Vielleicht zeigt schon manche Redewendung, dass die Aktienbörsen mehr mit dem Wetter zu tun haben, als viele Menschen denken mögen. Wenn von „heißen“ Aktientipps die Rede ist, träumen viele schließlich von emporjagenden Kursen. Wenn die Stimmung am Parkett während der Börsensitzung hingegen „hitzig“ war, lässt das nichts Gutes erwarten. Und dass die fähigsten Investmentbanker in der Branche gern als „Rainmaker“ bezeichnet werden, also als Regenmacher, macht es auch nicht eindeutiger: Dass die Börse ausgerechnet Regenmacher feiert, mag nicht recht zur Parallele von Hitze und Hausse passen.
Skeptiker mögen ganz grundsätzlich einwenden, dass die Prognosequalitäten sowohl von Meteorologiediensten als auch von Analysehäusern an der Börse sowieso eher mäßig ausfallen. Um der Frage nachzugehen, konnten Forschungsteams aus den Finanzwissenschaften jedoch mit puren Fakten arbeiten: Kaum etwas wird schließlich so peinlich genau dokumentiert wie die tatsächlichen Temperaturen und die offiziellen Börsenkurse. Ganze Forschungsgruppen sind in den vergangenen 30 Jahren immer wieder der Frage nachgegangen, ob mit den Temperaturen auch die Notierungen an der Börse steigen – oder fallen.
Als Erster machte sich der Finanzwissenschaftler Edward M. Saunders im Jahr 1993 an diese Aufgabe: Saunders analysierte aus meteorologischen Daten, wie wolkenverhangen der Himmel über der Finanzhauptstadt New York war und glich das mit den Kursen ab. Sein Ergebnis? Je weniger Wolken sich über der Stadt zeigten, desto weniger hingen auch im übertragenen Sinne über der Börse. Je mehr die Sonne also theoretisch durchscheinen konnte, desto besser waren auch die Renditen am Aktienparkett.
Was Saunders eher anekdotisch am New Yorker Beispiel auswertete, nahm der renommierte Finanzprofessor David Hirshleifer gleich für 26 Aktienbörsen rund um den ganzen Globus unter die Lupe, von A wie Amsterdam bis Z wie Zürich. Und in der Tat: Zwischen Sonnenschein am Sitz der Börsen und den dortigen Kursen gab es einen messbaren Zusammenhang.
Ob mehr Sonnenschein jedoch auch extreme Hitze bedeutet, ist längst nicht ausgemachte Sache. Um das herauszufinden, ließen die Finanzwissenschaftlerin Melanie Cao und ihr Kollege Jason Wei schließlich die Temperaturen an vielen Börsenplätzen mit den Renditen gegeneinanderlaufen. Ihre These: Die Hitze dürfte den Anlegerinnen und Anlegern aufs Gemüt schlagen und am Ende vor allem psychologisch auf die Kurse wirken.
Denkbar sind allerdings zwei genau entgegengesetzte Wirkungsweisen: Entweder könnte Hitze die Händlerinnen und Händler aggressiver und impulsiver machen, sodass sie sich auch am Parkett zu waghalsigeren Aktionen hinreißen lassen und im Aggregat die Kurse treiben. Möglich wäre jedoch genauso, dass die Händlerinnen und Händler schwitzend in ihren Stühlen hängen und bloß apathisch auf ihre Bildschirme schauen.
Das Ergebnis der Untersuchung: Je höher das Quecksilber kletterte, desto stärker bröckelten die Kurse. Während die Kurse zum Beispiel an der Frankfurter Börse an kalten Tagen im Schnitt um 0,05 Prozent stiegen, waren es an normal temperierten Tagen nur noch 0,03 Prozent. Im Drittel der heißesten Tage kletterten die Kurse gar nur noch um 0,005 Prozent.
Händlerinnen und Händler müssen sich auch bei Hitze an den Dresscode halten
Andere Forscher konnten den Ermattungs-Effekt bei extremer Hitze sogar noch auf ganz andere Weise belegen. Daten für die Pariser Börse zeigen schließlich, dass das Handelsvolumen an Tagen mit Temperaturen über 30 Grad Celsius um rund vier bis zehn Prozent abebbte. Mit anderen Worten: Bei hohen Temperaturen verdunstet auch an der Börse ein Stück Liquidität.
Was unterhaltsam klingt, ist in Wirklichkeit jedoch eine ernste Sache: Viele Händlerinnen und Händler in den Banken müssen sich selbst an Sommertagen an einen strikten Dresscode halten. Dass viele Banken außerdem in rundumverglasten Hochhäusern mit häufig überlasteten Klimaanlagen sitzen, tut ein Übriges, um die Stimmung weiter aufzuheizen. Den Forschern zufolge sind es also weniger Privatanlegerinnen und Privatanleger, die über die Hitze nachdenken sollten – sondern vielmehr die Managementprofis in den Bankhäusern.