Ukraine-Krieg:Die Börsen rauschen ab

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Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Aktienmärkte weltweit auf Talfahrt geschickt. (Foto: Rodrigo Reyes Marin/dpa)

Putin greift die Ukraine an, schnell schießt der Ölpreis über 100 Dollar. Die Moskauer Börse muss den Handel aussetzen.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Wer wissen will, welche Emotionen die Börse treiben, der ist richtig im edlen Ledersessel bei Joachim Goldberg. Der hochgewachsene Mann mit der sonoren Stimme gilt als Deutschlands oberster Börsenpsychologe - von einem Altbau unweit der Frankfurter Innenstadt aus fragt er jede Woche Dutzende Anleger nach ihrer Gefühlslage. Als sich Goldberg am Morgen um 05.45 Uhr vor seine Computer setzt, ist ihm klar: Das würde ein bitterer Tag werden für die Welt - und die Börsen.

Der deutsche Leitindex Dax rutscht schon im frühen Handel von rund 14 600 Punkten aus in die Tiefe. 14 400 Punkte, 14100 Punkte, im Minutentakt rasselt der Index nach unten. Nach nur 17 Minuten kippt er erstmals wieder unter die Marke von 14 000 Punkten. Plötzlich steht die hässliche Zahl 13 vorne, kein gutes Omen. "Das hat viele Anleger auf dem völlig falschen Fuß erwischt", sagt Goldberg. Von seinem Schock sollte sich der Dax bis zum Nachmittag kaum mehr erholen, am Ende des Computerhandels schließt er bei rund 14 050 Punkten - rund vier Prozent im Minus.

Auch Börsenhändler Marc Richter hat sich im Homeoffice schon um 07 Uhr morgens vor seinen vier Bildschirmen postiert, wie jeden Tag. Doch es ist kein Tag wie jeder andere. "Ich war geschockt, als ich morgens auf mein Handy geschaut habe", sagt Richter, der für die Baader Bank Kurse für rund 500 Aktien an der Frankfurter Börse stellt. Für Richter ist schon vor Handelsstart klar, was er zu tun hat: Orderlage bewerten, Nachrichtenlage prüfen - und sich einstellen auf einen Tag ohne jede Pause.

Am Ende dieses Tages leuchten fast alle 40 Aktien aus dem deutschen Leitindex Dax in roten Ziffern, besonders hart trifft es Titel mit eigenem Russlandgeschäft. So sinken Aktien von Siemens um rund sechs Prozent, Titel der Deutschen Bank verlieren aus Angst vor Finanzsanktionen im Bankwesen gar knapp 13 Prozent. Hart getroffen ist auch der Energieversorger Uniper, der von russischen Gaslieferungen abhängig ist und gemeinsam mit dem russischen Konzern Gazprom in die Pipeline Nord Stream 2 investiert hat - die jetzt im Rahmen der Sanktionen vorläufig gestoppt ist. Uniper-Aktien rutschen im Handelsverlauf um rund 14 Prozent ab.

Börsenhändler Richter macht das atemlos, alle fünf Sekunden muss er neue Kurse eingeben, manchmal gar im Drei-Sekunden-Takt. Hat er eine Order durchgeklickt, sind immer schon zwei neue da. Zwei Mal kann Richter kurz auf Toilette rennen, ab und an reicht ihm seine Lebensgefährtin im Homeoffice einen Kaffee durch die Tür. Mehr geht nicht an einem Tag, an dem viele ihre Aktien bei Börsenhändler Richter abladen wollen - aber kaum jemand kaufen will. "Das ist eine unfassbar angespannte Situation", sagt Richter.

Die Anleger im Westen erwischt die Eskalation auf dem völlig falschen Fuß, vor zwei Wochen hatten große Fondsmanager das Thema in einer Umfrage der Bank of America noch abgetan, nur sieben Prozent hatten den Russland-Ukraine-Konflikt damals als wichtigstes Problem für die Börsen eingeschätzt. Und auch in der Umfrage von Börsenpsychologe Joachim Goldberg hatten am Mittwoch viele Anleger noch fröhlich Optimismus verkündet. "Da ziehen einige nun die Notbremse", sagt Goldberg.

Besonders heftig geschieht das am Donnerstag an der Moskauer Börse, der in Dollar notierte russische Leitindex RTS rutscht bereits im frühen Handel deutlich ab, dann verhängt die Moskauer Börse gar einen Handelsstopp. Doch statt Beruhigung sät das bloß mehr Panik, der russische Leitindex RTS fällt nach dem Ende der Handelspause zwischenzeitlich um rund 50 Prozent. Titel des Gasriesen Gazprom sacken um rund 40 Prozent ab, die Notierungen der Sberbank um knapp 50 Prozent - Anleger fürchten die Sanktionen des Westens. Wie aus Verzweiflung verbietet die russische Notenbank den Anlegern dann noch, auf fallende Aktienkurse zu wetten. Ein Signal, das kaum noch hilft. "Das ausländische Kapital zieht jetzt in Massen Geld aus dem Markt", sagt Andreas Männicke, Experte für russische Aktien beim Analysehaus ESI.

Verbindungen zu Russland werden abgestraft

Neben allem menschlichen Leid sorgen sich die Anleger vor allem um eine Sanktionsspirale: Könnte Russland seine Gas- und Öl-Lieferungen im Ernstfall drosseln? Diese Sorgen haben Anleger am Rohstoffmarkt am Donnerstag den ganzen Tag vor ihren Augen, verdichtet zu einer Kurve. Die Notierungen für ein Fass der Nordsee-Ölsorte Brent schießen streckenweise senkrecht nach oben, am Abend pendelt sich der Ölpreis bei rund 104 Dollar je Fass ein - sieben Prozent mehr als am Mittwoch.

Auch auf den Finanzcomputern von Börsenhändler Marc Richter blinkt der Ölpreis, der in der Finanzwelt unter dem Kürzel Lcoc1 läuft. 103,67 Dollar zeigt Richters Kursinformationssystem am Nachmittag, in ein paar Ölaktien wie beim US-Riesen Chevron sieht Richter sogar wieder Kaufaufträge, später gar ein kleines Kursplus. Richtig darüber freuen kann sich an diesem schwarzen Tag niemand.

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