Süddeutsche Zeitung

Geldanlage:Die Börsen hatten ein Horror-Halbjahr

Anfang Januar hofften Anleger auf Kursgewinne nach Corona. Dann griff Russland an.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Wenn selbst ausgebuffte Finanzer ihr Geld plötzlich massenhaft auf dem Konto parken, muss das schon etwas bedeuten. Aktien, Anleihen, Kryptowährungen oder lukrative Immobilienprojekte? Eigentlich wissen die Geldverwalter mit Milliardensummen immer etwas Kreatives anzufangen. Doch eine Umfrage der Bank of America unter zahlreichen Milliarden-Managern zeigte kürzlich: Die Finanzprofis setzen aktuell stark auf Geldmarktanlagen. Auf Geld, Dollars, oder amerikanisch: Cash.

Der Grund? Andere Anlagen sind in den ersten sechs Monaten des Jahres teilweise erheblich abgerauscht, für die Börsen war es ein horribles Halbjahr. Der deutsche Leitindex Dax startete das Jahr hoffnungsvoll bei mehr als 16 000 Punkten - und bringt inzwischen nicht einmal mehr 13 000 Punkte auf die Waage. Der US-Leitindex sackte in den ersten sechs Monaten gar so stark ab wie seit 1970 nicht mehr, zeigen Daten des Finanzdienstes Bloomberg.

Weltweit sind an den Börsen seit Jahresbeginn damit mehr als 14 Billionen Dollar verpufft, zumindest auf dem Papier. US-Staatsanleihen mit zehn Jahren Restlaufzeit haben Rechnungen von Reuters zufolge das dramatischste Halbjahr seit 1788 hinter sich. Selbst die einstige Zukunftshoffnung Bitcoin kollabierte. Aus einem leichten Minus an den Märkten wurde erst eine mittlere Korrektur, dann ein ausgewachsener Crash auf Raten. "Für Anleger geht heute ein Quartal zum Vergessen zu Ende", sagt Marktexperte Timo Emden vom Analysehaus Emden Research.

Es gibt eine neue Risiko-Unlust

Dabei hatte alles so gut angefangen: Das Coronavirus, so hofften viele zu Jahresbeginn, würde sich mit den wärmeren Temperaturen verflüchtigen, viele Lieferkettenprobleme weltweit verschwinden. Dann allerdings wirkte sich der Angriffskrieg des Kreml gegen die Ukraine auch auf die Börse aus und änderte die Vorzeichen.

Deutlich steigende Rohstoffpreise ließen die Inflation klettern, viele Zentralbanken hoben ihre Leitzinsen als Gegenmittel an. "Die Finanzmärkte stehen seit Monaten im Banne der Inflationsentwicklung", sagt Anlagestratege Gérard Piasko von der Schweizer Privatbank Maerki Baumann. Die Rechnung vieler Finanzprofis ist angesichts dessen denkbar simpel: Wenn sichere Staatsanleihen bei gestiegenen Leitzinsen wieder mehr Ertrag bringen, schieben sie weniger Geld in riskante Anlagen wie Aktien oder Bitcoin.

Mit der neuen Risiko-Unlust an der Börse endete daher auch der Höhenflug der gehypten Tech-Titel. So sackten Aktien des Kochboxendienstes Hellofresh um mehr als 50 Prozent ab, die des Onlinemodehändlers Zalando gar mehr als 60 Prozent, beide Aktien sind damit die Schlusslichter im deutschen Leitindex Dax. Anders als in der realen Welt haben sie an der Börse nicht geliefert.

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