche hervor und genehmigte sich einen tiefen Schluck. "Ruhe in Frieden, lieber Aktienmarkt", sagte Butmanow.

Entgegen den Einschätzungen vieler Marktexperten erlebt die Moskauer Börse nun eine wundersame Wiederauferstehung. Wochenweise war der Handel mit Aktien zunächst immer wieder ausgesetzt, nun haben ihn die Börsenoberen an diesem Montag weitgehend wieder geöffnet. Die große Überraschung: Der gravierende Crash blieb vorerst aus.

Bereits am vergangenen Donnerstag hatte die Moskauer Börse einen Testlauf gewagt und vorerst 33 Aktien zum Handel zugelassen: Namen wie Gazprom, Lukoil oder Aeroflot. Am Montag nun konnten die inländischen Anleger alle russischen Aktien wieder handeln - wenn auch zu verkürzten Handelszeiten. Eine "Potemkinsche Markteröffnung" sei das, kommentierte das Weiße Haus die Lage.

Denn der Aktienhandel in Russland ist immer noch nicht frei: Ausländische Investoren dürfen ihre Titel nicht verkaufen, auch deutsche Anleger sitzen also häufig noch in russischen Aktien fest. "Wir sehen an der Moskauer Börse aktuell also keine besonders aussagekräftigen Kurse", sagt Russlandexperte Sebastian Kahlfeld von der Fondsgesellschaft DWS. Außerdem hat die Zentralbank Wetten auf fallende Aktienkurse verboten, was das Kursniveau stützen soll.

Der große Knall könnte erst noch kommen

Eine eindeutige Kurstendenz ließ sich in den ersten Handelstagen nicht herauslesen: Auf der einen Seite dürften manche Privatanleger mit Aktien aus dem immer noch florierenden Rohstoffsektor vor der inzwischen zweistelligen Inflationsrate fliehen wollen. "Auf der anderen Seite wollen andere, vor allem internationale Investoren, selbst tief gefallene Papiere einfach nur loswerden", sagt DWS-Fondsmanager Kahlfeld. Am Montag gab der in Rubel notierte russische Leitindex Moex daher um 2,1 Prozent nach.

Der große Knall, fürchten manche, könnte indes erst noch kommen: Sollten vermögende russische Privatleute auf Kredit mit heimischen Aktien spekuliert haben, dann könnten die Banken sie irgendwann dazu zwingen, andere Aktien zu verkaufen, um ihre Kredite bedienen zu können.

Aktienanalyst Butmanow schreckt die allgemeine Unsicherheit an der Moskauer Börse allerdings nicht. "Wenn alles schiefläuft", sagte er im Sender RBK, "kann ich auch als Weihnachtsmann arbeiten."

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